Mittwoch, 4. Dezember 2013

Weihnachtsduft mit Zimtgebäck von Marika Krücken




Der überforderte Weihnachtsmann

Seit vielen Jahrtausenden lebte Flavius im Land der Elfen. Er fühlte sich dort unter seinesgleichen sehr wohl und konnte sich nicht vorstellen, jemals woanders zu wohnen.
Nur einmal im Jahr, nämlich zur Weihnachtszeit, verließ er die Heimat, schnürte sein Bündel und machte sich auf eine Reise. Flavius war ein Weihnachtself und auserkoren, dem Weihnachtsmann bei der Auslieferung der Geschenke zur Hand zu gehen.
Am Morgen des Heiligen Abend packte er ein wenig Proviant ein. Danach verabschiedete er sich von seinem Weib und den Kindern. Zärtlich nahm er die Elfe in den Arm und strich über die Köpfe der Kleinen. «Na dann, bis Morgen und schön brav sein!»
«Bringst du uns was Schönes mit?», ertönte es im Chor von drei Kinderlippen.
«Mal sehen, ob die Englein auch für euch ein Geschenk verpackt haben», sagte Flavius schmunzelnd.
Das Haus des Weihnachtsmannes lag weit hinten am Firmament und der Elf musste sich sputen, um rechtzeitig an sein Ziel zu gelangen. Der Weg führte ihn entlang der großen Milchstraße. Diese war durch die Ansammlung von Milliarden kleiner Sterne hell erleuchtet und Flavius fand mühelos das goldene Tor zum Weihnachtsdorf. Flink trat er hindurch und blieb wie angewurzelt stehen.

‚Was ist denn hier los?’, dachte er erstaunt und blickte sich verwundert um. Das hatte er noch nie erlebt in all den Jahren, in denen er nun schon im Dienste des Weihnachtsmannes stand.
Stille …! Absolute Ruhe …! Kein Laut war zu hören und niemand zu sehen!
Der ganze Ort schien wie ausgestorben zu sein. Keine fröhliche Betriebsamkeit wie sonst am Tage vor dem Weihnachtsfest und ebenso kein Sägen, kein Hämmern und Werkeln, um noch schnell die letzten Spielsachen für die Menschenkinder zu fertigen. Dicht aneinandergedrängt standen die Häuser verlassen an leeren Plätzen und Gassen. Unterwegs schaute Flavius in die große Werkstatthalle, aber auch hier waren keine fleißigen Wichtel bei der Arbeit zu finden. Allerlei Werkzeug sowie halb fertige Holzeisenbahnen, Puppen und Teddybären lagen verstreut herum. An der Auslieferung, dort wo normalerweise die Englein saßen und das fertige Spielzeug in glänzendes Papier verpackten, standen die Pakete teilweise offen und ohne weihnachtliches Schleifenband verziert.
Flavius rannte so rasch er konnte weiter. Die Rentiere weideten friedlich neben dem leeren Schlitten vor dem Haus des Weihnachtsmannes. Heftig atmend blieb der Elf stehen und klopfte an die Tür. Er hörte eine müde Stimme von drinnen rufen: «Hallo, wer ist da?»
«Ich bin es, der Weihnachtself!», antwortete Flavius.
Nach einer Weile öffnete sich quietschend die schwere mit Gold beschlagene Tür und der Elf blickte erschrocken zu der gramgebeugten Gestalt des alten Mannes auf. Diesem standen die Haare wirr vom Kopf ab, den Körper verhüllte ein langes Nachthemd und an den Füßen trug er löchrige, braune Filzpantoffeln.
«Komm herein. Unsere Reise zur Erde wird in diesem Jahr ausfallen müssen», empfing der sonst so stattliche, immer fröhliche Weihnachtsbote traurig seinen Gehilfen.
«Wie kann das möglich sein?», erkundigte sich Flavius enttäuscht.
«Ich habe da wohl einiges durcheinandergebracht, denn als die Wichtel und Englein bei mir nach Urlaub anfragten, habe ich allen erlaubt, zur gleichen Zeit in die Ferien zu gehen. Ich habe einfach nicht bedacht, dass dann niemand mehr da ist, um die Spielsachen fertigzustellen und weihnachtlich zu verpacken», erzählte der Weihnachtsmann. «Was soll ich jetzt tun? Die Augen der Kinder werden stumpf und glanzlos bleiben, wenn sie keine Geschenke unter dem Tannenbaum finden. Außerdem werden die Eltern mir keine Aufträge mehr geben und fortan die Wünsche der Kleinen selbst erfüllen. Ich glaube, ich werde langsam zu alt und vergesslich für die Arbeit», fügte er seufzend hinzu.



© Marika Krücken



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