Samstag, 21. Dezember 2019

Nervige Online-Bestellungen von Eva Joachimsen

Bild von Eva Joachimsen

Jasmin beeilte sich. In zwei Stunden wollte sie sich mit ihrer Freundin Nadja treffen. Vorher musste sie noch schnell den Abwasch erledigen und bügeln, damit Ramona, mit der sie die kleine Wohnung teilte, nicht wieder Zustände bekam. Ramona war sehr pingelig und meckerte ständig an Jasmin herum. Natürlich wäre Jasmin schon längst ausgezogen, wenn es preiswerten Wohnraum geben würde.
Es klingelte. Sie schaute aus dem Küchenfenster. Vor dem Haus stand ein Postwagen auf der Kreuzung und versperrte sie. Sicher hatte Ramona wieder etwas gekauft. So kurz vor Weihnachten bestellte sie noch mehr als sonst. Genervt trocknete Jasmin ihre Hände ab, lief zur Tür und riss sie wütend auf. Ständig kaufte Ramona etwas online und erwartete, dass Jasmin die Päckchen annahm.
Vor ihr stand ein junger, dunkelhaariger Mann und grinste sie jungenhaft an. Jasmin wurden die Knie weich. Von so einem Typ träumte sie, seit sie Poster von Boygroups an die Wand gehängt hatte.
„Für Ramona Wünsche.“
„Ja, das nehme ich an“, erklärte Jasmin und unterschrieb zögernd, während sie krampfhaft überlegte, wie sie mit dem Traumtypen ins Gespräch kommen konnte. Doch der Postzusteller war weg, bevor ihr etwas einfiel.
Zwei Tage später duschte sie gerade, als es wieder klingelte. Da sie auf Nadja wartete, wickelte sie sich in ihr Badelaken und lief zur Tür. Ohne durch den Türspion zu schauen, riss sie die Tür auf. „Du bis zu früh“, rief sie und erstarrte peinlich berührt, als sie den hübschen Paketzusteller vor sich sah.
„Oh, Entschuldigung, ich erwarte eine Freundin.“ Sie spürte, wie ihr Gesicht dunkelrot anlief. Hastig versuchte sie, mit dem Badelaken möglichst viel von sich zu bedecken. Das war gar nicht so einfach, weil sie wieder unterschreiben musste. Wenigstens hatte der Bursche das Paket in den Flur geschoben, sodass sie eine Hand frei hatte, um das Handtuch festzuhalten.
Nadja lachte sich halb tot, als Jasmin ihr von ihrer Panne erzählte. „Du willst ihn doch sowieso aufreißen. Vielleicht kannst du ihn beim nächsten Mal gleich ins Bett schleppen. Lass doch aus Versehen das Laken fallen.“
„Mach dich nicht lustig. Ich blamiere mich und du lachst darüber.“ Jasmin war die Situation so peinlich gewesen, dass sie sich wirklich über Nadjas Reaktion ärgerte.
Die nächsten zwei Wochen sah und hörte sie leider nichts mehr von dem gutaussehenden Mann. Kein Wunder, sie war im Weihnachtsstress und ständig unterwegs. Mit ihren Kollegen auf einer Weihnachtsfeier, mit Nadja auf dem Weihnachtsmarkt und bei ihren Großeltern, um mit ihnen Besorgungen zu machen. An zwei Tagen in der Woche war sie sowieso beim Badmintontraining.
Einen Tag vor Heiligabend backte sie noch schnell Kekse, denn ihr war sonst nichts Gescheites eingefallen, was sie ihrer Verwandten schenken konnte. Hinterher putzte sie die staubige Küche gründlich. Sie stand gerade auf der Leiter und wischte die Schränke von oben ab, als es an der Tür sturmklingelte.
Erschrocken ließ sie das Tuch liegen und sprang herunter. Das war keine gute Idee, denn sie knickte bei der Landung mit dem Fuß um. Sofort schmerzte ihr Knöchel höllisch und sie schrie auf. Wieder klingelte es energisch, diesmal Sturm. Sie mussten sich unbedingt eine angenehmere Klingel mit einem schönen Klingelton anschaffen. Mit Tränen in den Augen humpelte sie an die Tür.
Wie erhofft stand der junge Paketbote vor ihr. Diesmal mit drei Riesenpaketen. Ramona konnte das Bestellen einfach nicht lassen. Dabei schickte sie das meiste wieder zurück.
„Oh, was ist denn mit Ihnen passiert?“, fragte der Mann erschrocken, als er Jasmins Tränen sah.
„Ich bin umgeknickt. Ich fürchte, ich muss zum Arzt“, hauchte sie. Sie fühlte sich so elend. Haltsuchend griff sie nach der Türklinke.
„Ist das meine Schuld?“, fragte er. „Ich habe Sie schreien gehört.“
„Ich stand gerade auf der Leiter und bin zu schnell hinabgestiegen“, flüsterte sie und kämpfte gegen den Schwindel an.
„Das tut mir leid, dass ich daran schuld bin.“
