Montag, 25. Dezember 2017

Heiße Hühnersuppe von Sigrid Wohlgemuth

Foto von Sigrid Wohlgemut
Griechische Insel Kreta, 1. Weihnachtsfeiertag, Emmanoúil. Obwohl mein Namenstag offiziell am 26. Dezember stattfand, feierten die Dorfbewohner ihn bereits einen Tag zuvor, denn in der Geschichte stand niedergeschrieben, dass Jesus diesen Namen trug. Sein Geburtstag wurde mein Namenstag. Tagelang bereitete meine Mutter die Speisen zu. Im gesamten Haus duftete es. Ich liebte diesen Geruch, nach süßem und herzhaftem zugleich. Wir waren eine fünfköpfige Familie. Meine Eltern, die sich in der Mitte ihres Lebens befanden, meine beiden älteren Geschwister, Bruder Tákis, Schwester Mélissa und ich. Am Festtag gaben sich die Gäste die Türklinke in die Hand. Prosteten mir zu und griffen bei den Gerichten reichlich zu. Mein Bruder und ich verdrückten uns, zusammen mit den anderen Jugendlichen. Unser Weg führte zum Dorfplatz, wir unterhielten uns und flirteten mit den Mädchen, die sich dazugesellten oder schüchtern lächelnd vorbeigingen. Der Mond leuchtete hell, sodass die Straßenbeleuchtung zu verblassen schien. Freilaufende Hunde jagten Katzen, die sich Nahrung in den städtischen Müllcontainern suchten. Für diesen einen Tag wurde die Olivenernte unterbrochen. Es war friedlich in den engen Gassen und die Kirchturmglocke erklang zum Abendgebet. Am nächsten Tag ging Vater seiner gewohnten Arbeit im Steueramt nach. Mutter und wir Kinder ernteten, gemeinsam mit den Großeltern, im Hain die Oliven. Nach Neujahr fuhren meine Geschwister und ich in unterschiedliche Richtungen zu unseren Schulen. Seit dem fünfzehnten Geburtstag wohnten wir in verschiedenen Städten. Vaters Gehalt verschaffte uns eine gute Ausbildung. Zusätzlich erlernten wir, an privaten Schulen, Deutsch und Französisch. Tákis und ich Gitarre, da wir gerne musizierten. Die Eltern erbauten für jedes Kind ein Haus, direkt am Meer. Mélissas Anwesen war das größte, sie würde es als Mitgift zur Hochzeit erhalten. Wir Jungs sollten studieren. Vater hoffte, wir würden an den besten Universitäten des Landes angenommen werden. Von Tákis wünschte er sich die Anwaltslaufbahn und in mir sah er einen Chirurgen. Vater legte jeden Cent, der nicht in die Hausbauten floss, für unsere Ausbildung zurück. Das Einzige, was sich Vater leistete waren seine drei Hunde, mit denen er auf Hasenjagd ging, sobald die Saison anfing. Uns Buben nahm er gerne mit und hin und wieder Mélissa, obwohl er es lieber sah, wenn sie bei der Mutter die kretische Küche erlernte und Handarbeiten für ihre Aussteuer fertigte.
Unserer Familie ging es gut. Wir hatten keine finanziellen Sorgen und es dachte niemand darüber nach, dass es eines Tages anders kommen könnte.
Einige Jahre später traf es uns massiv. Wirtschaftskrise! Während der Nachrichtensendung wurde die Hiobsbotschaft bekannt gegeben. Ich war gerade zu Besuch bei den Eltern und kann mich genau daran erinnern, wie geschockt mein Vater schien und meine Mutter sich vor Schreck die Hand vor den Mund hielt, um nicht aufzuschreien. Schlagartig wurden neue Reformen eingeführt. Entlassungen, Streichungen und vielfache Steuererhebungen gehörten von nun an zur Tagesordnung. Mélissa war bereits verlobt und die Hochzeit sollte im folgenden Jahr stattfinden. Tákis und ich hatten mit dem Studium in Athen angefangen.
