Samstag, 31. Dezember 2016

Zaubermuschel von Marita Sydow Hamann

Bild von Marita Sydow Hamann
 
Ihr Leben war zu Ende.
Sie stand auf der Klippe – auf wackeligen Beinen, kaum Halt findend, kaum Halt suchend. Kraftlos, hoffnungslos. Eine Leere erfüllte ihre weltliche Hülle, ein schwarzes Loch sog in ihrem Inneren – stetig, unerbittlich. Tot. Sie würde sterben, qualvoll. Weshalb nicht dem kümmerlichen restlichen Leben ein Ende setzen?
Sie starrte in das tosende Meer zu ihren Füßen – ein Schritt nur, ein kleiner Ruck und ihre welkenden Muskeln würden sie nicht halten können …
Sie zerrten an ihr – all ihre Freunde, Verwandte und gut meinenden Menschen. Kopf hoch, das wird schon. Wie sie diesen inhaltsleeren Satz hasste. Kopf hoch. Weshalb? Wofür? Alles war nutzlos, ihr Leben nur noch eine tickende Uhr, das Ende so nah. Wozu sich noch anstrengen? Warum noch kämpfen? Sie würde dahinsiechen, jämmerlich und qualvoll zugrunde gehen und die mitleidsvollen Blicke ihrer Mitmenschen erleben, Menschen, die nun aufgegeben hatten, an ihr zu zerren. Denn wer konnte das Unabwendbare aufhalten?
Sie war doch noch so jung. Weshalb sie? Was hatte sie der Welt getan?
Das Meer tobte, lockte, leckte an ihren Füßen. Ein Schritt nur und alles wäre vorbei, für immer. So einfach, so absolut.
Komm, lockte das Meer. Komm zu mir …
Sie ließ los, schloss die Augen und ließ ihre nutzlosen Muskeln einen letzten Dienst verrichten. Ein kleiner Ruck in Richtung Meer – dort, wo die Brandung tobte. Sie fiel …
Das Meer schrie auf, brüllte ihr entgegen. Die Wucht der Welle fing sie auf und warf sie hart zu Boden. Ein Schmerz durchzuckte ihre dahinkümmernden Muskeln, denn noch war sie fähig zu fühlen. Sie keuchte auf, spuckte Salzwasser und hievte sich umständlich auf die Ellenbogen. Verfluchtes Meer, war sie nicht einmal gut genug für ein Grab in den Tiefen des Ozeans? Sie sah an sich herab, registrierte vage, dass ihr Bein blutete, registrierte deutlich, dass sie noch da war, dass das Leid kein Ende hatte.
Komm, wisperte der Wind. Komm zu mir …
Sie erstarrte und sah sich um. War es dieselbe Stimme? Ihr Blick fiel auf eine Muschel, die das Meer samt ihrer selbst zurückgelassen hatte. Perlmuttglänzend lag sie zwischen den schroffen Auswüchsen der Klippe. Glänzend und flüsternd. Komm zu mir …
Langsam streckte sie die Hand aus, tastend, vorsichtig.
Komm zu mir … Wie das Wispern des Windes, doch eindeutig eine Stimme. Sie zitterte – vor Kälte und vor … Da war etwas Neues … Ein seltsames Gefühl erfasste sie – ein Pirren, das sich von ihren Eingeweiden aus durch den ganzen Körper ausbreitete. Erregung! Ihre Finger umschlossen die Muschel und führten sie wie fremdgesteuert an ihr Ohr.
Es wisperte und tuschelte darin. Stimmen. Sie erzählten von Gerüchen und Farben, von samtweicher Haut und südländischen Klängen. Und sie trugen sie mit sich fort in ferne Länder, zu fremden Kulturen, die sie nur vom Hörensagen kannte, von denen sie geglaubt hätte, sie niemals selbst erleben zu dürfen. Sie horchte und roch, sie fühlte und sah, sie schmeckte und ließ sich leiten – ließ sich zeigen, was das Leben zu geben hatte. Sie saugte sie auf, die Bilder und Gefühle, die Menschen und ihre Geschichten, die Magie um uns herum und die Magie in uns allen. Sie füllten ihr Herz und jede Zelle in ihrem Körper, bis sie vor Energie zu zerbersten drohte.
Der Drang, diese wunderbaren Erlebnisse zu teilen, überwältigte sie, wurde fast unerträglich und ließ sie die Kraft finden, sich zu erheben. Sie wollte niederschreiben, was sie sah und fühlte, es hinaustragen, hinausschreien, in die Welt. Vielleicht konnte sie auch selbst auf Reisen gehen? Eigene Geschichten erleben und auch diese niederschreiben? Worauf wartete sie? Sie hatte doch nur ein Leben. Und ihr blieb nicht mehr viel Zeit. Das Wispern lockte und zog an ihr, wurde intensiver, als pochte es auf sein Recht. Das Recht zu leben und zu lieben, zu tanzen und zu lachen. Und auf einmal verstand sie. Es war egal, wie kurz das Leben war, solange man es tatsächlich mit Leben füllte. Sie würde sterben, doch vorher würde sie leben!
 
