Foto von Sigrid Wohlgemut |
Griechische Insel Kreta, 1. Weihnachtsfeiertag, Emmanoúil. Obwohl mein
Namenstag offiziell am 26. Dezember stattfand, feierten die Dorfbewohner ihn
bereits einen Tag zuvor, denn in der Geschichte stand niedergeschrieben, dass
Jesus diesen Namen trug. Sein Geburtstag wurde mein Namenstag. Tagelang
bereitete meine Mutter die Speisen zu. Im gesamten Haus duftete es. Ich liebte
diesen Geruch, nach süßem und herzhaftem zugleich. Wir waren eine fünfköpfige
Familie. Meine Eltern, die sich in der Mitte ihres Lebens befanden, meine
beiden älteren Geschwister, Bruder Tákis, Schwester Mélissa und ich. Am Festtag
gaben sich die Gäste die Türklinke in die Hand. Prosteten mir zu und griffen
bei den Gerichten reichlich zu. Mein Bruder und ich verdrückten uns, zusammen
mit den anderen Jugendlichen. Unser Weg führte zum Dorfplatz, wir unterhielten
uns und flirteten mit den Mädchen, die sich dazugesellten oder schüchtern
lächelnd vorbeigingen. Der Mond leuchtete hell, sodass die Straßenbeleuchtung
zu verblassen schien. Freilaufende Hunde jagten Katzen, die sich Nahrung in den
städtischen Müllcontainern suchten. Für diesen einen Tag wurde die Olivenernte
unterbrochen. Es war friedlich in den engen Gassen und die Kirchturmglocke
erklang zum Abendgebet. Am nächsten Tag ging Vater seiner gewohnten Arbeit im
Steueramt nach. Mutter und wir Kinder ernteten, gemeinsam mit den Großeltern,
im Hain die Oliven. Nach Neujahr fuhren meine Geschwister und ich in
unterschiedliche Richtungen zu unseren Schulen. Seit dem fünfzehnten Geburtstag
wohnten wir in verschiedenen Städten. Vaters Gehalt verschaffte uns eine gute
Ausbildung. Zusätzlich erlernten wir, an privaten Schulen, Deutsch und
Französisch. Tákis und ich Gitarre, da wir gerne musizierten. Die Eltern
erbauten für jedes Kind ein Haus, direkt am Meer. Mélissas Anwesen war das
größte, sie würde es als Mitgift zur Hochzeit erhalten. Wir Jungs sollten
studieren. Vater hoffte, wir würden an den besten Universitäten des Landes
angenommen werden. Von Tákis wünschte er sich die Anwaltslaufbahn und in mir
sah er einen Chirurgen. Vater legte jeden Cent, der nicht in die Hausbauten
floss, für unsere Ausbildung zurück. Das Einzige, was sich Vater leistete waren
seine drei Hunde, mit denen er auf Hasenjagd ging, sobald die Saison anfing.
Uns Buben nahm er gerne mit und hin und wieder Mélissa, obwohl er es lieber
sah, wenn sie bei der Mutter die kretische Küche erlernte und Handarbeiten für
ihre Aussteuer fertigte.
Unserer Familie ging es gut. Wir hatten keine finanziellen Sorgen und es
dachte niemand darüber nach, dass es eines Tages anders kommen könnte.
Einige Jahre später traf es uns massiv. Wirtschaftskrise! Während der
Nachrichtensendung wurde die Hiobsbotschaft bekannt gegeben. Ich war gerade zu
Besuch bei den Eltern und kann mich genau daran erinnern, wie geschockt mein
Vater schien und meine Mutter sich vor Schreck die Hand vor den Mund hielt, um
nicht aufzuschreien. Schlagartig wurden neue Reformen eingeführt. Entlassungen,
Streichungen und vielfache Steuererhebungen gehörten von nun an zur Tagesordnung.
Mélissa war bereits verlobt und die Hochzeit sollte im folgenden Jahr
stattfinden. Tákis und ich hatten mit dem Studium in Athen angefangen.