Zuerst wurde Vaters Gehalt gekürzt, dann das Steueramt, indem er arbeite geschlossen. Er verlor seine Stelle. Mit dem Verkauf von zwei Grundstücken konnte er die Familie für einige Zeit ernähren. Die Hausbauten wurden eingestellt, die Sorgen um die Ausstattung von Mélissas Hochzeit bedrückten ihn. Mein Bruder und ich brachen das Studium ab und kehrten zurück nach Kreta, um der Familie beizustehen. Wir versuchten es mit jeglicher Art von Arbeit. Tauschhandel stand an Geldesstelle. Arbeit gegen Arbeit, Gemüse für Kartoffeln. Unaufhaltsam hielt das System an auferlegten Bedingungen für den Rettungsschirm fest. Geschäfte wurden geschlossen, Stellen wegrationalisiert, die Arbeitslosenquote stieg und viele suchten im Ausland nach einer Erwerbsmöglichkeit. In den Supermärkten standen Körbe bereit, in denen Käufer Lebensmittel spenden konnten. Sie wurden dann an die Minderbemittelten verteilt, die täglich zunahmen. Ich sah meinem Vater die Sorgen um die Familie an. Am meisten belastete ihn, dass er Méllisas Hochzeit nicht ausrichten konnte. Dies belauschte ich bei einem Gespräch meiner Eltern. An einem Sonntag kam Vater von der Jagd nicht mehr nach Hause. Wir fanden ihn in einer Schlucht. Er schien gestürzt zu sein und hatte sich dabei tödlich verletzt. Einen Tag später trugen wir ihn zu Grabe. Bevor der Sargdeckel geschlossen wurde, schwor ich ihm, dass ich alles versuchen würde, um seinen Wunsch zu erfüllen. Damit meinte ich nicht die Hochzeit meiner Schwester, sondern dass ich Arzt werden würde. Mit einundfünfzig war meine Mutter zur Witwe geworden, sie zerbrach daran. Keiner von uns Kindern konnte sie auffangen in ihrem Schmerz, da wir selbst darunter litten. Nach dem Trauerjahr heiratete Méllisa in kleiner Gesellschaft. Tákis kümmerte sich um die übrig gebliebenen Ländereien und blieb bei Mutter. Ich für meinen Teil wollte anfangen Vaters Wunsch zu erfüllen. Ich verließ meine Familie und machte mich auf die Wanderschaft. Überall, wo ich hinkam, fragte ich nach einer Gelegenheitsarbeit und nahm jeglichen Job an, den ich finden konnte. Den größten Teil des Einkommens schickte ich an Mutter, damit sie und mein Bruder genügend zum Leben hatten. Einen kleinen Teil sparte ich für die Überfahrt nach Athen. Dort wollte ich versuchen eine Anstellung zu finden und mir damit das Studium finanzieren. Nach Monaten hatte ich es endlich geschafft, das Geld für die Fähre zusammenzusparen. In Athen angekommen stand ich vor verschlossenen Türen der Universität.
Blauäugig!, schimpfte ich mich, als wenn es auf dem Festland besser um die Wirtschaft bestellt gewesen wäre. Der Staat konnte die Gehälter der Lehrkräfte nicht bezahlen und wann das wieder möglich war, stand in den Sternen. Auf den Stufen sitzend, die Kälte zog in mir hoch, wusste ich mir in dem Moment keinen Rat. Hunger und Durst hatte ich. Mein letztes Geld für die Fahrkarte aufgebraucht. Ich muss hilflos ausgesehen haben, denn plötzlich wurde ich von einer Frau angesprochen, die sich leicht zu mir herunterbeugte.
„Brauchen Sie Hilfe?“ Sie legte eine Hand auf meine Schulter.
Ich sah auf. Wärme ausstrahlende Augen blickten mich an. Doch ich war unfähig zu antworten.
„Junger Mann, Sie sitzen hier und weinen. Kann ich etwas für Sie tun?“ Die Stimme klang vertrauenerweckend.
Ich weinte? Erst da bemerkte ich, dass mir Tränen an den Wangen hinunterliefen. Mit dem Handrücken wischte ich sie weg. Die Frau bewegte sich nicht von der Stelle. Es war mir peinlich. Nie zuvor hatte ich geweint, nicht einmal als Vater … Da hauste die Wut in mir, dass er sich aufgegeben und die Familie verlassen hatte. Emmanoúil! So darfst du nicht denken, schallte ich mich. Dein Vater war bei einem Unfall ums Leben gekommen. In meinem Inneren schrie es, dass er den Schritt in die Tiefe, wegen Ausweglosigkeit gegangen war. Und nun hockte ich auf den eiskalten Stufen. Der Wind wurde stärker und ich fröstelte in meiner dünnen Jacke. Vor mir die Frau, die freundlich auf mich einredete. Langsam erhob ich mich.
„Wissen Sie was, junger Mann, Sie kommen jetzt mal mit mir. Eine kräftige Hühnerbrühe und ein Stück Apfelkuchen wird Ihnen guttun. Kommen Sie“, forderte sie mich ein weiteres Mal auf. Ich folgte ihr. Die Verheißung auf eine warme Mahlzeit war zu verlockend.
„Wie heißen Sie?“, fragte sie, neben mir gehend.
„Emmanoúil.“