Ende
 
Copyright © Marita Sydow Hamann Alle Rechte vorbehalten.


 Marita Sydow Hamann
Die Autorin schreibt Kinderbücher sowie Fantasy und Romantasy für Jung und Alt.
Ihre Interessen sind die nordische und die griechische Mythologie mit all ihren Wesen.
Speziell Trolle findet sie faszinierend. Aber auch Geister, Elfen, Drachen, Magier, mystische Begebenheiten, Romantik und Science Fiction Elemente könnt ihr bei der Autorin finden.
Sie ist nicht auf ein Element festgelegt und immer offen für neue Ideen. 
Facebook: https://www.facebook.com/pages/MaritaSydowHamannBooks/330770973629319
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Samstag, 24. Dezember 2016

Sandbank von Monique Lhoir





Der eisige Wind blies vom Norden. Jan zog die Mütze tiefer in die Stirn und stülpte die Kapuze des Anoraks darüber. Seine Augen tränten. Er hatte Schwierigkeiten, den Weg zu erkennen. Ständig wischte er sich mit den Fäustlingen über die Augen. Die Ebbe setzte gerade ein. Obwohl die Uhr nicht einmal Mittag anzeigte, wollte der Tag nicht hell werden. Jan erschien es so, als ob der Abend bereits hereinbrach. Heiligabend.
Jan strebte die Sandbank vor dem Südstrand der Insel Föhr an. Hier kannte er sich gut aus. Jahrelang war er mit seinem Kutter durch das Fahrwasser der Nordsee geschippert, um Krabben zu fangen. Jetzt war Jan zu alt, sein Boot klapprig und nicht mehr zeitgemäß. Unrentabel.
Im Schlick wurden Jans Beine schwer. Ab und zu knickte er in den Prielen um, bis er endlich die Sandbank erreichte. Mit klammen Fingern faltete er den Klappstuhl auseinander, den er über eine Schulter trug, stellte ihn so auf, dass er einen sicheren Halt bekam. Anschließend holte er aus seinem Rucksack einen kleinen, künstlichen Weihnachtsbaum, platzierte ihn vor sich und betätigte den Knipsschalter. Er leuchtete in allen bunten Farben. Jan grinste, weil er fand, dass es ziemlich kitschig aussah. Er setzte sich umständlich in den Stuhl, zog einen Flachmann aus dem Rucksack und nahm einen ordentlichen Schluck. Das war gut, das wärmte.
Jan schaute über das Meer. Er liebte die Weite Nordfrieslands. Hier schien alles so, als ob man bis ans Ende der Welt sah. Nichts störte, kein Hochhaus, kein Baum - einfach nichts. Hier spürte man den Wind, roch das Salz der Nordsee. Hier bekam man einen klaren Kopf und konnte in Ruhe nachdenken.
Jan musste nachdenken. Er besaß keine Familie, hatte nie geheiratet, keine Kinder gehabt. Seine Kate war alt, sein Boot marode und er selbst müde.
In seiner Küche auf dem Tisch lag ein Antrag. Er war mit der Post vom Festland gekommen. Aufnahmeantrag für ein Seniorenwohnheim. Jan nannte es Altenheim, in dem man sein Gnadenbrot erhielt. Ausrangiert, unbrauchbar – eben marode, genauso wie sein Kutter.
Als er mit dem Heim telefonierte, empfand er diese Lösung vernünftig. Gestern traf das Papier bei ihm ein. Er las es oberflächlich und war gar nicht mehr davon überzeugt. Es zeigte unausweichlich schwarz auf weiß, dass er alt und überflüssig geworden war. Jetzt musste er darüber nachdenken, ob er seine Unterschrift darunter setzen sollte. Jan nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche und starrte regungslos über die Nordsee.

