Samstag, 24. Dezember 2011

Friede, Freude, Lebkuchen von Annette Paul




Heiligabend kochte sie für die Feiertage vor und schmückte zusammen mit Klaus den Baum. Die Kinder hatten sie vor dem Fernseher geparkt, damit sie ungestört arbeiten konnten. Endlich war alles erledigt. Die Wohnung glänzte, der Braten war fertig, der Baum geschmückt und die Kinder festlich angezogen. Wie üblich raste die Familie im Sturmschritte los, um noch Sitzplätze für das Krippenspiel in der Kirche zu finden.
Die Großeltern hatten dankend abgelehnt, mit in den Kindergottesdienst zu kommen. „Da ist es immer so laut, ich gehe lieber später in die Kirche“, sagte Oma ganz offen.
„Für Weihnachten mit den Kindern verzichten wir doch gern auf den Gottesdienst“, versuchte Opa diplomatisch zu beruhigen.
In der warmen Kirche konnte Ute erstmals seit Wochen entspannen und zur Ruhe kommen.
Als sie zum dritten Mal gebannt auf ihre Uhr schaute, meinte Klaus gereizt: „Sei doch nicht so nervös. Wir haben genug Zeit bis die Eltern kommen."
„Ich habe Wehen", zischte Ute.
„Nein", wehrte Klaus ab.
„Doch", stellte Ute richtig.
„Müssen wir los?" fragte Klaus besorgt.
„Noch nicht. Ich hoffe, die legen sich wieder", beruhigte Ute.
Zu Hause setzten sie sich in das Kinderzimmer und lasen Weihnachtsgeschichten vor. Zum Glück ließen die Wehen wieder nach.
„Wann ist Bescherung?", wollte Patrick wissen.
„Bald, wenn Oma und Opa da sind", antwortete Ute.
„Und wann kommen die?", fragte Florian weiter.
„Jeden Augenblick", beruhigte Klaus und schaute Ute an.
„Das hast du schon ´mal gesagt", maulte Patrick. Er konnte nicht mehr still sitzen, sondern sprang auf und hüpfte im Zimmer herum.
„Die müssten schon längst da sein. Vielleicht ist der Wagen bei der Kälte nicht angesprungen", tröstete Ute.


Annette Paul schreibt und veröffentlicht seit vielen Jahren Kurzgeschichten und Kindertexte, gern etwas zum Schmunzeln. Von ihr sind folgende Weihnachtsbücher: "Der ganz normale Weihnachtswahnsinn", "Ratte Prinz im Weihnachtsbaum", "Weihnachtsmann im Weihnachtsstress" und "Weihnachtsmann hat noch mehr Stress".