„Freut mich, Panagijóta.“ Sie reichte mir die Hand. Trotz der Kälte fühlte sie sich warm an. Erst jetzt schaute ich mir die Frau näher an. Sie schien im Alter meiner Mutter zu sein, hatte schwarze kurze Haare, braune Augen. Ein freundliches Lächeln lag auf ihren Lippen. Ihr aufrechter Gang zeugte von Stolz.
„Sag mal, ich darf dich doch duzen, du könntest mein Sohn sein.“
„Gerne.“
„Was bedrückt dich?“ Panagijóta schien zur Sorte Mensch zu gehören, die nicht lange um den heißen Brei redeten.
„Ich wollte mein Studium wiederaufnehmen. Doch die Universität ist bis auf weiteres geschlossen.“
„Die Krise, mein Junge, die Krise. Schau ...“ Sie zeigte auf einen großen Platz, an dem wir gerade vorübergingen. Dort standen Menschen in einer Schlange. Sie hielten Teller in der Hand.
„Sie warten auf eine warme Mahlzeit. Soweit ist es mit unserem Land gekommen.“ Sie seufzte auf.
Nach zehn Minuten hatten wir ihr Haus erreicht. Klein, doch es sah einladend aus, mit den zahlreichen Grünpflanzen, die die Veranda schmückten. Panagijóta steckte den Schlüssel ins Schloss, knarrend öffnete sich die Tür.
„Ich lege gleich Scheite ins Feuer, damit es wärmer wird.“ Sie schob mich vor sich her in die Küche. Der Duft von Gebackenem stieg mir sofort in die Nase und mein Magen knurrte verdächtig laut.
„Du hast wohl länger nichts Richtiges zu essen bekommen“, meinte Panagijóta, während sie das Holz in den Ofen schob, um kurz darauf den Kessel mit der Suppe zu erwärmen.
Nach dem Mahl, dass köstlich geschmeckt hatte, kamen wir ins Plaudern.
„Ich stamme von Kreta“, sagte ich.
„Das ist ja ein Zufall. Ich bin auf der Insel geboren und werde meinen Lebensabend dort verbringen.“ Freudig lächelte sie mich an. Andächtig hörte Panagijóta zu, als ich von meiner Familie erzählte. Hin und wieder schüttelte sie den Kopf, doch unterbrach mich nicht ein einziges Mal. Nach meinem letzten Satz blieb es für einen Moment still zwischen uns. Sie stand auf und stellte den Apfelkuchen auf den Tisch. Bereitete stumm den Kaffee zu. Als sie sich wieder hingesetzt hatte sagte sie: „Еmmanoúil, es gibt in Thessaloniki eine Universität. Ein weitläufiger Verwandter unterrichtet dort. Ich schreibe dir seine Anschrift auf und du meldest dich bei ihm. Du hast deinem Vater versprochen zu studieren und Versprechen sollte man halten.“ Als ich mich von ihr verabschiedete fühlte ich mich nicht nur gesättigt durch die warme Suppe, sondern auch gekräftigt meinen Weg zu gehen.
Die Zeit des Studiums war wahrhaftig nicht einfach gewesen. Um mir die Uni zu ermöglichen arbeitete ich in einem Krankenhaus für Unterkunft und Essen. Zu Beginn leerte ich die Pfannen der Patienten aus, kümmerte mich um den Müll. Später machte ich dort mein Praktikum. War ich hungrig dachte ich zurück an Panagijótas heiße Hühnersuppe und dies schenkte mir in jeder ausweglosen Situation Kraft und Zuversicht. Niemals kam mir in den Sinn aufzugeben, aus Angst ich könnte Vaters Weg gehen, der für mich eine traumatische Abschreckung war. Die Familie auf Kreta hatte ich seit Jahren nicht gesehen. Meine Rückkehr sollte erfolgen, wenn ich meinen Abschluss in der Tasche hatte und eine Anstellung im Universitätskrankenhaus der Insel erhielt. Erst dann wollte ich zu Vaters Grab und ihm sagen, dass ich seinen Wunsch erfüllt hätte.
Einige Jahre waren in der Zwischenzeit vergangen. Die harte Krisenzeit lag hinter uns. Langsam erholte sich die Wirtschaft. Ich arbeitete bereits einen Monat in der Uniklinik der Insel, hatte öfters meine Mutter und Geschwister besucht. Glücklich stellte ich mit eigenen Augen fest, dass sie die Krise gut gemeistert hatten. Mutter schien sich verliebt zu haben, hatte mir Tákis gesteckt. Ich freute mich für sie, auch wenn Mutter es vor mir geheim hielt. Meine Schwester hatte zwei Jungs zur Welt gebracht. Gerne kam ich meinem Onkeldasein nach, sobald mir mein Dienst Zeit dazu ließ. Mein Bruder fühlte sich wohl als Bauer. Es sagte ihm mehr zu in der Natur zu arbeiten, statt in einem Büro eingeschlossen zu sein. Am Grab meines Vaters bat ich ihn um Verzeihung, wegen meiner Gedanken, über einen selbstverursachten Unfall, um sich damit aus der Misere zu ziehen. 
