Mittwoch, 30. November 2016

Julian und der ausgefallene Wunsch von Lutz Schafstädt



1. Das muss ich haben

Julian und der neue Wunsch begegneten einander in den Herbstferien, an einem rasanten Nachmittag im Zimmer seines Freundes Leon. Julian kannte die Spielkonsole vom Hörensagen, doch einmal selbst mit der Steuerung in der Hand vor dem Monitor zu sitzen und auf dem Parcours den Rivalen davonzujagen war einfach atemberaubend. Als würde er wirklich im Cockpit eines Rennwagens Platz genommen haben. Das hatte er so nicht erwartet. Diesen Kasten wollte er auch. Der neue Wunsch sprang ihn an und fegte alles beiseite, was Julian sich bisher an Erstrebenswertem vorgemerkt hatte.
Es war ein großer Wunsch, das war klar. Damit er Wirklichkeit würde, musste er nicht nur verkündet sondern glaubhaft, geschickt und dringlich begründet werden. Er durfte nicht als fixe Idee abgetan oder durch eine beliebige Alternative ersetzt werden. Genau diese eine Konsole musste es sein.
Leon verstand das sofort und gab zu bedenken, etwas Vorzeigbares wäre womöglich nützlich, damit nichts schief gehe. Vielleicht nach einem Werbeprospekt suchen? Viel besser, ja perfekt, ist die Bedienungsanleitung! Leon kramte nach ihr im Schubfach. "Wiedersehen macht Freude."
So kam es, dass Julian seinen neuen Wunsch flammend im Herzen und gleichzeitig auf dem Gepäckträger seines Fahrrades mit nach Hause nahm. Fast fühlte es sich an, als hätte er Verstärkung dabei, ein Triebwerk, das ihn noch kräftiger in die Pedale treten ließ. Ohne Mühe vermochte er sich wie in einem Film vorzustellen, wie die unscheinbare Broschüre sich in ein prächtiges Paket verwandelte, dem er stürmisch das Geschenkpapier vom Leibe riss, seinen Inhalt aus dem Styropor schälte und damit eilig Verbindung zur nächsten Steckdose herstellte. Plug and Play. Nichts begehrte er mehr als dieses Wunderding.
Für den Weg von der Garage ins Haus steckte Julian das dünne Heftchen unter seine Jacke und deponierte es dann unter seinem Sitzkissen auf dem Küchenstuhl. Für den richtigen Moment.
Wenig später war der Tisch gedeckt und Familie Müller - Mama, Papa und Julian - versammelte sich zum Abendbrot.
Noch eine Minute warten, mahnte Julian sich zur Geduld. Erstmal eine Schnitte aufs Brettchen, das Messer in die Margarine, eine Scheibe Kochschinken vom Wurstteller, drei Löffel Schoko in die Milch. Eine Minute kann endlos sein.
Jetzt aber. "Heute Nachmittag bei Leon haben wir Autorennen gespielt." Kein schlechter Anfang, das Interesse war geweckt. Papa tippte auf Teppichrennbahn, da lag er aber falsch. "Nein, ein Computerspiel. Ganz neu und mega cool." Jetzt schnell weiter, bevor Mama etwas von Stubenhockern dazwischen plappern kann.
Während er erzählte merkte Julian, wie das Wörtchen cool versuchte, sich in jeden Satz zu drängeln. Aber so war es ja auch: wie in echt, total schnell und voll cool. Kein Vergleich mit Super Mario und seinem Gemurkse auf dem Minibildschirm. Und wie die Rennwagen in den Kurven liegen, über die Begrenzung fliegen, ineinander krachen.
Hibbelig rutsche Julian auf seinem Stuhl herum, brauchte beide Hände um die bombastischen Effekte zu beschreiben, ahmte das Dröhnen der Motoren und das Quietschen der Bremsen nach. Als sich seine Stimme vor Begeisterung zu überschlagen drohte merkte Julian, dass sein Temperament auf ziemlich kindliche Weise mit ihm durchgegangen war. Das hatte er etwas abgeklärter geplant.
"Eine irre Maschine, die Leon da hat." Er biss von seiner Stulle ab und schlürfte am Kakao. Alle Vorbereitungen waren getroffen, jetzt musste der Wunsch heraus. Durchatmen, mit dem Handrücken über den Milchbart, dann der Griff unter das Kissen.
"Ich wünsche mir zu Weihnachten eine Playstation." Wie erwartet sprangen die Blicke der Eltern zur Broschüre hinüber. "Genau die hier."
Papa streckte als erster die Hand danach aus, doch Julian zuckte auf halbem Weg noch einmal zurück. "Aber nicht fettig machen, ist nur geborgt." Das stimmte zwar, nur schlau war gerade jetzt dieser Hinweis nicht, wie sofort an den Brauen des Vaters abzulesen war. Nur schnell hinüber mit dem Ding, bevor noch eine Dummheit herausplatzt.
"Moment", sagte der Vater und wischte sich, während er das O im Wort dehnte, folgsam die rechte Hand am Hosenbein ab. "Nun zeig her, das wertvolle Heft."
Er blätterte die Seiten um, doch längst nicht so gründlich, wie Julian es für angemessen gehalten hätte. Dann gab er die Bedienungsanleitung an Mama weiter.