„Mensch Jan, nu ward dat aber tied.“ Jan schrak hoch und blickte irritiert in das Licht einer Taschenlampe. Inzwischen war es stockfinster. Er musste wohl eingeschlafen sein. Weit und breit nichts als Wasser, das inzwischen seine Füße umspülte. Nur der kitschige Weihnachtsbaum stand etwas erhöht, sodass die Nässe den Batterieschacht nicht erreichen konnte.
„Komm ins Boot, wir müssen hier weg.“ Die Stimme gehörte Hauke. Der Junge hatte vor vielen, vielen Jahren bei ihm auf dem Kutter den Beruf des Fischers erlernt. Jetzt besaß er ein großes, modernes Schiff und verdiente damit gut. Mit einem Schlag war Jan hellwach. Die Flut stand hoch. Er hatte den Zeitpunkt des Rückwegs verschlafen. Jan wollte seinen Klappstuhl zusammenfalten.
„Lass den stehen.“ Hauke zog Jan hart am Ärmel und stieß ihn in das kleine Motorboot. Sofort startete er. Behutsam fuhr er von der Sandbank weg. Im selben Moment erloschen die Lampen des künstlichen Weihnachtsbaums.
„Noch mal Glück gehabt“, sagte Hauke und grinste. „Was hast du da draußen gemacht?“
„Musste nachdenken“, brummte Jan schuldbewusst. „Danke.“
„Dafür nicht. Ich wunderte mich vorhin, was das für eine merkwürdige Beleuchtung auf der Sandbank war. Kannst froh sein, dass ich neugierig wurde.“ Hauke lenkte das Boot vorsichtig an den kleinen Privatsteg, sprang hinaus und befestigte das Seil am Poller. Anschließend reichte er Jan die Hand. „Kannst bei uns essen“, sagte er. „Imke hat den Braten bestimmt schon auf dem Tisch.“
„Will nicht stören.“ Jan schlurfte müde den Steg entlang.
„Wo willst du dann hin?“
„Nach Hause.“
„Fährt kein Bus nach Niblum, ist Heiligabend“, meinte Hauke.
„Ich laufe.“
Hauke schüttelte den Kopf, rannte hinter Jan her, packte ihn am Ärmel und zwang ihn so zum Stehenbleiben. „Störrischer alter Esel“, meinte er. „Ich krieg die ganzen Feiertage Ärger mit Imke, wenn ich dich jetzt gehen lasse. Also rein mit dir in die warme Stube.“
Mit hängen Schultern blieb Jan stehen. „Meinst du wirklich?“, fragte Jan.
„Hätte ich dich sonst eingeladen?“ Hauke zog Jan den kleinen Weg zu seinem Haus hinauf. „Zieh die nassen Stiefel aus“, flüsterte er vor der Stubentür. „Imke hat geputzt.“
„Jan? Bist du da?“, rief Imke aus der Küche. „Wird langsam Zeit, sonst bekommt die Gans Beine.“
„Oh ha“, meinte Jan, „klingt nicht gerade freundlich.“ Unwillkürlich zog er den Kopf ein. „Ich bring einen Gast mit!“, rief er. Er öffnete die Tür zur guten Stube.
„Heute?“ Imke steckte den Kopf durch die Tür. „Oh Jan!“, rief sie nun freundlicher. „Das ist nett, uns gerade am Heiligabend zu besuchen. Nehmt Platz. Die Gans ist fertig.“
Umständlich setzte sich Jan hin. „Sind eure Kinder nicht da?“, fragte er, als Imke einen weiteren Teller und Besteck vor ihm hinstellte.
„Sören und seine Frau verbringen die Weihnachtstage bei den Schwiegereltern in München“, gab Imke bereitwillig Auskunft. „Und Antje ist in New York geblieben. Der Flug ist für eine Studentin einfach zu teuer.“
„Ja, so ist das“, murmelte Jan.
„Nun erzähl mal, was du in der Dunkelheit auf der Sandbank wolltest“, fragte Imke nach dem Essen und schüttete allen einen Köm ein.