Es war Weihnachten, Christus Geburt und mein Namenstag.
Ich hatte Spätdienst. Bei der Visite stellte ich fest, dass auf dem Tisch an den Krankenbetten Kerzen brannten. Niemand würde am heutigen Tag für mich ein Fest ausrichten. Für einen Moment sehnte ich mich in meine Jugend zurück. Lächelte bei dem Gedanken, dass mein Bruder und ich immer vor den vielen Gästen abgehauen waren, um im Dorfkern mit den Mädchen zu flirten. Ich wurde in die Notaufnahme gerufen. Schnell setzte ich mich in Bewegung. Gerade kam der Krankenwagen angefahren. Die Türen öffneten sich.
„Patientin, wahrscheinlich Treppensturz. Wir haben Sie dort gefunden, wo sich ein paar Obdachlose aufhalten. Sie war ansprechbar, ungefähr Mitte sechzig, Blutdruck normal, Verdacht auf Unterschenkelfraktur.“
Der Blick der Frau traf auf den meinen. Panagijóta! Ich war mir nicht sicher, ob sie mich erkannte, ihre Sicht schien verschleiert von den verabreichten Schmerzmitteln. Nach den Röntgenaufnahmen stand fest. Wir müssen sofort operieren.
„Sie ist nicht krankenversichert. Wer soll die Kosten übernehmen? Nach dem heutigen System wird es schwer sein, dass wir von der Leitung die Genehmigung dafür erhalten“, sagte der Oberarzt.
„Wir müssen sofort handeln, sonst verliert sie ihr Bein. Welcher Operationsraum ist frei, ich operiere selbst.“
„Du bist Chefarzt, dass ist unmöglich. Wir bekommen Ärger.“
„Wie du sagtest, ich bin hier der Chef. Die Patientin auf die OP vorbereiten, ich trommle mir mein Team zusammen. Heute ist Weihnachten, es wird schwer sein, doch nicht unmöglich.“
Ich beauftragte die Schwester bei den Kollegen anzurufen und sie in die Klinik zu bestellen. Ich wollte das Panagijóta die bestmögliche Behandlung erhielt. Die Frau, die mir damals Courage gab, meinen Weg zu gehen und dieser hatte mich weit gebracht. Wir konnten ihr Bein retten. Panagijóta wollte sofort entlassen werden. Ich konnte mir ihre Beweggründe denken. Die Visite übernahm mein Kollege. Ich wollte nicht, dass sie erfuhr, dass ich die Operation durchgeführt hatte. Die stolze Panagijóta würde sich schämen, dass ich sie in einem solchen Zustand gesehen hatte. In meiner Freizeit machte ich mich auf die Suche, um herauszufinden, was ihr im Laufe der Jahre zugestoßen war. Ich besuchte ihren Geburtsort und traf auf einen Nachbarn, der sie gut kannte. Er erzählte mir, dass sie vor einigen Jahren in ihr Dorf zurückkehrt war und feststellen musste, dass der eigener Bruder das Haus und die Ländereien bereits verkauft und somit Panagijóta um ihr Erbe gebracht hatte. Zurück nach Athen konnte sie nicht, dort hatte der Ehemann sich eine junge Geliebte zugelegt. Und Kinder hätte sie keine, bei denen sie unterkommen könnte. Panagijóta wohnte bei einer alten Freundin, die jedoch kurz darauf verstarb. Gerade in dem Moment, als sie eine neue Unterkunft gefunden hatte, die Altersrente beantragt war und sie somit auch krankenversichert gewesen wäre, fiel sie die Treppenstufen hinab. Sie hatte an Obdachlose eine heiße Suppe verteilt und war dabei gestürzt. Nach drei Wochen wurde sie aus der Klinik entlassen. Die Schwester überreichte ihr die Entlassungspapiere. Aus der Entfernung beobachtete ich den Vorgang. Irgendwann würde ich Panagijóta in ihrem Dorf besuchen gehen, jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
„An, wenn muss ich mich wegen der Rechnung wenden?“, hörte ich sie fragen und sah ihr blasses Gesicht.
„Steht alles im Umschlag.“ Wie zuvor besprochen entfernte sich die Schwester, direkt nach der Übergabe.
Panagijóta setzte sich auf einen der Flurstühle. Öffnete den Umschlag. Nicht lange, da fing sie zu weinen an, sah sich um. Ich drehte mich ab, denn ich wusste es waren Tränen der Erleichterung. Auf die Rechnung hatte ich geschrieben: 'Bezahlt mit einer heißen Hühnersuppe.'
 

