Leo
beugte sich über den reglos am Boden liegenden Weihnachtsmann und versuchte,
ihm den weißen Bart vom Gesicht zu nehmen. Vergeblich – der war echt! Danach
legte Leo prüfend einen Finger auf die Halsschlagader des Mannes, wo er einen
schwachen Puls ertastete.
»Er
lebt! Ruft schnell einen Krankenwagen!«, schrie er.
Hastig
öffnete er die Knöpfe des roten Mantels. Der bleiche Brustkorb, der darunter
zum Vorschein kam, hob und senkte sich nicht. Leo legte ein Ohr über Mund und
Nase des Bewusstlosen. Er konnte keine Atmung hören und spürte auch nicht die
erhoffte Wärme eines Luftstroms. Also begann er mit der Wiederbelebung.
Aus
den Tiefen ihres Sessels beobachtete Traute das Geschehen. Ihr Mund wirkte
verbissen, harte Kerben hatten sich um die Lippen gegraben. Krampfhaft hielt
sie die Hände gefaltet im Schoß. Die dunklen Augen verfolgten jede Bewegung
ihres Sohnes, der sie über die Weihnachtsfeiertage zu sich geholt hatte.
»Der
Krankenwagen ist unterwegs«, sagte ihre Schwiegertochter
Jasmin, als sie von der Diele zurück ins Wohnzimmer stürzte. »Kann ich sonst
irgendwie helfen?«
Leo
schüttelte stumm den Kopf. Er zählte in Gedanken die dreißigste
Herzdruckmassage, wechselte dann zur Atemspende, blies dem Mann zwei Atemstöße
in die Lungen und begann das Prozedere von vorn. Sirenen waren in der Ferne zu
hören. Rasch wurden sie lauter. Jasmin sprang auf und öffnete. Danach ging
alles rasend schnell, und nur wenige Augenblicke später wurde der
Weihnachtsmann abtransportiert.
Leo
ließ sich erschöpft auf der Couch nieder, Jasmin hockte sich neben ihn. Beide
schauten zu Traute, in deren Stirn sich eine tiefe Falte gefurcht hatte.
»Ich
habe die Polizei informiert«, sagte Jasmin.
»Wie
kam der Kerl überhaupt ins Haus?«, fragte Leo.
»Ich
dachte, du hättest ihn hereingelassen. Schwiegermutter?«
Traute
zuckte stumm mit den Schultern.
»Mutter,
willst du dich hinlegen? Das ist sicherlich Aufregung genug für dich gewesen.
Ein Einbrecher! Wer weiß, was er dir alles angetan hätte, wenn er nicht ... Ja,
was ist er eigentlich? Zusammengebrochen? Ob er einen Herzinfarkt erlitten
hat?« Er ging auf seine Mutter zu, kniete sich vor sie hin. »Hast du gesehen,
wie der Mann hier hereingekommen ist?«
Traute
kniff die Augen zusammen. Leo massierte vorsichtig ihre Finger, damit das Blut
zirkulierte.
Unterdessen
prüfte Jasmin, ob irgendwo eine Tür oder ein Fenster aufstand. Sie fand nichts
Ungewöhnliches. »Und durch den Kamin wird er ja wohl kaum gerutscht sein.« Ihr
Lachen klang nervös.
Traute
schreckte bei den Worten zusammen.
»Beruhige
dich, Mutter.« Leo nahm sie in die Arme. »Ich finde, du solltest dich eine
Weile hinlegen.« Noch bevor sie antworten konnte, klingelte es.
»Das
wird die Polizei sein«, meinte Jasmin und öffnete.
»Guten
Tag, ich bin Kommissar Brandstätter. Und das sind zwei Kollegen von der
Spurensicherung.« Er deutete auf seine Begleiter. »Dürfen wir hereinkommen?«
»Bitte.« Jasmin trat zur Seite.
»Frohe
Weihnachten – auch, wenn das unter den gegebenen Umständen unpassend klingt«,
lächelte Brandstätter.
»Wir
haben uns den Morgen des ersten Weihnachtstages auch anders vorgestellt«,
entgegnete Leo.