Freitag, 23. Dezember 2011

Das Geistchen der Weihnacht von Sabine Ludwigs


Es waren nur noch wenige, hektische Tage bis zum Weihnachtsfest.
Im Wald hatte der Förster gut gefüllte Krippen aufgestellt. Die sonst munteren Bäche schlummerten unter silbernem Eis und die Äste der Tannen und Bäume lagen unter einem Tuch aus Schnee. Es fing wieder an zu schneien und dicke Flocken taumelten zur Erde.
Udo Vollmer hatte Feierabend, wanderte durch den knirschenden Schnee und genoss die Stille, als er plötzlich ein Zischen hörte. Unwillkürlich zog er den Kopf ein, als etwas mit wahnsinniger Geschwindigkeit durch die Luft sauste, ihn knapp verfehlte und in einer Schneewehe direkt vor ihm einschlug, fast wie ein Meteorit.
Pulverschnee wurde aufgewirbelt und hüllte Udo ein. Ein paar Vögel flatterten erschrocken aus dem Dickicht und flogen schimpfend davon.
Verwirrt schaute Udo sich um. Im ersten Moment glaubte er, dass jemand einen Schneeball nach ihm geworfen hatte, aber nein, dafür war dieses Etwas viel zu schnell gewesen und zu hart gelandet.
Vorsichtig ging er näher und sah ein Männlein aus einem Einschlagkrater kriechen. Es rappelte sich auf, hustete und klopfte sorgfältig den Schnee von seinem blauen Mantel. Danach strahlte es Udo an. „Hallo!“
Udo sagte nichts. Er starrte das kleine Wesen mit den spitzen Ohren, dem Nektarinengesicht und den himmelblauen Haaren einfach nur an.
„Heute ist dein Glückstag“, plapperte es munter los. Dann warf es sich in die magere Brust. „Denn ich bin ein Wünschwas.“
Udos Augen verengten sich zu argwöhnischen Schlitzen. „Was ist das hier? Ein Spaß mit versteckter Kamera?“
„Kamera? Wieso Kamera?“, fragte der Wicht. „Verstehe ich nicht. Ich bin bloß ein Wünschwas und das bedeutet, dass du einen Wunsch frei hast. Einfach so, weil du mir begegnet bist.“
„Wie im Märchen?“
Das Wünschwas nickte.
„Weshalb?“, wollte Udo misstrauisch wissen.
„Weil das die Regeln sind, an die unsereiner sich zu halten hat: Wenn ein Mensch einem Wünschwas begegnet, hat er einen Wunsch frei.“
„Ganz egal, was ich mir wünsche?“
„Ja, völlig gleichgültig!“ Das Wünschwas hörte sich ein wenig großspurig an.
Jetzt lachte Udo dröhnend. Er wusste genau, wie sein Wunsch lautete. Schon immer hatte er sich gewundert, warum in Sagen und Geschichten nie jemand darauf gekommen war: Er würde sich wünschen, unendlich viele Wünsche frei zu haben!
„Gut, wenn das so ist, dann …“ hub er an.
„Entschuldige bitte!“, blökte das Wünschwas dazwischen. „Natürlich musst du die allgemein geltenden Wunderregeln für Fabelwesen und Sagengestalten, Zauberer, Feen, Hexen, Kobolde, Elfen, Engel und Wünschwasse beachten. Und die besagen, dass du dir nicht unendlich viele Wünsche wünschen kannst. Artikel 1, Absatz 2.Tust du es doch, so vermag ich diesen Wunsch nicht zu erfüllen, denn das übersteigt meine Fähigkeiten. Leider.“ Es räusperte sich verlegen und wich Udos Blick aus. Sodann fegte es den Schnee von einem Baumstumpf und setzte sich.
