Bild von Christine Erdic |
(eine Geschichte aus
dem Buch „Nepomucks Märchen)
Es
war einmal ein kleiner Koboldjunge namens Nepomuck, der gern durch die Wälder
sprang.
So
auch an jenem heißen Tag im Sommer. Vergnügt sang er dabei vor sich hin und
pflückte hier und dort eine wohlschmeckende Beere von einem Strauch. Plötzlich
schaute er überrascht auf seine Hand. War das etwa eine Schneeflocke, die
darauf schmolz? Er sah zum Himmel empor - und wirklich: Vor ihm tanzten
weiße Flocken in wildem Reigen.
„Oh
weh, oh weh! Im Sommer Schnee!“, erklang ein feines Stimmchen neben ihm.
Nepomuck schaute verwundert zu Boden und entdeckte ein kleines Wesen mit
spitzen Ohren, das auf einem Fliegenpilz saß und sich seine grün schimmernden
Flügel putzte.
Elfen
ließen sich meist nur auf Festen oder Versammlungen der Waldwesen blicken, da
sie stets mit der Pflege der Tiere und Pflanzen des Waldes beschäftigt waren.
„Was
ist denn geschehen?“ wollte der neugierige Kobold wissen.
„Ach,
die Eisfee Griseldis ist wütend, weil ihr einziger Sohn fortgezogen ist. Sieh
doch: Es schneit immer schlimmer - und das mitten im Sommer! Mir ist schon ganz
kalt!“
Ja
wirklich, es wurde richtig frostig auf einmal, und die Blumen am Wegrand ließen
traurig ihre Köpfe hängen.
„Wo
wohnt denn die Eisfee?“
Die
Elfe wies nach Norden. „Es ist ein wenig weit. Willst du dort hin? Dann werde
ich dich ein Stück des Wegs begleiten. Aber was kannst du schon tun?“
„Ich
weiß es nicht, vielleicht fällt mir etwas ein“, entgegnete Nepomuck.
Nach
geraumer Zeit ragte ein fast durchsichtiges Schloss auf einem Berg vor ihnen
auf. Inzwischen war es richtig eisig geworden, und die Elfe, die neben dem
Kobold dahinschwebte, zitterte in ihrem dünnen Gewand.
„Dort
oben wohnt sie! Ihr Schloss ist aus Eis gebaut. Ich werde jetzt zurückfliegen.
Viel Glück, kleiner Waldschrat!“
Nepomuck
war allein und hatte einen schweren Aufstieg vor sich. Der Berg war mit Schnee
überzogen, und es wehte ein Wind, dass ihm fast die Ohren abfroren. Wenn er
drei Schritte gemacht hatte, rutschte er zwei wieder zurück.
Plötzlich
tauchte ein großes geflügeltes Wesen, das von einem blauen Licht umgeben war,
direkt vor ihm auf.
„Halt!
Was suchst du Waldschrat auf meinem Berg?“
Nepomuck
erschrak, während er die harten Züge in dem eigentlich schönen Gesicht der
Eisfee betrachtete. Kalt musterten ihn ihre eisblauen Augen.
„Entschuldige,
liebe Griseldis, ich wollte dich besuchen“, stammelte er unsicher.
„Nepomuck!“
Glockenhell und doch frostig erklang ihr Lachen.
„So
komm mit mir und sei mein Gast.“ Die Fee nahm den Kobold bei der Hand und flog
mit ihm vor das Schloss. Hinter einem Tor aus Eis verbarg sich ihr Palast aus
kalter Pracht.
Doch
wenigstens merkte man hier nichts von dem schneidenden Wind dort draußen. In
der Halle bewunderte Nepomuck eine erstarrte Fontäne und einen gefrorenen
Wasserfall.
„Hast
du zufällig ein paar Kekse da?“ Der Magen des kleinen Kobolds knurrte schon
vernehmlich.
Griseldis
schaute ihrem Gast dabei zu, wie er genüsslich einen ganzen Kuchen verdrückte,
den sie herbeigezaubert hatte, und dabei schlürfend seinen Becher mit
dampfendem Kakao leerte.
„Zeigst
du mir jetzt dein Schloss“, fragte Nepomuck neugierig.
Hier
war alles aus Eis, sogar die Bank, auf der das Schleckermäulchen eben noch
gesessen hatte.
Durchsichtige
Wände schimmerten kristallklar und hinter einer von ihnen befand sich eine
riesige verschneite Badelandschaft, in der sich Eisbären tummelten. Pinguine
watschelten frei umher und begegneten ihnen auf Schritt und Tritt. Sie ließen
sich sogar streicheln.
„Wow,
das ist ja cool!“, begeisterte sich der Koboldjunge.
„Nicht
wahr?! Dir gefällt es hier!“
Plötzlich
überzog ein Lächeln Griseldis Gesicht.
Blitzschnell
beugte sie sich zu dem Kobold hinunter und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Nepomuck spürte eine seltsame Kälte, die ihn durchdrang und bis zu seinem
Herzen wanderte.
„Du
wirst mir meinen Sohn ersetzen und fortan bei mir leben! Dein vorheriges Leben
und alle Gefühle sind ausgelöscht durch diesen Kuss. Ich werde nie mehr einsam
sein!“, triumphierte die böse Fee. Nepomuck fühlte, wie ihm alles egal wurde.
Er
fühlte selbst die Kälte um sich herum nicht mehr.
Sein
Leben wurde eintönig, ohne dass es ihm bewusst wurde. Nachts schlief er in
seinem Bett aus Eis, tagsüber leistete er der Eisfee Gesellschaft. So verging
Tag um Tag und Woche um Woche. Jegliches Zeitgefühl war ausgelöscht.