Die
Männer der Spusi stellten ihre Metallkoffer ab. Sie schlüpften in helle
Overalls und zogen Latexhandschuhe über. Dann begannen sie mit einer genauen
Befundaufnahme. Beim Anblick des Rußpulvers, das sie verteilten, um
Fingerabdrücke zu sichern, runzelte Jasmin die Stirn. »Haben Sie am Tatort
etwas verändert?«, fragte der Kommissar.
»Tatort?
Meine Güte, wie das klingt! So etwas hört man sonst nur im Krimi.« Jasmin
schüttelte sich.
»Wir
haben alles so gelassen, wie wir es vorgefunden haben«, gab Leo zur
Antwort.
Brandstätter
fragte nach den Personalien, dann streifte auch er sich Handschuhe über, zog
ein Diktiergerät heraus und sprach: »Anwesend sind die Eheleute Jasmin und Leo
Reuter sowie Traute Reuter, die Mutter von Leo Reuter.«
Es
folgte eine ausführliche Ortsbeschreibung: »Wohnzimmer, schätzungsweise
fünfundzwanzig Quadratmeter. Dreiercouch, zwei Sessel, ein antiker Schrank in
der linken Ecke. Auf dem Boden liegt ein roter Samtsack.« Er hob ihn an, sah
hinein. »Gehört der Ihnen?« Leo verneinte. Brandstätter wandte sich an einen
seiner Mitarbeiter. »Packen Sie das Beweisstück ein.«
Traute
verfolgte die Aktionen der Männer, ohne einen Mucks von sich zu geben.
»Wer
hat die Milch getrunken?« Brandstätter hielt das milchverschmierte Glas in die
Höhe.
»Milch?«
Jasmin schaute auf.
Trautes
linke Augenbraue schoss für eine Sekunde in die Höhe.
»Hast
du die Milch hier hingestellt?«, fragte Jasmin ihren Mann.
»Nein.«
Brandstätter
sah zu Traute hinüber.
Leo
folgte seinem Blick. »Meine Mutter kann das nicht gewesen sein. Wir müssen sie
beim Laufen führen, allein kann sie keine Getränke aus der Küche holen.«
Brandstätter
bat einen Kollegen, das Glas ebenfalls in eine Tüte zu packen. Als der
Kommissar sich Leo zuwandte, atmete Traute heftiger.
»Gehen
wir doch einmal durch, wo Sie sich alle aufhielten, bevor Sie den Mann gefunden
haben.«
»Ich
war in der Küche und habe das Frühstück zubereitet«, erinnerte sich Jasmin.
»Ich
bin aus dem Bad sofort ins Wohnzimmer und dort habe ich ihn dann liegen sehen.«
Leo wies auf die Stelle am Boden.
»Und
Sie, Frau Reuter?« Brandstätter beugte sich zu
Traute.
»Seit wann haben Sie hier im Sessel gesessen?«
Leo
warf seiner Frau hinter dem Rücken des Kommissars einen fragenden Blick zu. Sie
zuckte die Achseln.
»Eine
Weile«, erklang da Trautes zaghafte Stimme.
»Können Sie das näher erläutern?« Traute blieb stumm.
Brandstätter
richtete sich an Leo und Jasmin. »Wann haben Sie ihre Mutter hier in den Sessel
gesetzt?« Leo hob ratlos die Hände.
»Es
ist unmöglich, dass meine Schwiegermutter es alleine geschafft hat«, stammelte
Jasmin.
»Irgendeiner
muss es gewesen sein.«
»Wir
können Ihnen die Frage nicht beantworten«, sagte Leo.
»Dann
bleibt nur der Weihnachtsmann übrig«, merkte Brandstätter an.
Trautes
Pupillen weiteten sich.
»Mutter,
sage uns doch bitte, wie du ins Wohnzimmer gekommen bist«, bat Leo.
»Ich
... ich erinnere mich nicht.«
»Meine
Mutter leidet an beginnender Demenz, Herr Kommissar.
Für mich jedenfalls ist es kaum erklärbar.«
Die Spurensicherung machte Brandstätter auf Fußabdrücke in der
Kaminasche aufmerksam. »Sieht nach Stiefeln aus«, meinte der.
Leo
und Jasmin stellten sich neben den Kommissar. »Er hatte schwarze Stiefel an,
das habe ich gesehen. Eigentlich war er genauso gekleidet, wie man es vom
Weihnachtsmann kennt«, erklärte Jasmin aufgeregt.
»Ich
fahre ins Krankenhaus und werde sehen, ob der Mann vernehmungsfähig ist.