© Lutz Schafstädt

Wie es weitergeht, und ob Julians Wunsch erfüllt wird, steht in der Fortsetzung. 


 Eine weitere Weihnachtsgeschichte und 17 weitere Erzählungen sind in
seinem Buch "Nadelprobe" enthalten. Seine Bücher sind auf der Autorenseite zu finden.


Lutz Schafstädt ist Jahrgang 1960, lebt in Potsdam und ist Autor. Mehr
Informationen über ihn gibt es auf seiner Website
http://www.lutz-schafstaedt.de

Dienstag, 29. November 2016

Der hässliche Weihnachtsbaum von Britta Kummer





Wie jedes Jahr wollte Familie Sorglos, bestehend aus Vater, Mutter und Klein-Ida, gemeinsam einen Weihnachtsbaum für das bevorstehende Weihnachtsfest kaufen. Das war schon Tradition, nur diesmal waren sie von der Zeit her sehr spät dran und die meisten Weihnachtsbäume bereits verkauft. Eine Baumschonung, in der man seinen eigenen Baum schlagen konnte, gab es in der Nähe nicht. Also mussten sie sich darauf hoffen, dass die Verkäufer in der Stadt noch welche hatten. Kein Baum gefiel Familie Sorglos, entweder war er zu klein oder zu krumm gewachsen oder sie hatten irgendetwas anderes an den Bäumen auszusetzen. Als sie beim letzten Baumhändler ankamen, sahen sie, dass dieser nur noch einen Baum hatte, an dem überhaupt nichts Schönes zu erkennen war.
Er war sehr klein, hatte nur vereinzelte kleine Zweige und die Baumspitze zeigte zur Seite. Aber aus welchem Grund auch immer, Ida mochte diesen Baum und fand ihn wunderschön.
„Papa, das ist genau der richtige Baum für uns“, sagte sie zu ihrem Vater. „Ich weiß es genau.“
„So ein Baum kommt mir nicht ins Haus“, erwiderte er. „Bevor der aufgestellt wird, gibt es dieses Jahr zu Weihnachten überhaupt keinen.“
Ida schaute ihren Vater entsetzt an. „Weihnachten ohne Weihnachtsbaum ist doch kein richtiges Weihnachten“, sagte sie trotzig. „Bitte überleg es dir noch einmal.“
„Nein, da gibt es nichts zu überlegen.“
Ida fing an zu weinen. Die Tränen liefen ihr über die Wange. Sie konnte sich ein Weihnachtsfest ohne Baum nicht vorstellen. Er gehörte für sie dazu und es war für sie immer etwas Besonderes, ihn liebevoll zu schmücken. Doch der Vater blieb hart. Ida weinte immer mehr, bis sich schließlich die Mutter zu Wort meldete.
„Denk an die Kleine. Willst du ihr das ganze Fest verderben? Das willst du doch nicht“, sagte die Mutter. „Du weißt genau, wie glücklich sie jedes Jahr mit ihrem Baum ist.“
Der Vater dachte nach, ließ sich schließlich erweichen und der Baum wurde gekauft.
Ida konnte es kaum erwarten, bis sie zu Hause waren. Sie freute sich so sehr auf das Schmücken, sodass sie die Eltern während der ganzen Rückfahrt nervte, sie sollten sich beeilen. Zu Hause angekommen wurde er in den Ständer gestellt, aber er sah auch dort nicht besser aus.