Die Autorin Sigrid Wohlgemuth wurde in Brühl, bei Köln geboren. 1996 erfüllte sich die selbstständige Kauffrau ihren Traum, zog nach Kreta und machte die Insel zu ihrer Wahlheimat. Die Mittelmeerinsel, ihre Bewohner, die kretische Küche und das Schreiben wurden zu ihrem Lebensmittelpunkt. Es entstanden Geschichten und Romane, die überwiegend auf Kreta spielen. Nicht nur in ihren Erzählungen, sondern auch bei Lesungen in Deutschland und auf Kreta, sowie in Live - Kochshows auf der Insel möchte Sie dem Gast die kretische Kultur, sowie Land und Leute näherbringen.
 Das Lebensmotto von Sigrid Wohlgemuth: „Lebe deinen Traum, bevor es zu spät dazu ist.“

2017 –  Und tschüss … Auf nach Kreta mit Rezepten    Franzius Verlag GmbH
2015 –  Der Duft von Oliven     Der kleine Buchverlag/Lauinger Verlag
2013 –  Drei Stühle –    Köstliche kretische Geschichten & Rezepte   Stories & Friends Verlag
2012 –  Bis am Baum die Lichter brennen      HS Verlag – Österreich
 Zahlreiche Veröffentlichen in Anthologien und Zeitschriften. 
 2017 –  Zeitschrift Das Lavendelo – Natürliches.          Selber. Machen  