Vielleicht wurden irgendwelche Ausweispapiere bei ihm gefunden. Auf
Wiedersehen.« Damit marschierte Brandstätter mit seinen Leuten aus dem
Haus.
»Ich
habe das Gefühl, das hier ist, nur ein Traum«, murmelte Leo.
»Unglaublich,
oder?«, pflichtete Jasmin ihm bei.
Traute
schluckte schwer.
»Na
komm, Mutter.« Leo half ihr aus dem Sessel und führte sie langsam in die Küche.
»Nach der Aufregung wollen wir versuchen, in aller Ruhe zu frühstücken.«
Den
ganzen Tag sprachen sie von dem unheimlichen Erlebnis und hofften auf
Neuigkeiten von der Polizei. Am späten Abend brachte Leo seine Mutter dann in
ihr Zimmer.
Ein
Schneesturm fegte ums Haus. Traute lag im Bett. Von dort aus hatte sie den
direkten Blick auf eine uralte Tanne, deren Zweige gegen die Scheibe schlugen.
Unruhig wälzte Traute sich von einer Seite zur anderen. Zu sehr beschäftigte
sie das, was sich hier in der vorherigen Nacht in aller Heimlichkeit abgespielt
hatte ...
Ein
einziges Mal noch hatte Traute allein aufstehen wollen. Sie hatte gewusst, es
würde ihr die letzten Kräfte rauben. Achtundachtzig war sie vor wenigen Wochen
geworden. Und seit achtzig Jahren teilte sie dem Weihnachtsmann immer den
gleichen Wunsch in einem Brief mit. Sie legte diesen an jedem 23. Dezember auf
die Fensterbank. Sie hatte den Glauben an den Weihnachtsmann nie verloren.
Obgleich die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches ausblieb. In diesem Jahr
wollte Traute sich rächen für all die traurigen Weihnachtstage, die sie in
ihrem Leben erlebt hatte.
Monatelang
hatte sie mit der Physiotherapeutin geübt, um wieder einigermaßen allein auf
ihren Beinen stehen und wenige Schritte gehen zu können. Diese Frau war eine
Koryphäe auf ihrem Gebiet. Bald stellten sich erste Erfolge ein. Doch Traute sprach
mit niemandem über ihre Fortschritte.
Gestern,
am Heiligen Abend, war es so weit gewesen. Vorsichtig stieg sie nachts aus dem
Bett. Auf ihren Stock gestützt, ging sie zuerst in die Küche und bereitete
heiße Milch mit Honig zu. Dabei gab sie unter ständigem Rühren die
Schlaftabletten hinein, die im Altenheim abends immer neben ihrer Tasse gelegen
hatten. Zuerst wollte sie den neuen und offenbar noch unerfahrenen Pfleger
darauf hinweisen, dass sie keine Medikamente zum Einschlafen brauchte. Doch dann
erschien es ihr wie ein Wink des Schicksals und ihr kam der Gedanke, dass sie
die Pillen anderweitig nutzen konnte – wie sie es dann ja auch getan hatte.
Traute trug das Milchglas ins Wohnzimmer, stellte es neben die Plätzchenschale.
Dann
setzte sie sich in den Sessel und wartete geduldig, bis es im Kamin rumpelte
und der Weihnachtsmann heruntergerutscht kam. Er klopfte sich den Aschestaub
vom Bart und sah erstaunt auf die im Sessel sitzende Frau.
»Guten
Abend, Traute. Hm, ist die Milch für mich?«
»Schon ziemlich abgekühlt«, meinte sie.
Der
Weihnachtsmann setzte sich, nahm ein Plätzchen, tunkte es hinein und steckte es
sich in den Mund. Ein Milchspritzer tropfte auf seinen Mantel. Nachlässig
wischte er darüber. »Sag mal, Traute, du hast mir gegenüber in all den Jahren
keinen einzigen Wunsch geäußert. Warum eigentlich nicht?«
»Was?«
Traute setzte sich gerade auf. »Ich habe alle Weihnachten geschrieben, doch
mein Wunsch wurde nie erfüllt.«
»Im
Weihnachtsland ist kein Wunsch von dir eingetroffen.«
»An
jedem 23. Dezember habe ich einen Brief auf die Fensterbank gelegt. Doch er
wurde niemals abgeholt.«
»Am
23. Dezember?« Der Weihnachtsmann trank einen kräftigen Schluck Milch und
verzog das Gesicht. »Ganz schön süß.«
»Sicherlich
vom Honig.« Traute freute sich innerlich und wartete darauf, dass er endlich
umfiel.
