Freitag, 16. Dezember 2011

Ronja und der Weihnachtsmann von Eva Markert




Eine Weihnachtserzählung
zum Vorlesen und Selberlesen

1
Besuch in der Nacht
Mitten in der Nacht wachte Ronja auf. Irgendetwas hatte sie geweckt.
Von draußen fiel schwaches Licht ins Zimmer. Die Gardine bauschte sich und ein eiskalter Luftzug wehte zu ihr herüber. Merkwürdig! Mama hatte doch am Abend das Fenster zugemacht!
Ronja rieb sich die Augen und bekam auf einmal einen Riesenschreck. Neben ihrem Bett ragte eine große, dunkle Gestalt auf. Am liebsten hätte sie nach ihren Eltern gerufen, aber sie traute sich nicht.
„Ronja?“, hörte sie eine leise Stimme.
Die dunkle Gestalt kannte ihren Namen!
„Ronja, wach auf!“
„Ich bin wach“, krächzte sie.
„Mach Licht.“
Ronja knipste die Nachttischlampe an. Erst blendete sie das grelle Licht, doch dann riss sie die Augen vor Erstaunen weit auf. Da stand ein Mann mit weißen Haaren und einem weißen Wallebart. Er trug eine rote Mütze und einen roten Mantel mit weißem Pelzbesatz.
„Wer bist du?“, flüsterte sie.
„Erkennst du mich etwa nicht?“
„Du siehst aus wie der Weihnachtsmann. Aber ...“ Ronja zögerte.
„Ja?“
„Den Weihnachtsmann gibt es nicht.“
Der nächtliche Besucher lachte leise. „Bisher habe ich allerdings immer angenommen, dass es mich geben würde.“
„Ich glaube aber nicht mehr an den Weihnachtsmann.“
„Und wieso nicht?“
„Weil Maike mir verraten hat, dass es ihn nicht gibt.“
„Wer ist Maike?“
„Meine Cousine. Die ist schon zehn.“
„Ach so“, erwiderte der Mann. „Na ja. Eigentlich ist es auch völlig schnurz, ob du an mich glaubst oder nicht. Hauptsache, du tust so.“
„Du meinst, ich soll so tun, als ob du wirklich der Weihnachtsmann wärst?“
„Genau. Kannst du das?“
Ronja überlegte. „Okay“, sagte sie schließlich. „Ausgezeichnet!“, rief der Weihnachtsmann erfreut. „Ich brauche nämlich deine Hilfe.“
„Meine?“
„Ja, deine.“
„Wobei?“
„Dumme Frage! Bei den Geschenken, natürlich.“
Ronja war völlig verwirrt. Früher, als sie noch an den Weihnachtsmann glaubte, hatte man ihr von Erwachsenen erzählt, die dem Weihnachtsmann halfen und in seinem Auftrag Geschenke besorgten. Aber von Kindern, die das taten, hatte sie noch nie gehört. „Ich … ich glaube, … ich kann das nicht“, stammelte sie.
„Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“
„Weil … Ich hab so was noch nie gemacht.“
„Du hast doch sicher schon mal jemandem was geschenkt, oder?“
„Ja, klar, aber …“
„Na siehst du. Pass auf, ich erkläre dir, was du tun sollst.“ Ächzend zog sich der Weihnachtsmann einen Stuhl heran. „Du ahnst nicht, wie erledigt ich bin! In den letzten Tagen habe ich viel zu wenig Schlaf bekommen.“
„Komisch“, entgegnete Ronja. „Ich stelle mir vor, dass der Weihnachtsmann, wenn es ihn geben würde, nie schläft.“
„Unsinn. Natürlich werde auch ich müde.“ Er seufzte. „Und dann, ausgerechnet in der Weihnachtszeit, wo ich Berge von Arbeit habe und dauernd zwischen dem Südpol und den Häusern der Menschen hin- und herfahren muss ...“
„Moment mal“, unterbrach ihn Ronja. „Wieso Südpol? Ich weiß genau, dass der Weihnachtsmann, wenn es ihn geben würde, am Nordpol wohnt!“
„Verflixt und zugenäht!“ Der Weihnachtsmann schnaubte durch die Nase. „Wer hat bloß diesen Hirselquatsch aufgebracht? Seit Jahr und Tag und Ewigkeit wohne ich am Südpol. Geht das denn nicht in eure Köpfe rein?“ Aufgebracht schaute er sie an.
„Mir ist es eigentlich egal, ob du am Nord- oder Südpol wohnst“, sagte Ronja. „Für mich macht das keinen großen Unterschied.“
„Für mich schon. Aber mir ist es egal, dass es dir egal ist, ob ich am Nord- oder Südpol wohne. Hauptsache, du hilfst mir.“ Er holte tief Luft. „Ausgerechnet in der Weihnachtszeit“, wiederholte er, „muss mir so was passieren!“ Dabei schüttelte er den Kopf, als könnte er es nicht fassen.
Ronja wartete gespannt, dass er weiterredete.
„Mein Lastwagen“, fuhr der Weihnachtsmann fort, „der, mit dem ich die Geschenke vom Südpol zu den Leuten transportiere, ist kaputt. Neulich, auf dem Weg zurück zum Südpol, blieb die Karre plötzlich am Straßenrand in einer Schneewehe stecken und sagte keinen Pieps mehr. Ich hab den Pannendienst gerufen und die haben ihn abgeschleppt.“
„Oh je“, sagte Ronja mitfühlend. „Und wo ist der Wagen jetzt?“
„Auf dem Schrottplatz.“ Tieftraurig starrte der Weihnachtsmann vor sich hin.
Ronja wurde unruhig. „Und nun?“, fragte sie. „Ich meine, wie kriegst du die Geschenke vom Nord…, ich meine, vom Südpol zu den Leuten?“
„Genau da liegt das Problem.“
(...)

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