Zuerst wurde Vaters Gehalt gekürzt, dann das Steueramt, indem er arbeite
geschlossen. Er verlor seine Stelle. Mit dem Verkauf von zwei Grundstücken
konnte er die Familie für einige Zeit ernähren. Die Hausbauten wurden
eingestellt, die Sorgen um die Ausstattung von Mélissas Hochzeit bedrückten
ihn. Mein Bruder und ich brachen das Studium ab und kehrten zurück nach Kreta,
um der Familie beizustehen. Wir versuchten es mit jeglicher Art von Arbeit.
Tauschhandel stand an Geldesstelle. Arbeit gegen Arbeit, Gemüse für Kartoffeln.
Unaufhaltsam hielt das System an auferlegten Bedingungen für den Rettungsschirm
fest. Geschäfte wurden geschlossen, Stellen wegrationalisiert, die
Arbeitslosenquote stieg und viele suchten im Ausland nach einer
Erwerbsmöglichkeit. In den Supermärkten standen Körbe bereit, in denen Käufer
Lebensmittel spenden konnten. Sie wurden dann an die Minderbemittelten
verteilt, die täglich zunahmen. Ich sah meinem Vater die Sorgen um die Familie
an. Am meisten belastete ihn, dass er Méllisas Hochzeit nicht ausrichten
konnte. Dies belauschte ich bei einem Gespräch meiner Eltern. An einem Sonntag
kam Vater von der Jagd nicht mehr nach Hause. Wir fanden ihn in einer Schlucht.
Er schien gestürzt zu sein und hatte sich dabei tödlich verletzt. Einen Tag
später trugen wir ihn zu Grabe. Bevor der Sargdeckel geschlossen wurde, schwor
ich ihm, dass ich alles versuchen würde, um seinen Wunsch zu erfüllen. Damit
meinte ich nicht die Hochzeit meiner Schwester, sondern dass ich Arzt werden
würde. Mit einundfünfzig war meine Mutter zur Witwe geworden, sie zerbrach
daran. Keiner von uns Kindern konnte sie auffangen in ihrem Schmerz, da wir
selbst darunter litten. Nach dem Trauerjahr heiratete Méllisa in kleiner
Gesellschaft. Tákis kümmerte sich um die übrig gebliebenen Ländereien und blieb
bei Mutter. Ich für meinen Teil wollte anfangen Vaters Wunsch zu erfüllen. Ich
verließ meine Familie und machte mich auf die Wanderschaft. Überall, wo ich
hinkam, fragte ich nach einer Gelegenheitsarbeit und nahm jeglichen Job an, den
ich finden konnte. Den größten Teil des Einkommens schickte ich an Mutter,
damit sie und mein Bruder genügend zum Leben hatten. Einen kleinen Teil sparte
ich für die Überfahrt nach Athen. Dort wollte ich versuchen eine Anstellung zu
finden und mir damit das Studium finanzieren. Nach Monaten hatte ich es endlich
geschafft, das Geld für die Fähre zusammenzusparen. In Athen angekommen stand
ich vor verschlossenen Türen der Universität.
Blauäugig!, schimpfte ich mich, als wenn es auf dem Festland besser um die
Wirtschaft bestellt gewesen wäre. Der Staat konnte die Gehälter der Lehrkräfte
nicht bezahlen und wann das wieder möglich war, stand in den Sternen. Auf den
Stufen sitzend, die Kälte zog in mir hoch, wusste ich mir in dem Moment keinen
Rat. Hunger und Durst hatte ich. Mein letztes Geld für die Fahrkarte
aufgebraucht. Ich muss hilflos ausgesehen haben, denn plötzlich wurde ich von
einer Frau angesprochen, die sich leicht zu mir herunterbeugte.
„Brauchen Sie Hilfe?“ Sie legte eine Hand auf meine Schulter.
Ich sah auf. Wärme ausstrahlende Augen blickten mich an. Doch ich war
unfähig zu antworten.