Jan druckste herum, dann berichtete er über das Formular vom Seniorenwohnheim.
„Deshalb wolltest du dich ertränken?“ Imke füllte erneut die Gläser.
„Ertränken!“, sagte Jan empört. „Ich bin eingeschlafen“, fügte er kleinlaut hinzu.
„Was willst du überhaupt in einem Seniorenwohnheim auf dem Festland?“ Imke kicherte inzwischen beschwipst. „Alten Damen belustigen?“
„Imke!“ Hauke zog missbilligend die Augenbrauen zusammen.
„Tschuldigung.“ Sie sah beschämt auf den Tisch und schob nachdenklich ein paar Krümel zusammen. „Mir kommt eine Idee.“ Sie schaute von einem zum anderen. „Was hältst du davon, mit mir gemeinsam Touristenführungen zu machen?“ Dabei fixierte sie Jan.
„Welche Touristenführungen?“, wollten Hauke und Jan gleichzeitig wissen.
„Ach, habe ich dir nicht davon erzählt?“ Jetzt blickte Imke Hauke trotzig an. „Das kommt davon, weil du ständig auf deinem Kahn mit Krabben beschäftigt bist, statt dich um mich zu kümmern.“
„Was ist mit den Touristen?“, wollte Hauke noch einmal wissen.
„Nun“, begann Imke langsam, „da die Kinder aus dem Haus sind und ich ständig allein bin, habe ich mit dem Touristenbüro vereinbart, in der Saison Stadtführungen in Wyk und Niblum zu machen. Ich kenne mich hier gut aus, bin hier geboren, duze mich mit jedem Grashalm. Das bringt zwar nicht viel Geld, aber ich komme unter Leute und kann über meine geliebte Insel berichten.“
„Bringe ich nicht mehr genug Geld nach Hause?“, fragte Hauke argwöhnisch.
„Geld ist nicht alles“, erklärte Imke ernst. „Ich will noch etwas anderes tun, als das Haus zu bewirtschaften, Kuchen zu backen und auf dich zu warten. Ich brauche eine sinnvolle Beschäftigung. Ich möchte einfach nützlich sein.“
„Du bist nützlich.“ Hauke wollte mit der Faust auf den Tisch zu hauen.
„Lass“, mischte sich Jan ein. „Ich kann deine Frau verstehen.“ Er wandte sich an Imke. „Deshalb war ich auf der Sandbank. Ich musste nachdenken. Ich kam mir mit einem Mal sehr überflüssig vor.“
Imkes Augen wurden feucht. Verschämt wischte sie die Augenwinkel trocken.
„Ich wusste nicht, was du fühlst“, sagte Hauke leise und griff nach ihrer Hand. „Ich finde die Idee mit den Führungen großartig.“
„Und was soll ich dabei?“, fragte Jan.
„Du weißt über Föhr sehr viel“, erklärte Imke ernst. „Du kennst den Hafen, die Boote und den Fischfang. Du bist ein alter Insulaner. Wir könnten die Führungen gemeinsam machen. Du erzählst über die Menschen und das Leben hier, ich über Kirchen und Häuser. Wir beide wären ein unschlagbares Team.“
„Keine schlechte Idee“, meinte Jan nachdenklich. „Was mach ich mit Seniorenheim?“
„Vergessen“, erklärte Imke amüsiert. „Was willst du auf dem Festland? Alte Damen kannst du auch auf der Insel belustigen. Gleich nächste Woche sollten wir einen Plan entwerfen, was wir alles zeigen wollen…“
Hauke stand auf und ging ans Fenster. Von hier aus sah er normalerweise die Sandbank. Jetzt war es stockfinster. Im Hintergrund hörte er Imke und Jan eifrig diskutieren. Wie gut, dass der alte Jan diesen albernen Weihnachtsbaum mitgenommen hatte. Er prostete seinem Spiegelbild in der Scheibe zu: „Frohe Weihnachten. Da haben wir alle noch mal Glück gehabt.“