„Das kriegst du nie hin, dass der schön aussieht, selbst mit Schmuck wird er immer hässlich bleiben, glaub es mir“, sagte der Vater zu seiner Tochter. „Ich wünsche dir viel Spaß dabei, aber lass mich bitte mit dem Schmücken in Ruhe. Du wolltest dieses Ding und jetzt bist du auch dafür verantwortlich, wie er später aussieht. Ich will damit nichts zu tun haben.“
Das Mädchen gab sich alle Mühe. In ihrem Kopf hatte sie genau ein Bild davon, wie das Endwerk aussehen sollte. Mit viel Liebe und Hingabe verwandelte sie dieses hässliche Etwas in ein kleines Kunstwerk. Überall hingen bunte Kugeln, kleine Engel und Lämpchen. Durch den  Schmuck fiel die kleinen zweige nicht mehr auf. Nun musste nur noch der große Stern befestigt werden. Da Ida zu klein war und sie ihren Vater nicht fragen wollte, bat sie die Mutter um Hilfe. Trotz der krummen Baumspitze, ließ sich der Stern problemlos befestigen. Irgendwie war diese krumme Spitze wie für diesen Stern gemacht. „Fertig“, sagte Ida. „Ist er nicht schön?! Das ist der schönste Weihnachtsbaum, den wir bisher hatten, genau so habe ich ihn mir vorgestellt“, sagte sie strahlend.
Die Mutter nahm sie liebevoll in den Arm und lobte sie, dass sie aus diesem Baum so einen schönen Weihnachtsbaum gemacht hat. Nun kam auch der Vater ins Zimmer und traute seinen Augen nicht. War das wirklich der hässliche Baum, den sie gekauft hatten?
„Gut gemacht“, lobte er seine Tochter und diese Worte aus seinem Mund zu hören machte sie sehr stolz.
„Nun wird es doch noch ein schönes Weihnachtsfest“, sagte sie mit strahlenden Augen. Als die Eltern ihre Tochter so glücklich sahen, wurde ihnen richtig warm ums Herz. Nun wussten auch sie, dass das diesjährige Weihnachtsfest etwas ganz Besonderes werden würde und so war es dann auch.
© Britta Kummer

Geschichte aus:
Weihnachten … und noch mehr
Taschenbuch: 60 Seiten
Verlag: Books on Demand; Auflage: 1 (2. Oktober 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3738645535
ISBN-13: 978-3738645538
Auch als E-Book erhältlich!

Britta Kummer ist Autorin. Sie schreibt Kinder-, Jugend- und Kochbücher, wurde in Hagen geboren und wohnt heute in Ennepetal. Inzwischen ist auch ein Buch zum Thema MS auf dem Markt. Ihr Buch „Willkommen zu Hause, Amy" wurde im Januar 2016 mit dem Daisy Book Award ausgezeichnet. Der Kärntner Lesekreis „Lesefuchs“ vergibt in unregelmäßigen Abständen diese Auszeichnung für gute Kinder- und Jugendliteratur. http://brittasbuecher.jimdo.com/