„Junger Mann, Sie sitzen hier und weinen. Kann ich etwas für Sie tun?“ Die
Stimme klang vertrauenerweckend.
Ich weinte? Erst da bemerkte ich, dass mir Tränen an den Wangen
hinunterliefen. Mit dem Handrücken wischte ich sie weg. Die Frau bewegte sich
nicht von der Stelle. Es war mir peinlich. Nie zuvor hatte ich geweint, nicht
einmal als Vater … Da hauste die Wut in mir, dass er sich aufgegeben und die
Familie verlassen hatte. Emmanoúil! So darfst du nicht denken, schallte ich
mich. Dein Vater war bei einem Unfall ums Leben gekommen. In meinem Inneren
schrie es, dass er den Schritt in die Tiefe, wegen Ausweglosigkeit gegangen
war. Und nun hockte ich auf den eiskalten Stufen. Der Wind wurde stärker und
ich fröstelte in meiner dünnen Jacke. Vor mir die Frau, die freundlich auf mich
einredete. Langsam erhob ich mich.
„Wissen Sie was, junger Mann, Sie kommen jetzt mal mit mir. Eine kräftige
Hühnerbrühe und ein Stück Apfelkuchen wird Ihnen guttun. Kommen Sie“, forderte
sie mich ein weiteres Mal auf. Ich folgte ihr. Die Verheißung auf eine warme
Mahlzeit war zu verlockend.
„Wie heißen Sie?“, fragte sie, neben mir gehend.
„Wie heißen Sie?“, fragte sie, neben mir gehend.
„Emmanoúil.“
„Freut mich, Panagijóta.“ Sie reichte mir die Hand. Trotz der Kälte fühlte
sie sich warm an. Erst jetzt schaute ich mir die Frau näher an. Sie schien im
Alter meiner Mutter zu sein, hatte schwarze kurze Haare, braune Augen. Ein
freundliches Lächeln lag auf ihren Lippen. Ihr aufrechter Gang zeugte von
Stolz.
„Sag mal, ich darf dich doch duzen, du könntest mein Sohn sein.“
„Gerne.“
„Was bedrückt dich?“ Panagijóta schien zur Sorte Mensch zu gehören, die
nicht lange um den heißen Brei redeten.
„Ich wollte mein Studium wiederaufnehmen. Doch die Universität ist bis auf
weiteres geschlossen.“
„Die Krise, mein Junge, die Krise. Schau ...“ Sie zeigte auf einen großen Platz, an dem wir gerade vorübergingen. Dort standen Menschen in einer Schlange. Sie hielten Teller in der Hand.
„Die Krise, mein Junge, die Krise. Schau ...“ Sie zeigte auf einen großen Platz, an dem wir gerade vorübergingen. Dort standen Menschen in einer Schlange. Sie hielten Teller in der Hand.
„Sie warten auf eine warme Mahlzeit. Soweit ist es mit unserem Land
gekommen.“ Sie seufzte auf.
Nach zehn Minuten hatten wir ihr Haus erreicht. Klein, doch es sah
einladend aus, mit den zahlreichen Grünpflanzen, die die Veranda schmückten.
Panagijóta steckte den Schlüssel ins Schloss, knarrend öffnete sich die Tür.
„Ich lege gleich Scheite ins Feuer, damit es wärmer wird.“ Sie schob mich vor sich her in die Küche. Der Duft von Gebackenem stieg mir sofort in die Nase und mein Magen knurrte verdächtig laut.
„Ich lege gleich Scheite ins Feuer, damit es wärmer wird.“ Sie schob mich vor sich her in die Küche. Der Duft von Gebackenem stieg mir sofort in die Nase und mein Magen knurrte verdächtig laut.
„Du hast wohl länger nichts Richtiges zu essen bekommen“, meinte
Panagijóta, während sie das Holz in den Ofen schob, um kurz darauf den Kessel
mit der Suppe zu erwärmen.
Nach dem Mahl, dass köstlich geschmeckt hatte, kamen wir ins Plaudern.
„Ich stamme von Kreta“, sagte ich.