„Aber sonst geht alles?“, wollte Udo wissen.
„Natürlich. Das sagte ich doch schon ... außer die Sache mit den Gefühlen“, gab das Wünschwas kleinlaut zu. „Ich kann nicht die Gefühle der Menschen verändern. Ich kann schlechte Menschen nicht gut machen oder eine Frau dazu bringen, dass sie dich liebt.“
„Und was kannst du sonst nicht?“
„Ich kann nichts Böses tun oder jemandem Schaden zufügen“, flüsterte das Wünschwas. „Eingriffe in die Zeit sind tabu. Ich kann dir weder ewiges Leben noch unvergängliche Jugend schenken, keine Toten erwecken oder Wunderheilungen vornehmen. Dir die Macht zu geben, andere Menschen zu beherrschen oder ihre Gedanken zu lesen, ist ebenfalls unmöglich. Unsichtbarmachung und die Verleihung von Flugfähigkeiten sind verboten. Ebenso kann ich dir keine Unverwundbarkeit schenken und keine magischen Kräfte …“ Nun war das Wünschwas kaum noch zu verstehen, so leise haspelte es die Sätze herunter.
Udo schwieg.
Das Männlein errötete. „Aber immerhin“, meinte es. „Immerhin bleibt dir ein Wunsch!“
Udo seufzte. „Also gut“, lenkte er ein. „Ein stark eingeschränkter Wunsch. Der will sorgfältig durchdacht sein. Wie wäre es mit Geld? Viel Geld?“
Das Wesen lachte schallend. „Das ist überhaupt kein Problem - allerdings auch nicht sehr originell, oder? Wundert es dich, wenn ich dir sage, dass sich jeder Reichtum wünscht? Wirklich jeder! Man wird heutzutage magisch kaum noch gefordert. Dabei gibt es doch Dinge, die viel wichtiger im Leben sind. Aber gut - es soll so sein. Also mach schon und wünsche es dir, damit ich es hinter mir habe.“
Das Männchen stellte sich auf den Baumstumpf, zog einen goldenen Stab aus der Manteltasche und hob die Ärmchen in die Luft wie ein Zauberer.
„Was ist verkehrt an Geld?“, fragte Udo und fühlte sich irgendwie schuftig.
„Nichts“, erwiderte das Wünschwas verächtlich und ließ die Arme sinken. „Gar nichts. Aber Geld allein macht nicht glücklich. Schließlich kann man sich die wirklich wichtigen Dinge nicht kaufen!“
„Nun, wünschen kann man sie sich offensichtlich auch nicht“; entgegnete Udo sarkastisch.
Darauf sagte das Männlein nichts, sondern pfiff nur verlegen „O du fröhliche, o du selige“ vor sich hin, während Udo weiter darüber nachgrübelte, was er sich denn Gescheites wünschen könnte.
Einen Ferrari? Eine Villa? Oder künstlerische Fähigkeiten? Ja, genau! Er wollte schon immer gerne Geschichten schreiben, Autor werden. Das war`s!
„Ich möchte gerne ein berühmter Schriftsteller sein. Meinst du, das könnte ich mir wünschen?“
„Selbstverständlich, da sehe ich keinerlei Schwierigkeiten!“, krähte das Männchen vergnügt. „Das ist sogar ein ausgezeichneter Einfall! Du wirst weltbekannt, wahrscheinlich sogar reich!“ Es zwinkerte ihm zu und gluckste: „Und niemand wird wissen, dass dein Erfolg absolut nichts mit Talent zu tun hat. Außer dir natürlich! Soll ich jetzt …?“
„Nein! Nein ... Warte.“
