Donnerstag, 8. Dezember 2016

Etwas Besonderes zu Weihnachten von Eva Joachimsen

Bild von Krisi Sz.-Pöhls

„Wir müssen uns endlich ein Geschenk für Mutter einfallen lassen“, drängte Marysol und stellte den Ton des Fernsehers leiser. „Es sind nur noch zehn Tage bis Weihnachten.“
Tyler langte in die Chipstüte. Knirschend zersprangen die Chips zwischen seinen Zähnen. „Ich habe keinen Plan. Du weißt doch viel besser, was Frauen mögen.“ Er runzelte die Stirn. „Wie wär’s mit Parfüm?“
„Nee, das hatten wir schon zweimal.“ Marysol verzog ihr Gesicht und schüttelte sich.
„Ein Buch, eine DVD?“ Er schaute sich suchend im Wohnzimmer um.
„Hm, mit etwas mehr Liebe.“ Marysol schüttelte ihren Kopf, sodass ihre langen Haare hin- und herflogen.
„Am besten gleich einen Mann, dann wird sie vielleicht wieder genießbar.“ Tyler grinste seine Schwester herausfordernd an.
Marysol runzelte die Stirn. „Eine Kontaktanzeige?“
„Speed-Dating?“
„Ein Tanzkurs?“
„Tanzkurs wäre nicht schlecht.“ Tyler sprang auf, holte das Tablet seiner Mutter und googelte die Tanzschulen. „Mist, viel zu teuer“, schimpfte er und warf das Tablet enttäuscht auf den Tisch.
„Vielleicht schaffen wir es doch?“ Marysol holte ihre Pralinenschachtel, in der sie ihr Geld aufbewahrte, aus ihrem Zimmer und zählte nach. „24 Euro.“
„Ich habe nur 16 Euro.“  Tyler zuckte die Achseln und lange erneut in die Chipstüte.
„Vielleicht gibt Oma etwas dazu?“  Marysol drehte eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern.
„Für Oma brauchen wir auch noch etwas“, warf Tyler ein.
„Und du wünscht dir ein Nintendospiel.“  Marysol stellte ihr Geld auf die Kommode neben dem Sofa.
„Also doch eine Anzeige.“
„Und was kostet die?“  Marysol zog die Chipstüte zu sich heran, doch bevor sie zulangen konnte, hatte Tyler sie wieder an sich genommen. Anschließen nahm er wieder das Tablet und suchte nach der Tageszeitung. „Nee, die Anzeige kostet ein Vermögen“, jammerte er.
„Im Anzeigenblatt sind sie nicht so teuer.“
„Das liest doch keiner.“
„Doch, die Männer, die eine Frau suchen, schon.“ Marysol gelang es, eine große Handvoll Chips zu erbeuten.
Nach einigem Hin und Her beschlossen sie, lieber nur ein Buch zu kaufen.
„Aber es muss ein Liebesroman sein“, bestand Tyler auf der Idee mit der Liebe.
Am nächsten Morgen verschliefen sie, Mutter hatte sie zwar geweckt, war dann aber wie üblich zur Arbeit gegangen und die Beiden waren wieder eingeschlafen.
Marysol wachte auf, als ein Unfallwagen mit Martinshorn am Haus vorbeifuhr.
„Schiet!“ Entsetzt sprang sie aus dem Bett. „Tyler komm, es ist schon halb acht.“
Wie gut, dass sie gestern nach dem Fußballtraining geduscht hatte, so sprang sie nur in die erstbesten Klamotten, die noch auf ihrem Stuhl lagen und stürmte in Tylers Zimmer. Der war zum Glück auch gleich hochgeschreckt und in seine Kleidung vom Vortag gesprungen. Mutter hatte ihnen wie gewohnt die Schulbrote geschmiert und hingelegt, sodass sie sofort losstürmen konnten. Sie sprangen nebeneinander die Treppe hinunter und direkt in einen Mann, der mit einer Brötchentüte in der Hand die Treppe hochlief.
Der breitschultrige Mann war zum Glück standfest, nur die Brötchen rollten die Stufen hinunter. Tyler sammelte sie auf, während Marysol sich stotternd entschuldigte.
„Wir haben verschlafen und müssen uns beeilen.“
„Na, dann rennt weiter, aber haltet die Augen auf, damit ihr nicht die alte Dame aus dem Erdgeschoss umreißt.“
Marysol nickte und rannte hinter Tyler her. Als sie den Schulhof erreichten, klingelte es. Aber sie hatten Glück. Ihre Lehrer betraten noch später als sie die Klassenzimmer.
Während sie nachmittags abwuschen, meinte Tyler. „Der Typ von heute Morgen ist in Ordnung.“
„Das muss der neue Nachbar sein. Der wäre doch als Freund für Mutter nett“, überlegte Marysol und lehnte den Holzkochlöffel an die Wand.
„Und wie willst du sie verkuppeln?“
Marysol schwieg. Sie grübelte noch, während sie die Hausaufgaben machte. Doch Tyler hatte die Lösung, ohne dass sie sich abgesprochen hatten.
„Wir haben heute Morgen den neuen Nachbarn auf der Treppe fast umgerissen“, gestand er kleinlaut beim Abendessen.
„Ist er gestürzt? Hat er sich verletzt?“ Mutters Alarmglocken gingen sofort an und sie wollte alles genau wissen.
Tyler senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Nein, aber seine Brötchen sind im Dreck gelandet und er war echt sauer.“
Marysol hielt die Luft an, der Typ war doch total cool gewesen.
„Dann geht hin und entschuldigt euch“, befahl Mutter.
„Haben wir schon“, nuschelte Tyler, noch immer mit gesenktem Kopf.
„Ich gebe euch das Geld für die Brötchen.“
„Kannst du mit ihm sprechen? Bitte!“ Marysol unterstützte sofort ihren Bruder.
„War er so schlimm?“
Mit gesenkten Köpfen nickten die Beiden.
Mutter stöhnte. „Gut, dann deckt ab, macht den Abwasch und stellt das Frühstücksgeschirr auf den Tisch.“
Ohne zu murren machten sich die Beiden an die Arbeit.
Anschließend sah sich Marysol den Liebesfilm im Ersten an und Tyler spielte auf dem Tablet. Und als Mutter danach immer noch nicht zurück war, gingen sie freiwillig ins Bett.
„Das war eine gute Idee“, lobte Marysol, bevor sie ihre Zimmertür schloss.
Es war wirklich eine tolle Idee. Mutter überwachte sie nicht mehr krankhaft und sie konnten in Ruhe mit ihren Freunden chatten und Onlinespiele spielen. Das Beste war, dass Martin versprach, mit ihnen ins Konzert zu gehen.
Und für Mutter kauften sie als Weihnachtsgeschenk zwei Kinokarten.

© Eva Joachimsen


 


Eva Joachimsen liebt lesen, schreiben und tanzen. Seit vielen Jahren veröffentlicht sie Kurzgeschichten in Zeitschriften. Mehr von ihr erfährt man auf ihrem Blog. Ein Überblick über ihre Bücher gibt es hier.

Krisi Sz.-Pöhls lebt recht zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.

Malen gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die Autodidaktin Künstlerin geworden.


Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei  www.zazzle.de/mbr/238764950947258943