„Das ist ja ein Zufall. Ich bin auf der Insel geboren und werde meinen
Lebensabend dort verbringen.“ Freudig lächelte sie mich an. Andächtig hörte
Panagijóta zu, als ich von meiner Familie erzählte. Hin und wieder schüttelte
sie den Kopf, doch unterbrach mich nicht ein einziges Mal. Nach meinem letzten
Satz blieb es für einen Moment still zwischen uns. Sie stand auf und stellte
den Apfelkuchen auf den Tisch. Bereitete stumm den Kaffee zu. Als sie sich
wieder hingesetzt hatte sagte sie: „Еmmanoúil, es gibt in Thessaloniki eine
Universität. Ein weitläufiger Verwandter unterrichtet dort. Ich schreibe dir
seine Anschrift auf und du meldest dich bei ihm. Du hast deinem Vater
versprochen zu studieren und Versprechen sollte man halten.“ Als ich mich von
ihr verabschiedete fühlte ich mich nicht nur gesättigt durch die warme Suppe,
sondern auch gekräftigt meinen Weg zu gehen.
Die Zeit des Studiums war wahrhaftig nicht einfach gewesen. Um mir die Uni
zu ermöglichen arbeitete ich in einem Krankenhaus für Unterkunft und Essen. Zu
Beginn leerte ich die Pfannen der Patienten aus, kümmerte mich um den Müll.
Später machte ich dort mein Praktikum. War ich hungrig dachte ich zurück an
Panagijótas heiße Hühnersuppe und dies schenkte mir in jeder ausweglosen
Situation Kraft und Zuversicht. Niemals kam mir in den Sinn aufzugeben, aus
Angst ich könnte Vaters Weg gehen, der für mich eine traumatische Abschreckung
war. Die Familie auf Kreta hatte ich seit Jahren nicht gesehen. Meine Rückkehr
sollte erfolgen, wenn ich meinen Abschluss in der Tasche hatte und eine
Anstellung im Universitätskrankenhaus der Insel erhielt. Erst dann wollte ich
zu Vaters Grab und ihm sagen, dass ich seinen Wunsch erfüllt hätte.
Einige Jahre waren in der Zwischenzeit vergangen. Die harte Krisenzeit lag
hinter uns. Langsam erholte sich die Wirtschaft. Ich arbeitete bereits einen
Monat in der Uniklinik der Insel, hatte öfters meine Mutter und Geschwister
besucht. Glücklich stellte ich mit eigenen Augen fest, dass sie die Krise gut
gemeistert hatten. Mutter schien sich verliebt zu haben, hatte mir Tákis
gesteckt. Ich freute mich für sie, auch wenn Mutter es vor mir geheim hielt.
Meine Schwester hatte zwei Jungs zur Welt gebracht. Gerne kam ich meinem
Onkeldasein nach, sobald mir mein Dienst Zeit dazu ließ. Mein Bruder fühlte
sich wohl als Bauer. Es sagte ihm mehr zu in der Natur zu arbeiten, statt in
einem Büro eingeschlossen zu sein. Am Grab meines Vaters bat ich ihn um
Verzeihung, wegen meiner Gedanken, über einen selbstverursachten Unfall, um
sich damit aus der Misere zu ziehen.
Es war Weihnachten, Christus Geburt und mein Namenstag.
Ich hatte Spätdienst. Bei der Visite stellte ich fest, dass auf dem Tisch
an den Krankenbetten Kerzen brannten. Niemand würde am heutigen Tag für mich
ein Fest ausrichten. Für einen Moment sehnte ich mich in meine Jugend zurück.
Lächelte bei dem Gedanken, dass mein Bruder und ich immer vor den vielen Gästen
abgehauen waren, um im Dorfkern mit den Mädchen zu flirten. Ich wurde in die
Notaufnahme gerufen. Schnell setzte ich mich in Bewegung. Gerade kam der
Krankenwagen angefahren. Die Türen öffneten sich.