facebook Sigrid Wohlgemuth
sigrid.wohlgemuth@yahoo.de

Sonntag, 24. Dezember 2017

Heiligabend in die Disco von Eva Joachimsen

Foto von Eva Joachimsen
Jedes Jahr herrscht zu Weihnachten der gleiche Stress. Mutter flippt wieder aus. Alles muss auf Hochglanz poliert sein, selbst Levkes Zimmer. Tagelang haben sie deshalb gestritten. Im letzten Augenblick kommt Panik auf, nur weil die Soße nicht ganz perfekt ist. Merkt doch sowieso keiner.
Immerhin ist Oma lieb. Sie hilft schon seit Tagen und lobt nach der Bescherung die tollen Geschenke. Das Handy wäre genau richtig, damit sie im Notfall auch unterwegs Hilfe herbeirufen kann. Dafür meckert Tante Ilse nur und Großmutter pflichtet ihr zu, früher war alles besser. Großvater versucht zu schlichten, aber er hat eigentlich nie etwas zu sagen.
Warum kann Vaters Mutter nicht genauso nett wie Mutters Mutter sein? Und warum müssen die jedes Jahr bei ihnen feiern und das Fest verderben? Schließlich haben sie auch noch eine Tochter. Aber Irmgard ist sicher froh, ihre Mutter Heiligabend nicht zu Besuch zu haben. Und Mutter traut sich nicht, ihrer Schwiegermutter abzusagen.
Der Abend zieht sich. Immer diese langweiligen alten Geschichten. Levke kennt sie seit sie klein ist.
Mutter ist schon kurz vor einem Anfall. Sicherheitshalber verabschieden sich Levke und Nils um 23 Uhr. Großmutters „Heiligabend feiert man in der Familie! Anna, wie kannst du nur zulassen, dass die Kinder dir einfach auf der Nase herumtanzen“, hören sie noch im Treppenhaus, so schrill ist ihre Stimme.
„Puh, länger hätte ich es nicht mehr ertragen“, stöhnt Levke, sobald sie auf der Straße stehen.
In der Disko treffen sie fast alle Freunde und begrüßen sich mit Umarmungen und Küsschen. Sie stehen in einer Ecke und unterhalten sich. Levke freut sich, an diesem Abend doch noch fröhliche Gesichter um sich herum zu sehen. Immer wieder zieht es ihren Blick zur Tanzfläche. Dort fällt ein Paar auf, weil es so toll tanzt.
„Wollen wir auch? Du warst damals mit in der Tanzschule.“ Christian nickt Levke zu und reicht ihr seine Hand. Levke legt ihre hinein und lässt sich auf die Fläche führen. Richtig altmodisch kommt sie sich dabei vor. So wie in Omas Erzählungen.
Der Discofox läuft gut, dann folgt Jive. Obwohl Levke schon viel vergessen hat, klappt es, weil Christian gut führt. Den ganzen Abend tanzen sie. Als Levke und Nils gehen, fragt Christian: „Hast du Lust, mit mir am Samstag zur Tanzparty in der Tanzschule zu gehen?“
„Aber ich besuche doch keine Kurse.“ Levkes Herz klopft. Sie möchte so gern mit Christian tanzen.
„Macht nichts, der Abend kostet fünf Euro Eintritt und es können auch Gäste kommen.“
Auf dem Heimweg trällert Levke fröhlich vor sich hin. Nils Spott über die schiefen Töne stören sie nicht. Sie freut sich auf die Tanzparty. So ein herrliches Weihnachtsfest hat sie schon lange nicht mehr erlebt.



