Bild von Rita Hajak |
Es
begann zu schneien, als Lena ihre fünfjährige Tochter Sabine vom Kindergarten
abholte. Es war der letzte Tag vor den Weihnachtsferien. Sabine deutete hinauf zum Himmel. »Schau Mami,
wenn das weiter so schneit, gehst du dann heute Nachmittag mit mir
Schlittenfahren?
Lena sah Sabines leuchtende Augen. »Ein
Stündchen werde ich einrichten können, Bienchen, aber du weißt, dass ich noch
einmal ins Büro muss. Ab morgen habe ich Urlaub und bin für dich da.«
Das Kind nickte. »Fein Mami.«
Lena hatte das Essen für ihre Tochter bereitgestellt.
Das wärmte sie ihr rasch auf. Danach zog sie ihren Mantel an, drückte Bienchen
einen Kuss auf die Stirn, und sagte: »Ich beeile mich, habe nur eine Kleinigkeit
zu schreiben, dann komme ich zurück. Papi wird in ein paar Minuten da sein.«
Sabine stand am Fenster in der Küche und drückte
ihre Nase an der Scheibe platt. Einige Meter entfernt stieg Lena in ihren Wagen
und fuhr davon. Bienchen zappelte ungeduldig hin und her. In zwei Tagen war
Weihnachten. Sie freute sich über den heftiger werdenden Schneefall. Nach dem
sie ihren Teller leergegessen hatte, schaute sie ungeduldig zum Fenster hinaus.
Endlich sah sie ihren Vater vor dem Gehsteig parken und ins Haus eilen. Papi ist
da, freute sich das Kind. Die Tür öffnete sich. Sie starrte erstaunt ihren
Vater an, der nicht wie sonst lachend den Raum betrat.
»Bienchen, Mama hatte einen kleinen Unfall
und sich das Bein gebrochen. Sie musste in die Klinik und hat mich von dort
angerufen.«
Das Kind brach in Tränen aus. »Hat Mami
starke Schmerzen und müssen wir nun Weihnachten alleine feiern?«
Udo nahm seine Tochter in den Arm. »Ich denke
nicht, mein Schatz. Sie werden das Bein eingipsen und Mami wieder nach Hause
schicken.
Als er mit
Sabine ins Krankenhaus fuhr, erhielt er eine traurige Nachricht. Es war ein
komplizierter Bruch festgestellt worden, der drei Wochen Klinikaufenthalt
erforderte. Das Kind war entsetzt. »Ich will meine Mami an Weihnachten zuhause
haben«, jammerte sie laut. Auf der Fahrt zurück, weinte sie bitterlich.
Udo war verzweifelt, was sollte er tun, um
das Kind zu beruhigen? »Schatz, ich habe eine Idee. Wir rufen Tante Trude an;
das war die Schwester seiner verstorbenen Mutter. Sie freut sich bestimmt das
Weihnachtsfest bei uns zu verbringen. Tantchen ist ohnehin alleine. An
Heiligabend besuchen wir alle zusammen Mami im Krankenhaus.«
Sabine nickte traurig und schluchzte.
An
Heiligabend gegen Mittag war der Weihnachtsbaum geschmückt und einige liebevoll
verpackte Geschenke lagen darunter.
Sabine baute im Garten einen Schneemann, als Udo
rief: »Bienchen, komm, wir fahren zum Bahnhof Tante Trude abholen.«
Eine halbe Stunde später schauten sie fassungslos
dem davonfahrenden Zug hinterher. Die Tante war nicht mitgekommen. Auf ihrem Handy
meldete sie sich auch nicht.
»Oh, mein Gott, es wird ihr doch nichts
passiert sein«, sinnierte Udo.
»Was machen wir nun?«, fragte Sabine mit weinerlicher
Stimme.
»Abwarten und immer mal wieder bei ihr
anrufen«, sagte Udo. »Lass uns nach Hause fahren.
Die Stimmung war getrübt. Sabine verkroch
sich in ihrem Zimmer.
Zwei Stunden waren inzwischen vergangen, als
Sabine ihren Vater fragte, ob sich die Tante gemeldet hätte.
Er
schüttelte den Kopf. »Ich werde bei der Polizei anrufen und nachfragen, ob es
einen Unfall gegeben hat«, sagte er. In dem Moment klingelte das Telefon.
Es war Tante Trude. »Udo, es tut mir leid,
dass ich den Zug verpasst habe. Aber ich musste zurück. Hatte meine Geldbörse,
Papiere und das Handy zu Hause liegenlassen. Sitze bereits im nächsten Zug, der
um 16.45 Uhr bei euch eintrudelt.«
»Mir fällt ein Stein vom Herzen, Tantchen. Schön,
dass es dir gut geht. Ich hole dich rechtzeitig ab«, sagte Udo. Kaum hatte er
das Gespräch beendet, da läutete das Telefon erneut.
»Hol mich ab, Udo, ich darf über Weihnachten
nach Hause, muss aber brav liegenbleiben!«, rief Lena glücklich.
Sabine
jubelte. Weihnachten war gerettet.
Später
hantierte die Tante geschickt in der Küche herum und zauberte ein leckes Abendessen.
Nach diesem aufregenden Tag saßen sie gemütlich bei Kerzenschein beieinander und
erzählten sich Geschichten. Sabine konnte man ansehen, dass sie sich wohlfühlte.
Ihre Augen leuchteten und ihre Wangen glühten.
Jeder bekam ein kleines Geschenk und Udo nahm
Lena, Sabine und die Tante in den Arm. »Schön, dass es euch gibt«, sagte er
andächtig.
Lächelnd stimmte Tante Trude das Lied an: »Stille
Nacht, Heilige Nacht«. Draußen rieselte sanft der Schnee auf die kalte
Erde.
Es wurde ein wunderschöner harmonischer
Heiligabend.
Vita
Rita Hajak wurde 1950 in Frankfurt am Main geboren. Für die
gelernte Anwalts- und Notariatsgehilfin war das Schreiben schon immer ein
wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Bereits in der Schule schrieb sie mit
Begeisterung Aufsätze. Später waren es Geschichten für ihre Kinder. Der Beruf
trat in den Vordergrund und die Zeit zum Schreiben fehlte. Erst die Jahre, die
sie mit ihrem Ehemann, auf der Insel Fehmarn verbrachte, schafften wieder Zeit
und Raum zum Schreiben. Es entstanden Kurzgeschichten und Kurzromane
verschiedenen Genres. Heute lebt die Autorin mit ihrem Ehemann im Taunus.