Udo begann sich zu fragen, ob es tatsächlich solch ein Glück war, dass er das Wünschwas getroffen hatte. Allmählich war sein sehnlichster Wunsch, dass es sich in Luft auflöste. Aber er hatte so eine Ahnung, dass er das Männchen nicht wegschicken konnte, ohne diesen vermaledeiten Wunsch getan zu haben. Wahrscheinlich war das in irgendeiner sonderbaren Regel genauestens festgelegt, unter Artikel soundso, Absatz irgendwas. Also musste ihm etwas halbwegs Vernünftiges einfallen, mit dem das Männlein zufrieden war. Und er. Wenigstens ein bisschen! Dann wäre dies alles vorbei! Diese Aussicht heiterte Udo nicht unerheblich auf.
Inzwischen schneite es heftiger und ihm wurde kalt. Er trat auf der Stelle, um wieder warm zu werden. Da kam ihm endlich eine Idee.
„Wie wäre es, wenn ich den Wunsch verschiebe? Ich könnte wieder herkommen und dich rufen, wenn mir etwas eingefallen ist.“
„Vergiss es!“ Das Männlein winkte ab. „ Artikel 5, Absatz 7 A und B besagen, dass Wünsche weder aufschiebbar noch übertragbar sind.“
Nun hatte Udo endgültig die Nase voll! Er wollte nur noch nach Hause, ein Kaminfeuer anzünden und sich die Füße wärmen. Er wollte Weihnachtskarten schreiben und Geschenke einpacken, über ein Festmahl nachdenken und in Ruhe und Frieden ein paar gemütliche Tage mit seiner Frau und den Kindern verbringen. Den Alltag vergessen, zur Christmette gehen und Freunde treffen - einfach den Zauber der Weihnacht in vollen Zügen genießen, um neue Kräfte zu schöpfen.
„Ich wünsche mir für meine Familie und Freunde wunschlos glückliche und friedliche Weihnachtstage, die wir gemeinsam verleben“, sagte er endlich.
Und da gab es einen so furchtbaren Knall, dass ihm beinahe der Herzschlag aussetzte.
„So soll es sein!“, rief das Wünschwas und hüllte sich in eine Wolke aus Schnee und Nebel, in der es verschwand.
Dann war es wieder still.
„Wahrscheinlich sucht es sich ein neues Opfer“, murmelte Udo und empfand tiefes Mitleid mit dieser Person. Er machte sich auf den Heimweg und begann leise vor sich hinzusummen.
Doch Udo irrte sich, was das Wünschwas anging. Kaum war er gegangen, kam das kleine Wesen hinter einer mächtigen Tanne wieder zum Vorschein. Es zupfte seinen Mantel zurecht und streckte ein Paar strahlendweißer Flügelchen aus.
„Feierabend für heute!“, sagte es zufrieden.
Eine winzige Flaumfeder löste sich und schwebte zu Boden, als das Geistchen der Weihnacht seine Flügel spreizte und zum Himmel aufstieg.
Es wird doch jedes Jahr schwieriger, den Menschen etwas Vorfreude, Besinnlichkeit und Nächstenlieben einzubläuen, dachte das Geistchen der Weihnacht bei sich. Aber die Masche mit dem Wünschwas, die läuft ziemlich gut. Es lachte in sich hinein, als es von unten Udo hörte, der gerade lauthals die erste Strophe eines Weihnachtliedes sang:
„O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit!
Welt ging verloren, Christ ist geboren:
Freue, freue dich, o Christenheit!“
© Sabine Ludwigs