Doch
zuvor würde sie ihm seine letzte Frage beantworten. »Ja, am 23. Dezember«,
wiederholte sie und spürte, wie ihr Herz schneller schlug.
»Dann
warst du immer zwei Tage zu spät dran. Meine Helfer sammeln die Briefe
spätestens bis zum 21. Dezember ein. Es tut mir leid, Traute, dass du fast dein
ganzes Leben lang vergeblich gewartet hast. Sehr, sehr leid.« Er biss in einen
weiteren Keks, spülte ihn mit dem Rest der Milch hinunter.
»Nicht
trinken!«
Trautes
Warnung kam zu spät. Polternd fiel der Weihnachtsmann zu Boden.
Traute
schüttelte den Kopf. Sie wollte diese Erinnerungen aus ihren Gedanken
streichen. Und ihr schlechtes Gewissen gleich mit! Sie hatte es schließlich
versäumt, ihre Wünsche rechtzeitig dem Weihnachtsmann zu schicken. Sie war
unsicher: Wann hatte ihr Sohn sie aus dem Pflegeheim abgeholt? Sie war in dem
Glauben, es wäre erst gestern gewesen. Oder zwei Tage zuvor? Erinnern konnte
sie sich lediglich, dass sie direkt an jenem Abend den Zettel auf die
Fensterbank gelegt hatte. Mit demselben Wunsch wie immer, seit einundachtzig
Wintern. Und nun war es um den Weihnachtsmann geschehen. Sie hatte ihn auf dem
Gewissen und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Kommissar den Fall lösen
würde. Schließlich hatte er das leere Glas als Beweismittel mitgenommen.
Traute
fiel in einen unruhigen Traum, in dem das leblose Gesicht des Weihnachtsmannes
sie verfolgte.
In
den frühen Morgenstunden klingelte es an der Tür. Traute saß in ihrem Sessel
und schreckte zusammen. Sie kommen mich holen, dachte sie und ihr sträubten
sich förmlich die Haare.
Ein
paar Jahre im Pflegeheim hätte sie gerne noch erlebt, dort ging es recht lustig
zu unter den alten Leuten. Und die Wochenenden und Feiertage mit Leo und Jasmin
würde sie ebenfalls vermissen in ihrer kalten, grauen Gefängniszelle.
»Guten
Morgen, Herr Kommissar«, hörte sie Leo sagen, der den Polizisten ins Wohnzimmer
bat, wo er sie kurz darauf begrüßte: »Guten Morgen, Frau Reuter. Zu Ihnen
wollte ich.« Er nickte ihr freundlich zu. »Ich habe gute Nachrichten.«
Trautes
Augen blitzten auf.
»Dem
Weihnachtsmann geht es gut. Und er wollte nicht bei Ihnen einbrechen.«
Brandstätter schmunzelte in sich hinein. »Er bittet Sie, Frau Reuter, zu ihm
ins Krankenhaus zu kommen. Ist Ihnen das möglich?«
»Ist
das notwendig?«, mischte Leo sich besorgt ein. »Und warum soll sie das
überhaupt tun? Sie wissen doch, dass meine Mutter erhebliche Probleme beim
Gehen hat.«
»Ist
schon gut, mein Junge. Das schaffe ich.« Sie stützte sich auf seine Hand, um
von ihrem Sitzplatz hochzukommen. Langsamen Schrittes ging sie zur Haustür. Leo
half ihr in den Mantel, bevor er seine eigene Jacke überzog.
»Junge,
ich möchte, dass du zu Hause bleibst.« Traute sah ihren Sohn inständig bittend
an.
»Aber
Mutter ...«
»Es
ist wichtig für mich. Ich will allein mit dem Weihnachtsmann reden.«
Schweren
Herzens ließ Leo sie mit Brandstätter gehen.
Am
Krankenhaus angekommen, besorgte der Kommissar einen Rollstuhl. Traute setzte
sich hinein und ließ sich zum Zimmer fahren. Sie atmete tief durch, bevor sie
leise an die Tür klopfte. Brandstätter öffnete sie und rollte Traute bis vor
das Bett des Weihnachtsmanns. Dann verließ er den Raum.