Jasmin machte Platz und er legte die Pakete im Flur unter die Garderobe. Dann drehte er sich um und hob sie kurzentschlossen hoch. „Wo haben Sie ein Bett oder ein Sofa?“, fragte er und sie wies ihn den Weg zu ihrem Zimmer. Zum Glück hatte sie am Morgen, gleich nach dem Aufstehen, aufgeräumt und er setzte sie auf ihrem Bettsofa ab.
„Haben Sie ein Kühlkissen?“, fragte er.
„Gleich rechts in der Küche im Kühlschrank“, erklärte sie. Gleich darauf reichte er es ihn, vorsorglich in ein Küchentuch gewickelt.
„Oh, vielen Dank. Ich halte Sie auf. Sie müssen sicher gleich weiter. Wie lange müssen Sie noch arbeiten?“, fragte sie, glücklich, dass sie endlich ein Gesprächsthema gefunden hatte.
„Bestimmt bis neun Uhr. Gestern war es halb neun. Aber heute ist der Wagen voller.“ Er schwieg einen Augenblick, dann meinte er, „wenn ich helfen kann, würde ich nach der Arbeit vorbeikommen und Sie ins Krankenhaus fahren, damit der Knöchel untersucht wird.“
„Aber Sie brauchen doch ihren Feierabend.“ Sie hätte sich auf die Zunge beißen können. Warum wies sie ihn ab? Sie wollte ihn doch kennenlernen!
Er lachte. „Morgen noch, aber dann habe ich eine Woche frei, bevor die Vorlesungen wieder beginnen.“
Sie schaute ihn verdattert an.
„Ich jobbe nur. Eigentlich studiere ich Informatik. Und den Tag morgen überstehe ich auch noch irgendwie.“ Er versprach, nach seiner Tour wieder bei ihr vorbeizuschauen und sie zum Krankenhaus zu fahren.
Ramona ließ sich nicht blicken. Es war schon 22 Uhr, als es an der Tür klingelte und Jasmin mühsam hinhumpelte. Tatsächlich stand der junge Mann davor. Er hatte Wort gehalten.
„Können wir gleich losfahren? Ich stehe mitten auf der Kreuzung“, erklärte er.
Jasmin griff sich ihre Jacke und ihre Handtasche, warf die Tür hinter sich zu und wollte die Treppe hinabhüpfen. Doch der Paketbote ließ es nicht zu. „Das ist zu gefährlich“, meinte er und hob sich hoch, als ob sie nichts wiegen würde.
„Ich bin doch viel zu schwer!“, protestierte sie.
Er lachte nur. „Ich bin gut durchtrainiert.“
„Von den letzten Wochen mit den vielen Paketen?“, fragte sie.
„Auch, aber ich spiele Rugby, dazu gehört Krafttraining.“ Er setzte sie auf den Beifahrersitz seines Kleinwagens.
„Hoffentlich müssen wir nicht zu lange warten. Am besten setzen Sie mich am Krankenhaus ab und fahren dann nach Hause. Ich kann doch auch ein Taxi nehmen.“ Jasmin plagte ihr schlechtes Gewissen.
„Wollen wir uns nicht duzen? Ich bin Ben. Und ich warte. Schließlich bin ich an deinem Unfall schuld.“
Sie schüttelte den Kopf. „Blödsinn. Ich heiße Jasmin. Wohnst du weit weg?“
Schnell stellte sie fest, dass es einfach war, mit Ben ein Gespräch zu führen. Er erzählte von seinen Erlebnissen als Paketbote.
„Haben dir öfter nackte Frauen die Tür geöffnet“, fragte sie neugierig.
Er lachte. „Leider waren nicht alle Erlebnisse so nett. Ein kläffender Dackel hat mich gebissen. Deshalb war ich vor einer Woche schon einmal nachts hier in der Notaufnahme.“
Die Wartezeit verging für Jasmin viel zu schnell. Zum Glück war ihr Knöchel nur verstaucht und nicht gebrochen. Mit einem Zink-Leimverband und der Anweisung, den Fuß hochzulegen und nicht zu belasten, wurde sie entlassen. Ben brachte sie nach Hause und trug sie die Treppe hoch.
„Soll ich morgen wieder vorbeischauen?“, fragte er besorgt.
„Morgen bin ich bei meinen Eltern. Mein Bruder holt mich ab. Ich bleibe über die Feiertage dort. Aber am 27. komme ich zurück, weil meine Eltern in den Süden fliegen“, erklärte sie.
„Gut, dann schaue ich am 27. nach dir, wenn es dir recht ist“, meinte er und lächelte sie lieb an.
Natürlich war es Jasmin recht. Und damit er sie nicht versetzte, tauschten sie gleich ihre Handynummern aus. Zum Abschied nahm er sie in den Arm, küsste sie sanft und flüsterte: „Du bist mein schönstes Weihnachtsgeschenk!“
Eva Joachimsen liebt lesen, schreiben und tanzen. Seit vielen Jahren veröffentlicht sie Kurzgeschichten in Zeitschriften. Mehr von ihr erfährt man auf ihrem Blog. Ein Überblick über ihre Bücher gibt es bei Amazon und Thalia.