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Der Weihnachtskaktus von Evelyn Sperber-Hummel



Er sammelte Kakteen. Rundliche und schlanke, solche, die sich kugelig aufblähten, und solche, die sich bezarr verzweigten. Manche blühten. Andere verzichteten auf jeglichen Schmuck und begnügten sich damit, ihre prallen Körper und Glieder in die Luft zu strecken. Mit den Jahren war eine hübsche Sammlung zusammengekommen. Uwe pflegte seine Schützlinge liebevoll. Und er freute sich jedesmal, wenn er ein weiteres Exemplar für seine stachelige Gesellschaft geschenkt bekam.
„Der Junge macht mir Sorgen“, meinte der Vater eines Tages. Für einen 14jährigen Buben erschien ihm sein Sohn viel zu still. Wenn er wenigstens Briefmarken gesammelt hätte. Uwes Vater hatte in seiner Kindheit Fußball gespielt und auch sonst richtige Jungensachen getrieben. Es enttäuschte ihn, daß ausgerechnet sein Sohn so gänzlich aus der Reihe schlug.
„Laß ihn doch“, beschwichtigte die Mutter den Vater, wenn er sich gar zu sehr über den "Blumenboy“, wie er Uwe zu nennen pflegte, aufregte. „Laß ihn doch. Die Kakteen machen ihm Freude. Andere Kinder sitzen stundenlang vorm Fernsehapparat. Unser Uwe beschäftigt sich eben mit seinen Pflanzen. Das ist doch nicht schlimm.“
Meist gelang es ihr, den Vater zu besänftigen. „Ja, ja“, murmelte er dann, „du hast ja recht. Aber es wäre doch schön, wenn sich unser Uwe wie ein richtiger Junge benähme.“ Dabei seufzte er.
Die Jahre vergingen. Uwe bereitete den Eltern sonst keinerlei Probleme. In der Schule lief alles nach Plan. Er machte sein Abitur als Bester von der Klasse.
„Ich bin stolz auf dich, mein Sohn“, sagte der Vater. Er sah seinen Uwe schon als Rechtsanwalt oder als Arzt oder gar als Professor. „Ich bin sehr stolz auf dich.“
„Ich will Gärtner werden“, sagte Uwe.
Der Vater starrte ihn an. „Gärtner? Mit d e m Numerus clausus?“
Auch die Mutter wunderte sich und konnte nur schwer ihre Enttäuschung verbergen.
„Ich will Gärtner werden. Das wißt ihr doch schon seit Jahren.“
Ja, Uwe hatte irgendwann einmal davon gesprochen, daß es sein Traum wäre, in einer Gärtnerei zu arbeiten. Aber damals war er noch ein Kind. Kinder haben viele Träume. Uwes Vater erinnerte sich daran, daß er als Junge Astronaut werden wollte. Oder wenigstens Pilot oder Rennfahrer. Jetzt verdiente er als Steuerberater sein Geld. Kinderträume! „Du wirst auf jeden Fall studieren“, erklärte der Vater, „von mir aus Gartenbauarchitektur oder Landschaftspflege, wenn du unbedingt in diese Richtung gehen willst.“
„Ich werde eine Lehre als Gärtner machen.“ Uwes Stimme klang fest. „Vielleicht spezialisiere ich mich später einmal, aber im Augenblick möchte ich nichts weiter, als ganz normal von der Pieke auf den Beruf des Gärtners erlernen.“ Dabei blieb er auch in den folgenden Tagen und Wochen. Da halfen alle Überredungskünste seiner Eltern nichts. Uwe begann mit der Lehre.
„Schuld sind nur diese blöden Stacheldinger.“ Der Vater spürte plötzlich eine ohnmächtige Wut auf alle Kakteen. Man mußte sie ausrotten, mit Stumpf und Stil mußte man sie vernichten. Und das tat er dann auch. Als Uwe am Abend nach Hause kam, fand er seine Schützlinge zerquetscht und zerhackt im Mülleimer. Der Vater hatte ganze Arbeit geleistet.
Da packte Uwe seinen Koffer und ging.
Die Mutter weinte.
Der Vater sagte: „Der kommt schon wieder.“
Aber Uwe kam nicht wieder.
Wochen vergingen.
„Du mußt ihn zurückholen“, sagte die Mutter. Sie litt unter der Trennung.
„Er wird schon von alleine kommen.“ Doch Uwes Vater glaubte inzwischen selbst nicht mehr daran. Es gelang ihm immer weniger, seine Gewissensbisse zu verdrängen.
Weihnachten kam.
„Wir können doch nicht ohne unseren Uwe Weihnachten feiern.“ Die Mutter weinte.
Der Vater nickte. „Nein, ohne ihn können wir nicht feiern.“
Am 24. Dezember machte er sich auf den Weg zu seinem Sohn. Er klingelte an Uwes Tür.
„Du?“
„Ich habe dir etwas mitgebracht.“ Der Vater stellte einen Weihnachtskaktus auf Uwes Tisch.
Die beiden Männer lächelten sich an.
Es wurde ein schönes Weihnachtsfest.

© Evelyn Sperber-Hummel

Dienstag, 20. Dezember 2011

Felix und der Elf der Zeit von Martina Decker

Felix hatte es sich auf dem breiten Fensterbrett in der Küche gemütlich gemacht. Seine Mama stand am Küchentisch und rührte den Teig für die Zimtwaffeln, die er so gerne mochte und die es wirklich nur an Weihnachten gab. Schon der Gedanke an das zarte, knusprige Gebäck ließ Felix das Wasser im Munde zusammenlaufen.

Der Junge hockte mit angezogenen Beinen an den Rahmen gelehnt und schaute hinaus in den Garten. Seit einer halben Stunde schneite es in dicken Flocken und langsam deckte der Schnee die Rasenfläche zu und die beiden Tannenbäume am Zaun sahen aus, als hätte Mama sie mit Puderzucker bestäubt.