»Traute.«
Der Weihnachtsmann streckte ihr die Hand entgegen.
Vorsichtig
reichte sie ihm ihre mit Altersflecken übersäte Rechte. Tränen standen ihr in
den Augen. »Es tut mir leid«, stammelte sie, »es tut mir unsagbar leid.«
»Was?«
»Dass
ich dich umbringen wollte.«
»Bitte?«
»Ja,
ich ...«, setzte Traute an, wurde jedoch unterbrochen.
»Ich
verstehe schon. Du hast all die Jahre vergebens auf ein Geschenk von mir
gewartet. Und nun, am Ende deines Lebensweges, wolltest du dich rächen.«
»Ich
schäme mich dafür.«
»Rache
ist nie der richtige Weg. Außerdem hättest du schon seit acht Jahrzehnten mit
mir darüber reden können. Warum erst jetzt?«
»Es
war meine letzte Chance. Ich habe lange darauf hingearbeitet, noch ein einziges
Mal ohne fremde Hilfe ein paar Schritte gehen zu können. Doch ich merkte, meine
Kräfte ließen nach. Nur der Gedanke an mein Vorhaben hat mich aufrecht
gehalten. Es war töricht, ich werde mir niemals verzeihen können. Und nun, da
ich weiß, dass es allein mein Versäumnis war, fühle ich mich schuldig. Auch
wenn du mit dem Leben davongekommen bist. Ich werde ins Gefängnis gehen und
dafür büßen, bis ich von der Erde abberufen werde.« Sie wischte sich über die
Wangen.
»Was
redest du da?«
»Wenn
die Polizei die Milch untersucht, wird sie Spuren von einem Schlafmittel
finden.«
Der
Weihnachtsmann lachte auf. »Du hast mir Tabletten in die Milch gerührt?«
»Was,
denkst du, soll dich sonst umgeworfen haben?«
»Ich
habe seit Langem gesundheitliche Probleme. Die viel zu fette Mahlzeit, die ich
vor meiner Reise auf die Erde zu mir genommen habe, hat mir wohl den Rest
gegeben.«
»Aber
... aber«, stotterte Traute, »die Tabletten! Ich habe sie in der Milch
aufgelöst.«
»Ich
dachte eher, du hättest reichlich Zucker hineingerührt.«
»Zucker?
Nein! Ich trinke meinen Tee ungesüßt. Es waren Tabletten. Ich bin mir sicher! –
Oder?«
Für
einen Moment hingen beide ihren Gedanken nach, dann brach der Weihnachtsmann
das Schweigen: »Schau mal in den Schrank, Traute. Die Polizei hat mir meinen
Geschenksack wiedergegeben. Darin ist ein Päckchen für dich. Euer Haus war
meine letzte Anlaufstelle.«
Vorsichtig
fuhr Traute mit dem Rollstuhl vor den Schrank und zog den Sack heraus. In ihm
steckte ein buntes Kästchen.
»Mach
es zu Hause auf, Traute. Frohe Weihnachten.
Ich
muss zurück in mein Land auf dem Nordstern.«
Als
sie sich zu ihm umdrehte, war er bereits verschwunden. Traute blieb noch eine
Zeit allein, bevor sie nach Brandstätter rief. Fest hielt sie das Geschenk in
der Hand.
»Darf
ich Sie etwas fragen, Herr Kommissar?«, meinte Traute, als sie neben ihm im
Auto saß.
»Aber
sicher, Frau Reuter.«
»Haben
Sie das Glas mit den Milchresten untersucht?«
»Ja,
warum fragen Sie?«
»Und
Sie haben nichts feststellen können?«
»Doch.«
Traute
schauderte. Ich wusste es!, dachte sie, nun werde ich verhaftet. Sie wartete,
dass Brandstätter von sich aus weitersprach. Stattdessen fing er an zu
lachen.
»Was
ist daran lustig?«, fragte Traute verdutzt.
»Hatten
Sie dem Weihnachtsmann die Milch hingestellt?«
»Ja.«
»Aber
mit reichlich Süßstoff!«
»Wie
bitte?«
»Erinnern
Sie sich nicht? Sie müssen in die Milch eine enorme Menge an Süßstoff gegeben
haben. Wir fanden Spuren
von Steviolglycosiden.«
»Spuren
von was?« Verwirrt schüttelte sie den Kopf.