Eva Joachimsen liebt lesen, schreiben und tanzen. Seit vielen Jahren veröffentlicht sie Kurzgeschichten in Zeitschriften. Mehr von ihr erfährt man auf ihrem Blog. Ein Überblick über ihre Bücher gibt es hier.

Samstag, 23. Dezember 2017

"So kann's geh'n" von Ronald Vinskis



Foto von Eva Joachimsen



Überall kann man bunte Lichter sehen in den Städten. Auf jedem freien Platz stehen Weihnachtsbäume mit vielen Kerzen dran. Weihnachtliche Musik klingt aus vielen Geschäften auf die Straßen. Menschen rennen durch die Fußgängerzone aufgeregt hin und her. Manche überlegen, was zu Weihnachten passt und andere schauen mürrisch und gestresst drein. Ja, so ein Weihnachtseinkauf kann schon ganz schön nervig sein.
Marie durfte heute mit Mama Gaby in die Stadt, sie wollten noch ein paar kleine Geschenke für Papa, Onkel Peter, Oma und Opa besorgen. Doch das war gar nicht so einfach. Papi sollte eine neue Armbanduhr bekommen, die er sich schon so lang wünschte. Oma brauchte eine neue Handtasche und das auch noch in Beige. Opa bekommt seine Lieblings-Zigarren und passt. Nur für Onkel Peter wollte Gaby nichts einfallen, als Marie plötzlich einfiel das er vor kurzem sein Feuerzeug verloren hatte, somit war das auch erledigt.
Marie trottete an Mamas Hand neben her und sang die Weihnachtslieder mit, die aus den Lautsprechern von den Läden kamen. Mit ihren 4 Jahren war sie schon ganz schön pfiffig. Nun waren die zwei schon in einigen Geschäften und hatten noch nichts außer Opas Zigarren und Onkel Peters Feuerzeug.
„Sapperlott“, schimpfte Mama, „irgendwo müssen doch die Weihnachtsgeschenke sein, die wir suchen.“
„Aber Mama, die kannst du doch nicht finden, die bringt doch das Christkind“, sagte Marie mit ernstem Gesicht und biss in ihre Bratwurst, die sich die Beiden auf dem Weihnachtsmarkt gekauft hatten.
„Marie, nur den braven Kindern bringt das Christkind die Geschenke, die großen müssen die Geschenke für ihre Lieben selbst kaufen.“
„Ah, ha! Also waren die Großen nicht immer lieb und nett?“
„Warum?“, fragte die Mama. Nun da kam sie bei Marie gerade an die Richtige. Die legte sofort los. „Du schickst mich immer viel zu früh ins Bett. Immer muss ich mitten im schönsten Spiel mein Zimmer aufräumen. Spinat und Gemüse und auch Kartoffeln soll ich essen. Das vergisst das Christkind nicht. Mit Papa meckerst du auch immer und der hat gar nichts gemacht.“
Mama Gaby stand wie vom Blitz getroffen und schaute drein wie ein begossen Pudel, doch dann musste sie lachen.
„Vielleicht hast du auch ein bisschen recht, Marie. Komm wir sehen jetzt zu, dass wir die Handtasche für Oma und die Armbanduhr für Papa noch finden und dann ab nach Hause.“


© Ronald Vinskis