© Monique Lhoir


Monique Lhoir

Sie schreibt seit dem Jahr 2000 Kurzgeschichten und Romane und verfügt über diverse Veröffentlichungen. Ihre Liebe gilt Norddeutschland, hier insbesondere den nordfriesischen Inseln. Im Augenblick arbeitet sie am 6. und letzten Teil des historischen Romans „Arjan von Föra“.

Freitag, 23. Dezember 2016

Die wundervollste Weihnacht von RONALD VINSKIS

Bild von Krisi Sz.-Pöhls


Am Rande des Weihnachtsmarkts saß ein kleines Mädchen und weinte bitterlich. Ihr roter Schal, den sie eng um den zarten Hals gelegt hatte, war schon ganz nass von den Tränen, die dem Kind über die Wangen liefen. Die Menschen hasteten vorbei ohne im geringsten das traurige Bündel wahrzunehmen. Sie waren alle mit ihren Weihnachtseinkäufen beschäftigt, denn an den Weihnachtstagen musste der Kühlschrank voll sein und auch nicht ein Geschenk durfte vergessen werden.
Selbst der Weihnachtsmann, der auf dem Weihnachtsmarkt die Kinder beschenkte, sah nicht einmal zu dem kleinen Mädchen herüber.
Mitten unter all diesen vielen Menschen war Johanna alleiner als alleine.
Der Duft von Bratwurst, Lebkuchen und gebrannten Mandeln lag in der Luft. Weihnachtliche Musik war zu hören, doch das alles machte sie nur noch trauriger.
Und die Menschen sie rannten weiter an Johanna vorbei...!
Bis auf Einen. Ein älterer Herr, mit einem mächtigen weißen Bart, roter Nase und kaputten Stiefeln an den Füssen. Auch seine Kleidung war nicht gerade gepflegt, blieb stehen. Der ältere Herr bückte sich zu dem kleinen Mädchen hinunter und sagte mit tiefer Stimme: „Hallo ich bin Klaus, wer bist den du?“
So abgerissen und ungepflegt der Mann auch aussah, so ein Leuchten war in seinem Gesicht. Er hatte auch das allerschönste Lächeln, das Johanna je gesehen hatte an einem Menschen. Die Traurigkeit und all der Schmerz, den die kleine Seele plagte, waren sofort verschwunden. „Ich bin Johanna!“, sagte das Mädchen höflich. Wir wohnen da drüben über dem Gemüseladen. Aber zur Zeit nur meine Mama und ich.
„Bist du deshalb so traurig?“, fragte Klaus.
„Ja.“
„Willst du mir erzählen, was passiert ist?“
„Mein Papa war mit dem LKW in Schweden. Ich weiß noch nicht, wo das ist. Als er zurückfuhr, fuhr er an eine Raststätte, um Pause zu machen, so hat mir das Mama erzählt. Papa parkte hinter einem anderen LKW und als er ausstieg, krachte ein anderer Fahrer auf Papas LKW drauf. Ja dabei wurde mein Papa vom Trittbrett geschleudert und schwer verletzt. Jetzt liegt er im Krankenhaus. Bis das Christkind kommt, sind es nur noch ein paar Tage. Und Papa ist noch immer nicht da. Und das Krankenhaus ist so weit weg, hat Mama gesagt. 300km. Ich bete jeden Tag ganz oft, dass der liebe Gott Papa wieder gesund macht und ihn zu Weihnachten wieder zu uns schickt.“