»Lassen
Sie es gut sein, Frau Reuter.« Brandstätters Stimme klang sanft.
Am
späten Abend brachte Leo seine Mutter in ihr Zimmer. Erst als sie allein war,
kramte Traute das bunte Kästchen aus ihrer Handtasche hervor und öffnete es
bedächtig. Ein strahlendes Lächeln ging über ihr Gesicht. Endlich war ihr
Wunsch in Erfüllung gegangen! In dem Kästchen lag eine Kette aus
unterschiedlich großen Muscheln, so eine, wie sie sich immer erträumt hatte.
Traute
hätte sich selbst längst eine kaufen können, doch es war ihr sehnlichster
Wunsch, dass der Weihnachtsmann sie brachte.
Sie
trat ans Fenster, schob die Gardine zur Seite und sah hinauf zum Nordstern.
»Danke, Weihnachtsmann«, formte sie stumm die Worte, »danke.«
Sigrid Wohlgemuth
Seit fünfundzwanzig Jahren schreibt die Autorin Weihnachtsgeschichten und beschenkt damit ihre Mitmenschen zum Heiligen Abend. Zum 25. Jubiläum erscheint die zweite Weihnachtsanthologie mit dem Titel: Weihnachtskind.
Die Autorin Sigrid Wohlgemuth wurde in Brühl, bei Köln geboren. 1996 erfüllte sich die selbstständige Kauffrau ihren Traum, zog nach Kreta und machte die Insel zu ihrer Wahlheimat. Die Mittelmeerinsel, ihre Bewohner, die kretische Küche und das Schreiben wurden zu ihrem Lebensmittelpunkt. Es entstanden Geschichten und Romane, die überwiegend auf Kreta spielen. Nicht nur in ihren Erzählungen, sondern auch bei Lesungen, bei VHS Kochkursen in Deutschland und auf Kreta, sowie in Live – Kochshows auf der Insel möchte Sie dem Gast die kretische Kultur, sowie Land und Leute näherbringen.
Das Lebensmotto von Sigrid Wohlgemuth: „Lebe deinen Traum, bevor es zu spät dazu ist.“
Die Autorin Sigrid Wohlgemuth wurde in Brühl, bei Köln geboren. 1996 erfüllte sich die selbstständige Kauffrau ihren Traum, zog nach Kreta und machte die Insel zu ihrer Wahlheimat. Die Mittelmeerinsel, ihre Bewohner, die kretische Küche und das Schreiben wurden zu ihrem Lebensmittelpunkt. Es entstanden Geschichten und Romane, die überwiegend auf Kreta spielen. Nicht nur in ihren Erzählungen, sondern auch bei Lesungen, bei VHS Kochkursen in Deutschland und auf Kreta, sowie in Live – Kochshows auf der Insel möchte Sie dem Gast die kretische Kultur, sowie Land und Leute näherbringen.
Das Lebensmotto von Sigrid Wohlgemuth: „Lebe deinen Traum, bevor es zu spät dazu ist.“
Bisher erschienen
2019 Weihnachtskind – Anthologie Weihnachtsgeschichten - Selbstverlag
2019 Ein Stück Süden für dich - Kreta Roman, Franzius Verlag GmbH
2017 Und tschüss … Auf nach Kreta! -Kreta Roman mit Rezepten, Franzius Verlag GmbH
2015 Der Duft von Oliven, Kreta Roman - Der kleine Buchverlag/Lauinger Verlag
2013 Drei Stühle - Köstliche kretische Geschichten & Rezepte Stories & Friends Verlag
2012 Bis am Baum die Lichter brennen - Anthologie – Weihnachtsgeschichten HS Verlag – Österreich
Zahlreiche Veröffentlichen in Anthologien und Zeitschriften.
Seit 2017 Beiträge: Zeitschrift Das Lavendelo Natürliches. Selber. Machen.
Weiteres:
August 2018 – Food-Expertin für ADAC Reisemagazin Kreta https://web.facebook.com/KRETA.GESCHICHTEN.REZ EPTE/
https://kreta-erzaehlungen-rezepte.jimdo.com/kretischenatur/kretische-natur/ sigrid.wohlgemuth@yahoo.de