Donnerstag, 19. Dezember 2013

Kreddi trifft den Weihnachtsmann von Tom Friedrich



Irgendwas ist anders an diesem Morgen …


Tief im Kunterwald, dort, wo die Bäume so dick und hoch sind, dass man bequem darin wohnen kann, lebt der kleine Waschbär Kreddi.
Kreddi ist ein ganz gewöhnlicher Waschbär, wie jeder andere auch, jedenfalls könnte man das meinen, wenn er einem über den Weg läuft. Er hat ein rundes Gesicht, eine spitze Nase, ein graues, plüschiges Fell, und um die Augen herum hat Mutter Natur eine lustige Brille gemalt. Keiner seiner Freunde wäre auf den Gedanken gekommen, dass dieser Waschbär etwas Besonderes sein könnte – wenn da nicht diese Sache passiert wäre, an jenem eiskalten Montagmorgen, an dem unsere Geschichte beginnt.
Der Winter ist über Nacht im Kunterwald eingekehrt. Eine dicke, weiße Schneedecke liegt über dem Waldboden und der Fluss, vor Kreddis alter Eiche, ist gefroren.
Kreddi liegt in seinem Bett und versucht den Traum von dem scharlachroten Schloss weiter zu träumen, aber er kann nicht mehr einschlafen, weil ein Sonnenstrahl durch das Fenster seiner kleinen Baumhöhle scheint und ihn an der Nase kitzelt. Er dreht sich nach links und nach rechts, doch seine Nasenspitze scheint den Sonnenstrahl magisch anzuziehen. Kreddi gibt schließlich auf und krabbelt mit einem Seufzer aus dem Bett.
Irgendetwas ist anders an diesem Morgen. Kreddi weiß nicht, was es ist, aber gestern hat er sich noch nicht so gefühlt; so leicht, als könnte er aus dem Stand einen Hundert-Meter-Sprung hinlegen.
Ich sollte vor dem Schlafengehen keine Schokolade mehr essen, denkt er bei sich, während er den Teekessel aus dem Schrank kramt. Wenn es draußen bitterkalt ist, setzt Kreddi immer etwas mehr Tee auf, denn er weiß, dass die Eule Uhulu - die ganz oben in Kreddis alter Eiche wohnt – gerne vorbeikommt um sich aufzuwärmen. Doch heute ist das schwierig, denn der Fluss ist gefroren und der Teekessel leer. Kreddi überlegt, wo er Wasser für seinen Holundertee herbekommt, aber es will ihm nichts einfallen. Seine Schnurrbarthaare kräuseln sich, so angestrengt denkt er nach. Und während er so nachdenkt, schaut er aus dem Fenster und sieht einen Eiszapfen, an dem sich ein Wassertropfen löst und mit einem – Plöpp - auf dem Fenstersims landet. Plötzlich erinnert er sich an einen Satz, den die Lehrerin, Frau Specht, einmal gesagt hat – Schnee ist nichts anderes wie gefrorenes Wasser. Er müsste also nur etwas Schnee in die Teekanne füllen und – schwups - würde daraus Wasser werden. Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir, ist auch so ein Spruch, den Frau Specht immer wieder sagt. Bis heute hat Kreddi ihn nie verstanden, aber jetzt weiß er, was sie meint.
Kreddi nimmt seinen knallroten Pulli von der Stuhllehne und streift ihn über den kugelrunden Bauch. Mit der Teekanne in der Hand will er nach draußen, doch die Eingangstüre geht nicht auf. Er rüttelt wie wild am Türknauf, stemmt sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Türe, doch so sehr er sich auch anstrengt, sie bewegt sich keinen Zentimeter - der Schnee draußen ist einfach zu hoch. Es ist wie verhext, nichts will gelingen an diesem Morgen! Kreddi überlegt hin und her, seine Schnurrbarthaare kräuseln sich wieder, bis ihm eine Idee kommt - Uhulu. Der könnte ihm helfen.
Flink öffnet er das Fenster und blinzelt hinaus in die kalte Morgenluft. Die Sonne scheint auf den Schnee und blendet seine Waschbäraugen.
«Uhulu, bist du da?», ruft er zur Eule hoch.
Doch Uhulu antwortet nicht. Er sitzt in seiner kleinen Baumhöhle, den Kopf unter einen Flügel gesteckt, und atmet ruhig und gleichmäßig.
«UHULU. AUFWACHEN!»
Uhulu schreckt auf. «Was? Wo? Wer? Ach, du bist es Kreddi. Guten Morgen», gähnt er mit aufgeplusterten Federn.
«Uhulu, ich komme nicht mehr raus. Kannst du mir helfen?» Kaum hat Kreddi es ausgesprochen, flattert Uhulu auch schon über seinem Kopf und setzt zur Landung auf dem Fenstersims an.
«Hmmm …» Die Eule kratzt sich am Kopf. «Da kann ich auch nichts machen … das ist ein Fall für den Biber. Ich fliege mal schnell rüber und hole ihn.»
Es dauert keine zwei Minuten, da kommt Ralf der Biber durch den Schnee gestapft. Er hat sich zwei Tennisschläger unter die Füße gebunden, um nicht im tiefen Schnee zu versinken. Uhulu flattert über seinem Kopf. Mit seinen Mülleimerdeckel großen Händen beginnt er sofort den Schnee vor Kreddis Türe wegzuschaufeln.
«Danke, Ralf. Hast du viel zu tun heute?», fragt Kreddi den nach Luft ringenden Biber.
«Sicher. Muss noch zu Gunner, dem Fuchs, und zu Familie Maus – die sind auch eingeschneit … Der ganze Kunterwald ist eingeschneit.»
«Aber für einen heißen Holundertee hast du doch Zeit, oder?»
Ralf hält kurz inne und schaut zu Kreddi. Dann schaufelt er weiter.
«Geht leider nicht. Die anderen brauchen auch meine Hilfe.»
Kreddi und Uhulu können gar nicht so schnell schauen, wie Ralf den Schnee beiseite räumt. In Windeseile erhebt sich rechts und links neben der Türe ein mannshoher Schneeberg.
«So, das müsste reichen. Versuch mal, ob du jetzt raus kommst», sagt der Biber und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Kreddi stemmt sich gegen die Türe und schiebt den letzten Rest Schnee zur Seite.
«Freiheit, du hast mich wieder», jubelt er und schüttelt Ralf die Hand. «Der Tee ist in fünf Minuten fertig, willst du wirklich nicht bleiben?»
Ralf schüttelt den Kopf. «Ich würde ja gerne … aber nein … ich muss weiter.» Mit einem - jedes Jahr das Gleiche – auf den Lippen, verschwindet der Biber so schnell wie er gekommen ist.
Kreddi schaut ihm hinterher, wie er mit seinen Tennisschlägern über den gefrorenen Fluss schliddert, und füllt die Teekanne bis zum Rand mit Schnee.
«Also ich würde nicht Nein sagen zu einem Holundertee», schwärmt Uhulu und schaut Kreddi mit seinen großen Eulenaugen an.
(...)

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