„Ich will gar keine Geschenke, nur Papa soll wieder kommen!“
Und wieder hatte Johanna Tränen in den Augen.
Klaus hatte sich die Geschichte des Mädchens angehört, ohne sie auch nur ein einziges mal zu unterbrechen. Ja das ist ein Grund traurig zu sein. Doch dein Papa wird wieder gesund. Johanna hab keine Angst. Und er wird auch nicht so weit weg in der Klinik bleiben. Gott hat deine Gebete gehört. Nun geh nach Hause und bereite dein schönstes Weihnachtsfest vor! Hilf deiner Mama dabei und tröste sie ein wenig! Das braucht sie jetzt. Tschüss Johanna.“
Der Herr mit dem weißen Bart war plötzlich weg.
Johanna ging nach Hause, so wie Klaus es ihr gesagt hatte. Sie erzählte ihrer Mama von ihrer Begegnung.
Die Mutter war skeptisch, doch der Wunsch und die Hoffnung waren größer als die Zweifel und so begannen die Beiden mit den Weihnachtsvorbereitungen.
Am Weihnachtstag kam Opa und brachte den schönsten, nein, den allerschönsten Weihnachtsbaum. Johanna und Mama machten sich sofort daran den Baum zu schmücken. Auch Opa half noch mit und wünschte dann den Beiden eine wundervolle Weihnacht.
Es ist der 24. Dezember 16:30 Uhr, als es bei Johanna und Angela an der Wohnungstüre klingelte. Das Mädchen und ihre Mutter öffneten gemeinsam die Türe und vor der Türe steht der Weihnachtsmann und hinter Ihm zwei Sanitäter. Was zwischen den zwei  stand, konnten Angela und Johanna nicht sehen.
„Das ist der alte Herr, von dem ich dir erzählt habe, Mami! Das ist Klaus.“
Der Weihnachtsmann lächelte und ging einen Schritt zur Seite und da saß Papa in einem Rollstuhl. Angelas Gesicht blieb wie angewurzelt stehen und Johanna strahlte wie Sonne, Mond und Sterne auf einmal. Die Freude der beiden war so groß, dass sie  fast den Weihnachtsmann vergessen hätten.
Johanna drehte sich und fiel dem Weihnachtsmann um den Hals und drückte ihm einen dicken Kuss auf die Wange. Leise sagte sie ihm ins Ohr: „Du bist Klaus, stimmt‘s?“ Auch Angela drückte ihn ganz fest und meinte: „Das ist das schönste Geschenk meines Lebens.“
 „Nach den Feiertagen holen wir ihn wieder ab, in eine Klinik hier in der Stadt“, sagte einer der Sanitäter. Der Weihnachtsmann hatte auch sonst noch ein paar Geschenke dabei, die er mitten im Wohnzimmer einfach auskippte. Die Familie feierte die schönste Weihnacht ihres Lebens. Eine Weihnacht, die sie nie wieder vergessen werden. Reiner war nach weiteren 6 Wochen wieder gesund, oder sagen wir mal wieder hergestellt.
Doch LKW fahren wollte er nie wieder.