Obwohl es erst früh am Nachmittag war, lag die Welt hinter dem Fenster schon in Dunkelheit. Die Straßenlaternen warfen ihr Licht auf die Straße, und wenn ein Auto vorbeifuhr, spritzte der Matsch manchmal bis an Frau Hubers Hauswand.

Felix hatte kurz überlegt den Schlitten aus der Garage zu holen und rodeln zu gehen. Aber Sebastian war mit seinen Eltern zu seiner Oma gefahren und Mira hatte eine Erkältung. Also hatte Felix beschlossen, statt dessen lieber bei Mama in der Küche zu sitzen und darauf zu warten, dass sie die Plätzchen aus dem Ofen holte. Dann konnte er naschen und die übrigen mit buntem Zuckerguss und Streuseln oder Schokolade verzieren.

Felix beobachtete gedankenverloren den blinkenden Stern im Fenster von Frau Huber. „Rot – blau – gelb – blink – blink – rot - blau – gelb …“ murmelte der Junge im Takt der Lichter.

Im Haus daneben wohnte Herr Nolte. Bei ihm hingen keine blinkenden Sterne im Fenster. Dafür hatte der Mann einen Tag vor dem ersten Adventssonntag einen großen, uralten Schlitten in den Vorgarten gestellt. Felix durfte ihm helfen, die Lichtergirlande um die Streben zu wickeln und dann hatten sie gemeinsam viele Geschenkkartons aufgeladen und so miteinander verklebt, dass auch ein stürmischer Wind ihnen nichts anhaben konnte.

Die bunte Folie glitzerte im Lichterschein und man konnte wirklich glauben, der Weihnachtsmann würde jeden Moment kommen und die Rentiere vorspannen.

Felix seufzte. Den Weihnachtsmann gab es doch gar nicht und fliegende Rentiere auch nicht. Alles nur ein Märchen, das sich die Erwachsenen ausgedacht hatten um … Ja, warum eigentlich?

Seit Tagen suchte er darauf eine Antwort und mit jedem Tag wurde seine Wut auf Mama und Papa größer. „Erzähl uns bitte keine Lügen!“ hatten sie ihn immer gemahnt und gesagt, dass „Lügen kurze Beine haben“. Die Wahrheit würde sowieso ans Licht kommen und dann wäre alles doppelt so schlimm.

Und nun hatte er herausbekommen, dass Mama und Papa ihn seit Jahren belogen hatten. Es gab keinen Weihnachtsmann, keine Wichtel und Elfen und wahrscheinlich auch keinen Osterhasen.

Wie sollte er ihnen denn jetzt noch vertrauen können?

Felix lehnte nachdenklich die Stirn an die kühle Scheibe.

Grad in diesem Moment sah seine Mama zu ihm herüber. Verwundert strich sie sich die Hände an der bunten Schürze ab und ging auf ihren Sohn zu. „Was ist denn heute bloß mit dir los?“ fragte sie besorgt und legte ihm die Arme um die Schultern.

„Nichts!“ meinte Felix einsilbig.

„Dafür wirkst du aber reichlich bedrückt“, gab Mama zur Antwort. Natürlich glaubte sie ihm kein Wort, aber sie wusste auch: Felix konnte ein rechter Sturkopf sein, und wenn er nicht reden wollte, dann musste sie geduldig sein. Liebevoll drückte sie ihm einen Kuss auf den blonden Schopf und gemeinsam schauten sie eine Weile schweigend aus dem Fenster.

„Wenn es so weiter schneit, wird der Weihnachtsmann kein Problem haben, uns morgen mit dem Schlitten zu erreichen“ meinte Mama schließlich.

„Mama! Ich bin kein Baby mehr!“ gab Felix unwirsch zurück und wand sich aus der Umarmung. „Es gibt keinen Weihnachtsmann!“ sagte er sehr vorwurfsvoll.

Mama zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Darüber dachte ihr Sohnemann also die ganze Zeit nach. „So? Woher weißt du denn das so sicher?“ fragte sie und setzte sich zu ihm auf die Fensterbank.