„Patientin, wahrscheinlich Treppensturz. Wir haben Sie dort gefunden, wo sich ein paar Obdachlose aufhalten. Sie war ansprechbar, ungefähr Mitte sechzig, Blutdruck normal, Verdacht auf Unterschenkelfraktur.“
„Patientin, wahrscheinlich Treppensturz. Wir haben Sie dort gefunden, wo sich ein paar Obdachlose aufhalten. Sie war ansprechbar, ungefähr Mitte sechzig, Blutdruck normal, Verdacht auf Unterschenkelfraktur.“
Der Blick der Frau traf auf den meinen. Panagijóta! Ich war mir nicht
sicher, ob sie mich erkannte, ihre Sicht schien verschleiert von den
verabreichten Schmerzmitteln. Nach den Röntgenaufnahmen stand fest. Wir müssen
sofort operieren.
„Sie ist nicht krankenversichert. Wer soll die Kosten übernehmen? Nach dem
heutigen System wird es schwer sein, dass wir von der Leitung die Genehmigung
dafür erhalten“, sagte der Oberarzt.
„Wir müssen sofort handeln, sonst verliert sie ihr Bein. Welcher
Operationsraum ist frei, ich operiere selbst.“
„Du bist Chefarzt, dass ist unmöglich. Wir bekommen Ärger.“
„Wie du sagtest, ich bin hier der Chef. Die Patientin auf die OP vorbereiten, ich trommle mir mein Team zusammen. Heute ist Weihnachten, es wird schwer sein, doch nicht unmöglich.“
Ich beauftragte die Schwester bei den Kollegen anzurufen und sie in die Klinik zu bestellen. Ich wollte das Panagijóta die bestmögliche Behandlung erhielt. Die Frau, die mir damals Courage gab, meinen Weg zu gehen und dieser hatte mich weit gebracht. Wir konnten ihr Bein retten. Panagijóta wollte sofort entlassen werden. Ich konnte mir ihre Beweggründe denken. Die Visite übernahm mein Kollege. Ich wollte nicht, dass sie erfuhr, dass ich die Operation durchgeführt hatte. Die stolze Panagijóta würde sich schämen, dass ich sie in einem solchen Zustand gesehen hatte. In meiner Freizeit machte ich mich auf die Suche, um herauszufinden, was ihr im Laufe der Jahre zugestoßen war. Ich besuchte ihren Geburtsort und traf auf einen Nachbarn, der sie gut kannte. Er erzählte mir, dass sie vor einigen Jahren in ihr Dorf zurückkehrt war und feststellen musste, dass der eigener Bruder das Haus und die Ländereien bereits verkauft und somit Panagijóta um ihr Erbe gebracht hatte. Zurück nach Athen konnte sie nicht, dort hatte der Ehemann sich eine junge Geliebte zugelegt. Und Kinder hätte sie keine, bei denen sie unterkommen könnte. Panagijóta wohnte bei einer alten Freundin, die jedoch kurz darauf verstarb. Gerade in dem Moment, als sie eine neue Unterkunft gefunden hatte, die Altersrente beantragt war und sie somit auch krankenversichert gewesen wäre, fiel sie die Treppenstufen hinab. Sie hatte an Obdachlose eine heiße Suppe verteilt und war dabei gestürzt. Nach drei Wochen wurde sie aus der Klinik entlassen. Die Schwester überreichte ihr die Entlassungspapiere. Aus der Entfernung beobachtete ich den Vorgang. Irgendwann würde ich Panagijóta in ihrem Dorf besuchen gehen, jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
„An, wenn muss ich mich wegen der Rechnung wenden?“, hörte ich sie fragen und sah ihr blasses Gesicht.