Er
fuhr den Berg mit einem Schlitten hinunter, und die Eisfee trug ihn Kraft ihrer
Schwingen wieder hinauf. Er baute einen Kobold aus Schnee, der ihn schwach an
irgendetwas erinnerte, doch so sehr er sich auch anstrengte, er vermochte seine
Gedanken nicht zu fassen. Es schien als seien auch sie eingefroren.
Jede
Pflanze, die ihren Kopf neugierig unter dem Schnee hervorstreckte, ließ die Fee
sofort zu Eis erstarren.
Im
Märchenwald froren Tiere, Kobolde und Elfen weiter. Die Bäume ächzten unter der
Last des Schnees und jedes Leben schien erstarrt. Sehnsüchtig warteten alle auf
milderes Wetter.
Und
im Kobolddorf vermisste man Nepomuck. Die Elfe hatte zwar Bericht erstattet,
doch inzwischen lag der Schnee so hoch, dass keiner der kleinen Waldschrate den
weiten Weg zum Schloss zu gehen wagte.
Eine
aber vermisste den kleinen Kobold ganz besonders! Jeden Abend nahm das
Koboldmädchen Peggy sein Bild zur Hand und weinte bitterlich.
Eines
Abends tropfte eine dieser Tränen direkt auf das Foto.
Im
Eispalast aber erwachte Nepomuck und wischte sich verwundert über sein Gesicht.
Was war das? Es fühlte sich feucht an wie eine Träne. Auf einmal wurde ihm ganz
warm ums Herz. Nach und nach kehrten die Erinnerungen zurück. Freudig sprang er
auf und lief zu Griseldis.
„Ich
kann verstehen, warum dein Sohn dich verlassen hat!“, rief er. „Hier gibt es
nur Gleichgültigkeit und Kälte. Aber selbst wenn du das ganze Land in Eis und
Schnee erstarren lässt, wird er nicht zu dir zurückkehren, denn du bist
mitleidlos und grausam!
Ich
gehe jetzt zu meiner Familie und zu meiner Freundin Peggy zurück!“
Der
Koboldjunge wandte sich zum Gehen.
„Bleib
noch eine Nacht! Es ist doch schon dunkel, du wirst den Weg nach Hause nicht
finden“, bettelte Griseldis.
Nepomuck
überlegte. Wenn das nun eine Falle war? Doch die Eisfee hatte Recht.
„Gut!
Aber keinen Kuss mehr! Sonst besuche ich dich nie wieder! Schnee und Eis darfst
du nur im Winter zaubern, und morgen früh bekomme ich von dem leckeren Kuchen
und Kakao sowie den Schlitten für die Abfahrt den Berg hinunter!“
„Einverstanden“,
antwortete die Eisfee, und sie hielt tatsächlich Wort, denn sie hatte große
Angst vor der Einsamkeit.
Als
Nepomuck durch den Wald ins Kobolddorf zurücklief, blühten die Blumen und Vögel
zwitscherten vergnügt. Es wurde zunehmend wärmer bis der Schnee schließlich
völlig verschwand. Glückliche Elfen begleiteten den Koboldjungen, der jubelnd
in seinem Dorf empfangen wurde.
Im
Märchenwald aber erzählt man noch heute davon, wie eine einzige Koboldträne den
Zauber der Eisfee brach.
© by Christine Erdic
Die 1961 in Deutschland geborene Schriftstellerin Christine Erdiç, die seit dem
Millennium in der Türkei wohnt, hat sich anscheinend den kleinen Zauber- und
Naturwesen verschrieben.
Nachdem 2010 Nepomucks Abenteuer, die Geschichte eines kleinen Kobolds, der unfreiwillig unter dem Weihnachtsbaum einer Menschenfamilie als Weihnachtsgeschenk landet, im Handel erschien, folgten 2013 Zauberhafte Gerichte aus der Koboldküche, ein Kochbuch mit so klangvollen Rezeptnamen wie „Kobolds Goldtaler“ und „Punsch für kleine Kobolde“ und 2014 Geschichten aus dem Reich der Hexen, Elfen und Kobolde, ein Kinderbuch mit lustigen Ausmalbildern.
Wenn man die Autorin fragt, warum sie gerade diese Art von Büchern schreibt, so lautet ihre Antwort: „Weil es mir selber Spaß macht und ich die Leser in dieser viel zu hektischen und von Konsum und Umweltzerstörung gezeichneten Gesellschaft auf humorvolle Weise zum Nachdenken bringen möchte. Und wo kann man da besser ansetzen als schon bei den Kindern."
Nachdem 2010 Nepomucks Abenteuer, die Geschichte eines kleinen Kobolds, der unfreiwillig unter dem Weihnachtsbaum einer Menschenfamilie als Weihnachtsgeschenk landet, im Handel erschien, folgten 2013 Zauberhafte Gerichte aus der Koboldküche, ein Kochbuch mit so klangvollen Rezeptnamen wie „Kobolds Goldtaler“ und „Punsch für kleine Kobolde“ und 2014 Geschichten aus dem Reich der Hexen, Elfen und Kobolde, ein Kinderbuch mit lustigen Ausmalbildern.
Wenn man die Autorin fragt, warum sie gerade diese Art von Büchern schreibt, so lautet ihre Antwort: „Weil es mir selber Spaß macht und ich die Leser in dieser viel zu hektischen und von Konsum und Umweltzerstörung gezeichneten Gesellschaft auf humorvolle Weise zum Nachdenken bringen möchte. Und wo kann man da besser ansetzen als schon bei den Kindern."
Mehr Informationen über die Autorin, ihre Bücher und Projekte unter
Meine Bücher- und Koboldecke http://christineerdic.jimdo.com/
Reisetipps und Literatur https://literatur-reisetipps.blogspot.com.tr/