Sonntag, 18. Dezember 2016

Weihnachtsfeier bei Carsten von Andrea Langer

Bild von Krisi Sz.-Pöhls


Wie jedes Jahr, am dritten Freitag im Dezember, hatte Carsten seine liebsten Freunde zum Gänsebratenessen eingeladen. Wir freuten uns sehr, denn diese Feier war von allen Weih­nachtsfeiern immer die Schönste.
Er und sein Freund Manfred waren wahre Künstler im Schmücken des Tannenbaums und im Dekorieren der Räume. Weihnachtssterne, Amaryllis, überall Kerzen - alles nur in Weiß.
Für seine Gäste war es schwer, ihm ein passendes Geschenk mitzubringen, denn er schien alles zu haben und wunschlos glücklich zu sein! So musste es immer etwas Besonderes sein, etwas Selbstgemachtes, das man nicht kaufen konnte: Gestrickte warme Socken, eingelegte Gurken, Marmelade, Kekse und vieles mehr.
Marion hatte, wie jedes Jahr, einen Hamburger Stollen gebacken, mit Hefe und Kardamom, natürlich ohne Zuckerglasur - wegen der Kalorien.
Um achtzehn Uhr trafen die Gäste nach und nach ein. Jeder bewunderte das Jugendstil-Etagenhaus, erbaut im Jahre 1908, weiter das stilvolle Treppenhaus, ausgestattet mit großen eingerahmten Spiegeln, versehen mit Ornamenten sowie farbenprächtigen Mosaikmotiv-Fenstern. Im Vorgarten stand bereits der lebensgroße Weihnachtsmann.
Carsten wohnte im vierten Stock. Wir klingelten. Er schickte den Fahrstuhl hinunter - einen historischen Aufzug mit zwei Holztüren, die man zuklappen musste, bevor er wieder losfuhr. Wir stiegen ein. Sicher waren wir zu viele, denn der Aufzug knatschte und knurrte mächtig. Er benötigte ewig. Mit einem Ruck hielt er. Wir hatten es geschafft, wir waren oben!
Carsten begrüßte uns mit Champagner. Alle Gäste waren locker und gut gelaunt. Er hielt eine kleine Rede und schloss mit den Worten: „Die Gans ist hoffentlich auf dem Weg zu uns“, er kicherte und fügte hinzu „einmal im Jahr dürfen wir doch sündigen, oder?“
Da klingelte es auch schon. „Oh, da ist sie ja.“ Er ging in den Flur, um den Aufzug nach unten zu schicken und wartete auf den „Schlachter seines Vertrauens“. Plötzlich ein Ruckeln, Quietschen und Stöhnen, eine Stimme schrie vom unteren Stockwerk: „Der Fahrstuhl steckt fest, was soll ich tun! Mit diesem alten Ding kenn ich mich nicht aus!“
Carsten beruhigte ihn mit den Worten: „Ich werde den Hausmeister anrufen!“ Gesagt, getan. Doch der meinte, gleich den Notdienst anzurufen. Die nette Damen am Telefon erläuterte: „Alle Mitarbeiter sind unterwegs, das kann dauern, Freitagfeierabendverkehr!“
Der Schlachter wurde ungeduldig. “Das muss nun aber mal schnell gehen, dalli, dalli! Stehe mit dem Lieferwagen in zweiter Reihe und außerdem wird das Essen kalt!“
Nun, im Moment war nichts zu machen, außer auf den Notdienst zu warten.
Manfred meinte: “Es riecht hier so komisch, hoffentlich brennt nichts an.“
Carsten beruhigte ihn: „Das ist die gebratene Gans im Fahrstuhl und der Rotkohl auf dem Herd. Riecht lecker, ich kriege Hunger!“ Viel Gelächter in der Wohnung, der Champagner schmeckte mit jedem Glas besser. „Ob wir schon mal die Vorspeise probieren sollten?“, fragte Carsten
„Oder den Nachtisch reichen?“, kam es aus einer anderen Ecke.
„Oder wir kochen Kaffee und probieren Marions Stollen?“
Aber damit war sie ganz und gar nicht einverstanden, denn dann wäre ratzfatz aufgegessen, woran sie einen ganzen Tag gearbeitet hatte. Wir einigten uns auf Kaffee und Nachtisch - dazu passte auch der Champagner!
Nach einer Stunde wurde der Schlachter befreit. Er war genervt und total von den „Füssen.“ Die endlich eingetroffene Gans verschwand im Bratofen und mit zweistündiger Verspätung wurde das Hauptgericht serviert. Bei ausgelassener Stimmung war das Gänse­bratenessen – wie jedes Jahr - natürlich ein voller Erfolg! - Fröhliche Weihnachten!
Beim Nachhausegehen nahmen alle die Treppen.

© Andrea Langer

 

Andrea Langer, 1935 im Haus am Deich geboren, liebt das Meer und den Horizont, das Lesen und Schreiben sowie die Menschen. Im Augenblick arbeitet sie an biografischen Geschichten. Im Buch "So spielt das Leben..." hat sie inzwischen mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Krisi Sz.-Pöhls lebt recht zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.
Malen gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die Autodidaktin Künstlerin geworden.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei  www.zazzle.de/mbr/238764950947258943