Montag, 12. Dezember 2016

Die Begegnung mit dem Christkind von Caroline Régnard-Mayer





Die siebenjährige Caroline steigt schüchtern die Stiegen im Treppenhaus hinauf zu Frau Weber, die sie aber in ihren Gedanken „Webertante“ nennt. Eine alte Frau, die ihr ansonsten Angst einflößt, denn sie lässt das kleine Mädchen nicht auf der Wiese vorm Haus spielen. Doch sie überwindet ihre Furcht, denn es ist Adventszeit und jedes Jahr im Dezember erzählt die ansonsten so griesgrämige Frau ihr eine Geschichte über das Christkind.
Vor wenigen Tagen schrieb Caroline ihren Wunschzettel und wie all die Jahre davor, legte sie ihm gemeinsam mit ihrer Mutter, diese buntverzierten Zeilen zusammengefaltet und mit einer brennenden Kerze beschwert, abends vor das Küchenfenster. Ach, welch Freude in den Augen des Kindes, wenn morgens der Brief verschwunden war.
»Das Christkind hat ihn gestern Abend mitgenommen, als es die Häuser abflog und die brennende Kerze in unserem Fenster sah. Sei gespannt, es wird dir vielleicht eins deiner Wünsche erfüllen«, sprach die Mutter zu ihrer kleinen Tochter. Die Augen des Mädchens glänzten, denn sie wünschte sich so sehnlich ein Puppenhaus.
Caroline klingelt und hört die schlürfenden Schritte von Frau Weber, die ihr mit einem Ruck die Wohnungstür öffnet.
»Ja?«, mehr sagt die Frau nicht, denn jedes freundliche Wort war ihr fremd.
»Guten Tag. Erzählst du mir die Geschichte vom Christkind?«, fragt das Kind schüchtern.
»Komm herein und setze dich in die Küche.« Sie läuft vor dem Mädchen in besagten Raum und stellt ihr altmodisches Bügeleisen, das noch mit Kohle beheizt wird, auf den Ofen. Sie hatte viele Schicksalsschläge in ihrem Leben hinnehmen müssen und war nun eine verhärmte alte Frau geworden, die im Innern aber ein gutes Herz besaß und sich jedes Jahr freute, wenn die kleine Caroline zu ihr in ihre Wohnung kam. Doch das Betreten des Rasens vor dem Haus würde sie nie erlauben, denn Ordnung musste nun einmal sein. Jetzt werden ihre Gesichtszüge weich und sie beginnt zu erzählen:
»Jedes Jahr schmückten wir den Weihnachtsbaum mit unserer Mutter. Wir waren vier Kinder und ein buntes Durcheinander herrschte, wenn es darum ging, was wir aufhängen wollten. Doch Mutter entschied und somit verzierten wir wie jedes Jahr, die große Tanne mit roten Kugeln und Holzfiguren. Das silberne Lametta platzierte Mutter alleine auf den Christbaum, Faden für Faden über jeden einzelnen Zweig. Mit großen Augen verfolgten wir dieses Geduldsspiel. Trotz jährlichem Betteln von uns Kindern, blieb die Spitze des Baumes ungeschmückt. Denn diese berührte die Decke, so riesig und ausladend war unser Baum. Ach, so gerne hätten wir auch einen Engel an die Spitze gesteckt, wie unsere Klassenkameraden, aber Mutter lehnte dies strikt ab. Dann schickte sie uns ins Bett.
Am frühen Morgen wachte ich zeitig auf. Es war Heiligabend. Leise schlich ich nach unten. Ein Klang, wie ein Glöckchen, hatte mich geweckt. Die Holzstiegen der Treppe knarrten, aber keiner hörte mich. In meinem langen weißen Nachthemd und meinen blonden Locken, die weich meinen Rücken hinunterflossen, sah ich wie ein kleines Engelchen aus. Plötzlich blieb ich mitten auf der Treppe stehen und umklammerte das Holzgeländer. Welch lieblicher Anblick bot sich mir! Unser Tannenbaum leuchtete strahlend im Kerzenschein und die Holzfiguren spiegelten sich in den roten Kugeln. Ich hielt den Atem an, denn der Anblick verzauberte mich. Unter dem Baum lagen unsere Geschenke, die in diesem Moment das Christkind für uns verteilte. Endlich sah ich es mit eigenen Augen! Es hatte wie ich ein langes weißes Gewand an, das aber glitzerte und die blonden Locken zierten sein Antlitz. Als es die Päckchen alle unten den Baum gelegt hatte, nahm es eine zierliche goldfarbene Trompete in seine Hände und spielte eine Melodie. Dabei flog es noch einmal um den hell erleuchteten Baum und verschwand aus meinem Gesichtsfeld. Wie gebannt stand ich auf unser Treppe und schaute mit großen Augen den funkelnden Weihnachtsbaum an. Ich hatte wirklich das Christkind gesehen! Plötzlich hörte ich von oben Stimmen. Meine kleinen Geschwister waren erwacht und kaum gedacht, stiegen sie leise die Treppe hinunter und schauten wie ich, verzaubert den Weihnachtsbaum an.«
Mit offenem Mund hörte die kleine Caroline der alten Frau zu, während diese in geheimnisvollem Flüsterton die Geschichte vom Christkind erzählt hatte. Das Mädchen war verzaubert, wie einst das Kind in der Erzählung. 
»Du hast wirklich das Christkind gesehen?«, fragt es nun die alte Frau.
»Ja, das habe ich. Wenn du brav bist, wirst du es vielleicht auch sehen und es bringt dir dein Puppenhaus.«
Verträumt steigt das kleine Mädchen wieder die Treppen hinunter und nimmt sich fest vor, die ganze Adventszeit folgsam zu sein und am Morgen des Heiligen Abend durchs Schlüsselloch des Wohnzimmers zu blicken. Vielleicht sieht auch sie das Christkind in seinem langen leuchtenden Gewand mit der goldfarbenen Trompete in der Hand.