„Wie du sagtest, ich bin hier der Chef. Die Patientin auf die OP vorbereiten, ich trommle mir mein Team zusammen. Heute ist Weihnachten, es wird schwer sein, doch nicht unmöglich.“
Ich beauftragte die Schwester bei den Kollegen anzurufen und sie in die Klinik zu bestellen. Ich wollte das Panagijóta die bestmögliche Behandlung erhielt. Die Frau, die mir damals Courage gab, meinen Weg zu gehen und dieser hatte mich weit gebracht. Wir konnten ihr Bein retten. Panagijóta wollte sofort entlassen werden. Ich konnte mir ihre Beweggründe denken. Die Visite übernahm mein Kollege. Ich wollte nicht, dass sie erfuhr, dass ich die Operation durchgeführt hatte. Die stolze Panagijóta würde sich schämen, dass ich sie in einem solchen Zustand gesehen hatte. In meiner Freizeit machte ich mich auf die Suche, um herauszufinden, was ihr im Laufe der Jahre zugestoßen war. Ich besuchte ihren Geburtsort und traf auf einen Nachbarn, der sie gut kannte. Er erzählte mir, dass sie vor einigen Jahren in ihr Dorf zurückkehrt war und feststellen musste, dass der eigener Bruder das Haus und die Ländereien bereits verkauft und somit Panagijóta um ihr Erbe gebracht hatte. Zurück nach Athen konnte sie nicht, dort hatte der Ehemann sich eine junge Geliebte zugelegt. Und Kinder hätte sie keine, bei denen sie unterkommen könnte. Panagijóta wohnte bei einer alten Freundin, die jedoch kurz darauf verstarb. Gerade in dem Moment, als sie eine neue Unterkunft gefunden hatte, die Altersrente beantragt war und sie somit auch krankenversichert gewesen wäre, fiel sie die Treppenstufen hinab. Sie hatte an Obdachlose eine heiße Suppe verteilt und war dabei gestürzt. Nach drei Wochen wurde sie aus der Klinik entlassen. Die Schwester überreichte ihr die Entlassungspapiere. Aus der Entfernung beobachtete ich den Vorgang. Irgendwann würde ich Panagijóta in ihrem Dorf besuchen gehen, jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
„An, wenn muss ich mich wegen der Rechnung wenden?“, hörte ich sie fragen und sah ihr blasses Gesicht.
„Steht alles im Umschlag.“ Wie zuvor besprochen entfernte sich die
Schwester, direkt nach der Übergabe.
Panagijóta setzte sich auf einen der Flurstühle. Öffnete den Umschlag.
Nicht lange, da fing sie zu weinen an, sah sich um. Ich drehte mich ab, denn
ich wusste es waren Tränen der Erleichterung. Auf die Rechnung hatte ich
geschrieben: 'Bezahlt mit einer heißen Hühnersuppe.'
Die Autorin Sigrid Wohlgemuth wurde in Brühl, bei Köln
geboren. 1996 erfüllte sich die selbstständige Kauffrau ihren Traum, zog nach
Kreta und machte die Insel zu ihrer Wahlheimat. Die Mittelmeerinsel, ihre
Bewohner, die kretische Küche und das Schreiben wurden zu ihrem
Lebensmittelpunkt. Es entstanden Geschichten und Romane, die überwiegend auf
Kreta spielen. Nicht nur in ihren Erzählungen, sondern auch bei Lesungen in
Deutschland und auf Kreta, sowie in Live - Kochshows auf der Insel möchte Sie
dem Gast die kretische Kultur, sowie Land und Leute näherbringen.
Das Lebensmotto von
Sigrid Wohlgemuth: „Lebe deinen Traum, bevor es zu spät dazu ist.“
2017 – Und tschüss …
Auf nach Kreta mit Rezepten Franzius
Verlag GmbH
2015 – Der Duft von
Oliven Der kleine Buchverlag/Lauinger
Verlag
2013 – Drei Stühle
– Köstliche kretische Geschichten
& Rezepte Stories & Friends
Verlag
2012 – Bis am Baum
die Lichter brennen HS Verlag –
Österreich
Zahlreiche
Veröffentlichen in Anthologien und Zeitschriften.
2017 – Zeitschrift Das Lavendelo – Natürliches. Selber. Machen
facebook Sigrid Wohlgemuth
sigrid.wohlgemuth@yahoo.de