Montag, 28. November 2016

Eine längst vergangene Weihnacht von Kerstin Ax



https://www.amazon.de/Eine-l%C3%A4ngst-vergangene-Weihnacht-Kerstin-ebook/dp/B01M5I1R7H/ref=sr_1_1?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1478956708&sr=1-1
Kelly hatte den Anhänger auf dem Küchentisch abgelegt und suchte gerade nach einem Reinigungstuch in ihrem Küchenschrank, um das kostbare Stück damit zu polieren. Dann klingelte das Telefon und sie hob ruckartig den Kopf. Ein lauter Rums ertönte, während ein stechender Schmerz durch ihren Schädel fuhr. Leicht taumelnd ging sie an den Küchentisch und setzte sich. Vorsichtig betastete sie ihren Kopf und sah dann an ihren Fingern nach, ob daran Blut klebte. Das Telefon hatte schon längst aufgehört zu läuten. Seufzend betastete sie erneut ihren Kopf und spürte eine dicke Beule.
„Ganz toll“, murmelte sie verärgert und stellte zu allem Übel auch noch fest, dass ein Reinigungstuch direkt neben der Spüle lag. Also waren der ganze Aufwand und ihre Verletzung auch noch ganz umsonst gewesen. Sie holte das Tuch und setzte sich wieder an den Küchentisch. Vorsichtig rieb sie damit über den Anhänger. Dabei erinnerte sie sich an längst vergangene Weihnachtsfeste. Es war immer so aufregend für sie gewesen, wenn sie ihrer Mum geholfen hatte, das ganze Haus weihnachtlich zu dekorieren. Und dann erst der langersehnte Moment, wenn die von ihrem Dad angebrachte Außenbeleuchtung zum ersten Mal eingeschaltet wurde und die ganze Familie gespannt zugesehen hatte … ! Kelly musste lächeln, als sie an den Duft der selbstgebackenen Plätzchen dachte, der die Küche in ihrem Elternhaus zur Weihnachtszeit erfüllt hatte. Sie vermisste ihre Familie und den Trubel der Vorweihnachtszeit. Ja, sogar die nervigen Anrufe ihrer Mum, die sie wegen jeder Kleinigkeit anrief, während sie das Familienfest vorbereitete und wie in jedem Jahr kurz davor war, alles hinzuschmeißen.
„Ich werde mit deinem Dad einfach in den Urlaub fahren und an Weihnachten mit einem Glas Piña Colada unter der karibischen Sonne mit ihm auf die Familie anstoßen!“, hatte sie schon oft in den Telefonhörer gemeckert, aber das hatten ihre Eltern bis jetzt noch nie getan und das würden sie auch hoffentlich nie tun. Dafür liebte ihre Mum das Weihnachtsfest und den dazugehörigen Trubel einfach viel zu sehr. Kelly runzelte die Stirn. Vielleicht saßen sie aber auch gerade in einem Flugzeug und ihre Mum machte ihre Drohung tatsächlich wahr. Denn in diesem Jahr war alles anders. Nach dem Streit war alles anders und Kelly wusste nicht, wie sie das ungeschehen machen konnte. Traurig starrte sie auf den Anhänger und rieb dann langsam mit dem Tuch weiter. Auf einmal wurde ihr schwarz vor Augen. Sie versuchte sich gerade noch an der Tischkante festzuhalten. Doch zu spät. Sie kippte zur Seite und hatte das Gefühl endlos tief zu fallen.

Klappentext
Kelly liebt es, über Flohmärkte zu gehen und alte Schätze zu entdecken. Dabei findet sie einen außergewöhnlichen Weihnachtsbaumanhänger: Er hilft ihr zu verstehen, was wirklich wichtig an Weihnachten ist, und schickt sie auf eine ganz besondere Reise.





Autorin:
Kerstin Ax wurde 1982 in einer mittelhessischen Kleinstadt geboren und lebt noch heute mit ihrem Mann dort. Im Jahr 2009 veröffentlichte sie ihren ersten Roman „Geheimakte Eden – Jedes Ende hat auch einen Anfang“ und belegte einen Kurs an der Hamburger Schule des Schreibens den sie im Jahr 2012 erfolgreich abschloss. Im selben Jahr veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman „12 Briefe und ein Wunder“. Danach folgte der Roman „Mandelzauber“ und mehrere Kurzgeschichten.