© RONALD VINSKIS



Krisi Sz.-Pöhls lebt recht zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.

Malen gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die Autodidaktin Künstlerin geworden.


Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei  www.zazzle.de/mbr/238764950947258943

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Die verzauberten Schlittschuhe, von Marianne Schaefer


Zur Weihnachtszeit, in einer kleinen Stadt, gar nicht weit von hier, wartete ein kleines Mädchen aufs Christkind. Es hieß Marie und kam aus einer sehr, sehr armen Familie. Gerade einmal acht Jahre alt, wünschte Marie sich nichts sehnlicher als ein paar Schlittschuhe. Doch jedes Jahr ging das Fest des Schenkens vorüber und ihr größter Wunsch war nicht  in Erfüllung gegangen.

Als in diesem Jahr die ersten Flocken herabwirbelten, sah Marie bittend zum Himmel empor. Würde das Christkind ihr endlich den sehnlichsten Wunsch erfüllen und ihr Schlittschuhe bringen? Traurig dachte sie an das letzte Weihnachtsfest zurück. Seit der Vater arbeitslos war, ging es der Familie nicht so gut. Viele kleine Wünsche mussten sie sich versagen, weil das Geld nicht reichte.
Als Marie am Heiligen Abend dann eine Puppe unter dem liebevoll geschmückten Baum sah, gab es ihr einen Stich ins Herz. Die Puppe war schön, aber eben nicht das, was sie sich erhofft hatte. Um die Eltern nicht zu betrüben, drückte sie das Püppchen ans Herz und lächelte mit Tränen in den Augen.
Im Januar fror der See im Stadtwald zu. Alt und Jung tummelte sich auf dem Eis und Marie sah traurig zu. Tag für Tag stand sie nach der Schule mit großen, sehnsuchtsvollen Augen an der Eisfläche. Stundenlang harrte sie aus, obwohl ihr Hände und Füße von der eisigen Kälte schmerzten.
In Gedanken sah sie sich als berühmte Eisprinzessin über die Eisfläche tanzen, vom Publikum beklatscht.

Auch heute konnte Marie es nicht erwarten, endlich wieder in den Stadtwald zu kommen. Diesmal war die Eisfläche leer, bis auf ein kleines Mädchen, das ungefähr in ihrem Alter war. Es trug eine weiße Pelzmütze mit zwei lustigen Bommeln, die ihr beim Gleiten auf dem Eis hinterher wehten. Auch der wunderschöne, rote Mantel mit Pelzbesatz bewegte sich im Wind. Aber das Allerschönste waren die Schlittschuhe. Das fremde Mädchen tanzte, nein, es schwebte wie eine Schneeflocke und in Gedanken tanzte Marie jeden Schritt mit. So anmutig hatte sie noch nie jemanden dahingleiten sehen!
Marie schaute an sich herunter. Wie erbärmlich sah sie doch aus in ihrem schäbigen Mantel, mit der verfilzten Mütze auf dem Kopf. Als sie wieder aufsah, war das Mädchen verschwunden, als habe es sich in Luft aufgelöst.
„Schade“, dachte Marie. „Ich hätte noch stundenlang zuschauen können.“
Als sie den Stadtwald verlassen wollte, stolperte sie über ein Hindernis. Es waren die Schlittschuhe, die das fremde Kind sicher vergessen hatte! Marie überlegte nicht lange. Mit fast feierlichem Gefühl legte sie die Schlittschuhe an. Sie passten wie für sie gemacht. Plötzlich geschah etwas Seltsames: Ihre armselige Bekleidung verwandelte sich in ein schneeweißes, funkelndes Eislaufkostüm und in ihren dunkelbraunen Haaren glitzerte es, als hätte der Himmel sie mit Sternenstaub überschüttet.
Im Nu stand Marie auf dem Eis und begann zu laufen. Es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl, so dahinzugleiten.
„Ein Traum, ein Märchen!“, jubelte sie innerlich. „Bin ich es, die mit den Schlittschuhen tanzt, oder tanzen sie mit mir?“, fragte sie sich und befürchtete:  „Gleich werde ich erwachen.“ Doch vorerst glitt sie auf einem Fuß dahin, drehte Pirouetten, machte Luftsprünge und wurde immer mutiger. Sie vergaß Zeit und Raum.
„Ich bin eine Eisprinzessin“, jauchzte sie und machte einen Sprung. Da hörte sie das Krachen und Klirren des Eises unter sich und sank durch ein Loch in das eiskalte Wasser. Sie glitt tiefer und tiefer hinab, wunderte sich, dass sie nicht nass wurde, nicht fror oder ertrank. Schließlich landete sie mit ihren Schlittschuhen auf einer spiegelglatten Eisfläche, inmitten eines hell erleuchteten Saales.
„Schon wieder eine Traumtänzerin!“, hörte sie eine Stimme. „Wie heißt du, Kind, und warum bist du hier?“
Ein elfenähnliches Geschöpf in einem himmlisch, glitzernden  Eislaufkostüm begrüßte sie freundlich.
„Ich heiße Marie und möchte Eiskunstläuferin werden.“
„Nichts anderes?“, wurde sie gefragt.
Leise, aber bestimmt, gab sie Antwort. „Nein! Das ist mein allergrößter Wunsch!“
„Dann lass uns sofort beginnen. Du hast sehr viel zu erlernen!“
Und Marie tanzte, tanzte, tanzte … bis sie mit den Worten entlassen wurde: “Und nun geh deinen Weg!“
Plötzlich befand sie sich wieder auf dem Eis an der Oberfläche des Sees und all die wunderschönen Sachen, die sie getragen hatte, ebenso die Schlittschuhe, waren verschwunden. Sie stand dort in ihrer armseligen Bekleidung, sehr verwirrt, weil sie nicht wusste, war dies nun Traum oder Wirklichkeit gewesen ...