„Das sagen alle. Der Max und der Toby und die Maren …“

„Und denen glaubst du mehr als mir?“ Mama klang richtig traurig und es tat Felix schon leid, dass er überhaupt davon angefangen hatte. Aber nun gab es kein Zurück mehr. „Außerdem geht das gar nicht“ argumentierte Felix schnell, „Die Welt ist so groß, keiner kann in einer Nacht überall hinfahren und auch noch Geschenke verteilen.“ Der Junge machte ein wichtiges Gesicht.

Er war acht Jahre alt und ging in die dritte Klasse. Im Erdkundeunterricht hatte er vor ein paar Wochen eine Weltkarte gesehen und war noch immer sehr beeindruckt. Frau Schneider, seine Lehrerin, hatte mit einer Stecknadel die Stelle markiert, wo in etwa Hummelndorf war. Schon aus der zweiten Reihe hatte er die Nadel gar nicht mehr auf der großen Karte erkennen können. Da war es ihm ganz klar gewesen: Die Welt war viel größer, als er sie sich je vorgestellt hatte! Und Hummelndorf war im Gegensatz dazu winzig klein.

„Nein, da hast du natürlich recht“ meinte seine Mama. „Normalerweise geht das nicht. Aber Weihnachten ist ja auch etwas ganz Besonderes. Weihnachten ist Zauber und Magie.“

„Gib dir keine Mühe, Mama!“ erwiderte Felix trotzig. „Es gibt keinen Weihnachtsmann!“

„Na, wenn du dir da so sicher bist!“ Mama zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wissen deine Freunde ja wirklich mehr als ich."Sie wandte sich wieder dem Teig zu. „Hol doch bitte mal das Waffeleisen aus dem Schrank im Keller. Ich bin gleich mit dem Teig soweit und dann kann es losgehen.“

Felix nickte verwirrt. Mama versuchte nicht einmal, ihn zu überzeugen, dass er oder seine Freunde Unrecht hatten.

Dann war es also wahr! Aber wer hatte denn dann seinen Wunschzettel? Den, den er wie jedes Jahr pünktlich zum ersten Advent an den Weihnachtsmann geschickt hatte. Und wer hatte ihm geantwortet? Der Brief letzte Woche war mit „Santa Claus“ unterschrieben und es war eindeutig nicht Mamas oder Papas Handschrift gewesen.

„Hallo, junger Mann!“ holte ihn Mama aus seinen Gedanken. „Das Waffeleisen …“

Drei große Keksdosen voller Zimtwaffeln standen schließlich auf dem Esstisch. Der süße Duft hing in der ganzen Wohnung. Felix hatte ordentlich genascht und nun war ihm ein bisschen übel. Als Mama zum Abendessen rief, machte er ein bedrücktes Gesicht.

„Dafür, dass morgen schon Weihnachten ist, schaust du aber nicht sehr fröhlich drein,“ meinte sein Papa. Felix zuckte mit den Schultern und biss lustlos in sein Käsebrot.

„Er wird zu viel genascht haben,“ schmunzelte Mama, „und außerdem weiß er jetzt die ganze Wahrheit über den Weihnachtsmann.“ Dass sie Papa dabei zuzwinkerte, entging Felix.

„Die ganze Wahrheit?“ Papa schien etwas ratlos.

„Es gibt keinen Weihnachtsmann! Ihr habt mir nur ein Märchen erzählt,“ schimpfte Felix aufgebracht. „Und weißt du was? Das finde ich gemein.“

„Und wer, glaubst du, bringt die Geschenke, wenn es nicht der Weihnachtsmann tut?“ Papa sah ihn ernst an. Wenn er sonst Scherze machte, bildeten sich um seine Augen kleine Fältchen. Aber Felix konnte keine entdecken.

Er kam ins Grübeln….

© Martina Decker

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