Caroline Régnard-Mayer





Zutaten:
125 g Butter
70 g Zucker
150 g Dinkel- oder Vollkornmehl
1,5 TL Backpulver
150 g gemahlene Haselnüsse
½ TL gemahlene Vanille
2 EL Wasser
200 g Marzipan-Rohmasse
150 g Puderzucker
1 Glas Johannisbeergelee
75 g Puderzucker
2 EL Rum (oder Zitronensaft)

Mehl mit Backpulver auf die Tischplatte sieben, in die Mitte Zucker, Vanille und Wasser geben und vermischen. Butter in kleinen Stücken dazugeben und Haselnüsse hinzufügen, alles miteinander verkneten. Etwa eine halbe Stunde kaltstellen und dann den Teig etwa 2 mm ausrollen. Runde Plätzchen ca. 4 cm ø ausstechen und auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech 8-10 Minuten bei 175° Umluft backen.

Marzipan-Rohmasse und Puderzucker verkneten, dünn auf der mit Puderzucker bestäubten Tischplatte ausrollen und Plätzchen wie oben ausstechen.

Die erkalteten Plätzchen mit Johannisbeergelee bestreichen und mit Marzipanplättchen abdecken.

Für den Guss 75 g Puderzucker mit Rum oder Zitronensaft glattrühren und die Plätzchen damit dünn bestreichen. Nach Belieben mit Haselnusskernen oder gehackten Pistazien verzieren.




Die Autorin Caroline Régnard-Mayer lebt mit ihren beiden Kindern in Landau in der Pfalz. Nach der Diagnose Multiple Sklerose 2004 ist sie mittlerweile als MTLA berentet.
Seit 2009 wurde sie bekannt mit ihrem ersten Buch "Frauenpower trotz MS" ... aus dem Leben gegriffen! Mittlerweile kamen zum 2. und 3. Teil ihr Sammelband "Frauenpower trotz MS - Trilogie" dazu, auch "Mademoiselle klopft an meine Tür!" darf man nicht vergessen. Ein Buch über ihre Erfahrung mit der Krankheit Depression - ein Weg heraus, mit dem nötigen Ernst, aber auch Humor geschrieben.
Es sind alles Mutmachbücher, die Betroffenen und anderen chronisch Erkrankten und deren Angehörige mit Freunden einen neuen, eben ´anderen Weg` zeigen. Mittlerweile hat sich zwei Kochbücher geschrieben und das wichtigste Buch, ihren Ratgeber "Wir haben MS und keiner sieht es!", erschienen 2015. Es beschreibt die unsichtbaren Symptome bei Multiple Sklerose, informiert, klärt auf und hilft Betroffenen und Angehörige.

Seit drei Jahren bloggt die Autorin überzahlreiche Themen, mal informativ und schmunzelnd oder was das Leben so bietet.