Das Jahr verging schnell. Und wieder nahte der Heilige Abend.
Als die Kerzen am Baum brannten, klingelte es an der Haustüre. Die Mutter öffnete und kam mit einem Paket für Marie zurück, liebevoll eingepackt. „Das wurde soeben für dich abgegeben“, sagte sie.
Mit klopfenden Herzen öffnete Marie das Geschenk. Sie glaubte nicht, was sie sah: Es waren funkelnagelneue Schlittschuhe und eine Nachricht lag auch dabei: „Für Marie, die  zukünftige erfolgreiche Eiskunstläuferin!“

©Marianne Schaefer

Die Geschichte ist in "Winterliche Erzählungen" des Karina-Verlags erschienen.
 

Mittwoch, 21. Dezember 2016

Winterzeit von Gabriela Straubel



Foto von Eva Joachimsen

Winterzeit

Das Tal liegt tiefverschneit und weiß,
keine Fußspuren sind hier zu sehen.
Auf der Bergspitze spiegelt die Sonne das Eis,
ein Anblick, der gar wunderschön.

Die Kinder im Dorf mit ihrem Gefährt,
 mit Schlitten, Skiern, groß und klein.
Wollen hinauf zum Rodelberg,
und jeder will der Erste sein.

Sie bauen Schneemann, machen Schneeballschlacht,
so gefällt es unseren Kindern.
Sie toben draußen bis in die Nacht,
wie schön ist doch der Winter.

Mal  bitterkalt, mal fällt der Schnee,
mal schmilzt die Sonne das Eis.
Und stürmt es draußen kalt, oh weh,
drinnen in der Stube ist’s heiß.

Ein Wintertag wie im Bilderbuch,
Zeit zum Spazierengehen.
Bei Tier und  Natur zu Besuch,
und die Wunder des Winters sehen.

© Gabriela Straubel







Vorstellung
Geboren wurde ich 1968 im thüringischen Schmalkalden.
Ich wuchs mit meinem Bruder und meinen Eltern in Breitungen / Werra auf.
Nach der 10.Klasse besuchte ich die Erweiterte Oberschule und schloss diese mit dem Abitur ab. 1988 begann ich mein Studium in Freiberg/Sachsen und beendete dieses 1994 als Diplom-Ingenieur-Ökonomin.
Seit 2001 lebe ich mit meiner Familie wieder in Breitungen.
Beruflich bin ich als kaufmännische Betriebsleiterin und Ausbilderin tätig.
Vor einigen Jahren begann ich mit dem Schreiben von Gedichten. Auch aufgrund einer schweren Erkrankung war es mir wichtig, meine Gedanken und Gefühle auf Papier zu bringen. Es folgten verschiedene Veröffentlichungen in Gedichtbänden, wie zum Beispiel im Buch “Mordsgedichte” oder im Jahrbuch “Gedicht und Gesellschaft 2014” der Frankfurter Bibliothek.
Seit Oktober 2014 bin ich selbstverlegende Autorin. “Zurück im Leben” war mein erstes Buch mit Gedichten, umrahmt von Bildern und einer persönlichen Geschichte. Im November 2015 folgten die Geschenkbücher “Herzgedanken” und “Finde dich wieder” und vor kurzem erschien „Der kleine Schokoladenkobold“ - eine Weihnachtsgeschichte.
Ich schreibe auf Wunsch Gedichte für alle Anlässe und gebe Lesungen.

Mein Wunsch ist es, andere Menschen mit meinen Gedichten und Geschichten zu berühren, ihnen Mut zu machen, auch schwierige Momente im Leben, mit einem Lächeln im Gesicht zu überstehen und nie aufzugeben.