Sonntag, 4. Dezember 2016

Wintersonne von Ingeborg Höverkamp





Foto von Ingeborg Höverkamp

Veilchenblaue Schatten kündigen ihr Kommen an. Der Himmel ist von einem transparenten Frostrot. Irgendwo bellt ein Hund. Der Schnee knirscht unter den Schuhen. Fast schmerzt das Atmen in der eisigen Luft.
Und nun ist sie da. Die Wintersonne. Ein Feuerball am Morgenhimmel. Nachtgedanken löscht sie einfach aus. Es ist, als glitzerten Milliarden Diamanten im Schnee. Die schneebedeckten Berge, vor wenigen Minuten noch dunkel und drohend, flammen frostrot. Silberhell ertönen die Glöckchen der Pferde, die mit dampfendem Atem die uralten, bunt bemalten Schlitten vom Tal herauf ziehen.
Mittag. Zu keiner anderen Jahreszeit feiert die Natur ein so verschwenderisches Lichtfest wir in dieser winterweißen Landschaft. Weich und fließend werden die Konturen. Gleißende Lichtkaskaden loten die Grenze des Erträglichen für das menschliche Auge aus.
Vor dem alten Bauernhaus sitzt eine schwarze Katze in der Morgensonne. Sie schnurrt behaglich, als ich sie streichle. Ihr Fell ist seidig und sonnenwarm. Von den Eiszapfen, die vom Dach fast bis zur Erde reichen, tropft es.
Allmählich werden die Schatten länger. Das Licht erscheint jetzt in einem leuchtenden Goldton. Berge, Hügel und Täler sind wie mit Goldstaub überzogen. Jetzt treten die Konturen wieder schärfer hervor. Aus dem Tal steigen feine Nebelschleier. Ein Hauch von Abschied liegt in der Winterluft. Die Geräusche aus dem Tal dringen wie verschlafenes Vogelzwitschern herauf. Schließlich verstummen alle Laute.
Und nun beginnt die Sonne mit ihrem Feuerwerk. Es ist, als setze sie die Berge in Flammen. Dunkelrot lodernd. Man glaubt, im Schnee leuchtende Rubine zu sehen.
Die ersten Sterne blinken am Abendhimmel. Langsam verblasst das Glühen. In dem Augenblick, in dem die Sonne hinter den Berggipfeln verschwindet, legen sich nachtblaue Schatten auf die Schneedecke. Und dann wird es bitter kalt. Gedanken an heissen Tee und Kaminfeuerwärme bewirken, dass man die Schritte beschleunigt. Der Schnee knirscht unter den Schuhen. Irgendwo bellt ein Hund. Das helle Licht des Vollmondes weist uns den Weg. Bald tauchen die erleuchteten Fenster unseres Hauses. auf. 

Ingeborg Höverkamp, wohnt in der Nähe von Nürnberg, Studium der Geschichte und der Anglistik, bis 1990 Lehramt, seitdem freie Autorin und Dozentin.
Mitglied im Freien Deutschen Autorenverband, im VS und im Frankenbund, Leiterin der Schreibwerkstatt Blaue Feder.
Elisabeth-Engelhardt-Literaturpreis, Auszeichnung für Lyrik, 1. Prosapreis der Stadt Nürnberg, Aufnahme in das Internationale Lexikon "Outstanding Writers of the 20th Century
Veröffentlichungen: u.a. Mondstaub, Gedichte, Elisabeth Engelhardt, Biografie, Zähl nicht, was bitter war, Roman, Tödlicher Tee, Krimi, Nie wieder Krieg, Hrsg., Von der Trümmerstadt zur Frankenmetroploe, Hrsg.

Ausführliche Infos unter: www.nuernbergwiki.de       Dort unter "Ingeborg Höverkamp"