Warum
müssen meine Menschen eigentlich immer so einen Aufwand um Weihnachten machen?
Da herrscht eine Aufregung und Geschnatter wie bei einer Gänseherde. Und dann
noch diese Geheimnistuerei. Dabei ist es doch ein Tag wie jeder andere. Na ja,
abgesehen vom Weihnachtsbaum - und von den Geschenken - vom Besuch der
Großeltern, sie kommen nämlich jedes Jahr zu Weihnachten, - und von den
Liedern. Ich habe mich angeschlossen und probe schon seit Tagen für mein diesjähriges
Ständchen.
In
dieser Familie herrscht eigentlich ständig Krach. Rapunzels Mutter ist nämlich
Sängerin, deswegen nennen die Kinder sie Nachtigall, wie den Vogel, der so
schön singt. Jedes Kind muss deshalb zu meinem Leidwesen auf mindestens zwei Musikinstrumenten
Lärm machen. Dazu kommen diese viele Aktivitäten in der Schule:
Weihnachtsbasteln, Weihnachtsbacken, Weihnachtsvorführungen.
Ich
bin übrigens Prinz, eine kleine goldfarbene Ratte aus königlicher Familie,
deshalb beherrsche ich auch die menschliche Sprache. Einer alten Überlieferung
zufolge sind wir verwunschene Menschenprinzen und einst soll eine
Menschenprinzessin uns erlösen. Meine Freundin Rapunzel, eigentlich heißt sie
Raja, aber alle nennen sie nur Rapunzel, hat mich gerettet. Deshalb hoffe ich,
dass sie die auserwählte Prinzessin ist und mich erlöst, wenn sie erwachsen
ist.
In
diesem Jahr sind Rapunzels Oma und Opa schon ein paar Tage vor Weihnachten zu
Besuch gekommen. Wie üblich haben alle Familienmitglieder viel zu tun. Außerdem
müssen die großen Geschwister bis zwei Tage vor Weihnachten noch
Klassenarbeiten schreiben.
Rapunzel
hat Glück. Sie geht in die zweite Klasse und muss noch keine Arbeiten
schreiben. Hausaufgaben hat sie auch nicht so viel auf.
Mama
Nachtigall, die Sängerin und Musiklehrerin ist, probt mit ihrem Chor für den
großen Weihnachtsauftritt. Sie ist in Sorgen, denn ihre Solistin, das Mädchen,
das einzeln singen soll, ist krank geworden. Und jetzt muss eine Ersatzsängerin
einspringen. Leider ist die Ersatzsängerin nicht sehr gut und Nachtigall
überlegt schon, ob nicht eine von ihren großen Töchtern den Part übernehmen
soll.
„Das
geht nicht“, stellt Picasso, der Malervater, klar, „die Mädchen müssen für die
Schule lernen, das ist wichtiger als ein Chorauftritt.“
Da
Nachtigall am Abend vor Heiligabend selbst einen Auftritt in dem kleinen
Theater unserer Stadt hat, ist die Aufregung vor dem Fest noch größer als im
letzten Jahr.
Picasso
hat vor ein paar Tagen einen eiligen Auftrag bekommen. Leider verdient er mit
seiner Malerei nicht sehr viel Geld, deshalb hat er sofort zugesagt, auch wenn
es eigentlich unmöglich ist, bis Weihnachten, also innerhalb von einer Woche,
ein großes Gemälde fertigzustellen.
Nett
wie ich bin, habe ich ihm angeboten, einen Teil des Bildes zu malen. Ich
verstehe nicht, warum er das abgelehnt hat. An seiner Stelle wäre ich für jede
Hilfe dankbar.
Deshalb
sind Oma und Opa in diesem Jahr extra früher gekommen und übernehmen die Weihnachtsvorbereitungen.
„Rapunzel,
komm, wir kaufen den Weihnachtsbaum“, sagt Oma zu meiner Freundin. Ob die
beiden das allein hinbekommen? Opa kann nämlich nicht helfen, der hat sich
gestern beim Versuch, den Weihnachtsschmuck vom Dachboden zu holen, einen
Hexenschuss zugezogen.
„Opa,
das hätten wir doch machen können“, hat Winnetou gesagt. Winnetou ist Rapunzels
ältester Bruder. Er heißt natürlich nicht Winnetou. Hier haben alle einen
Spitznamen. Das macht viel mehr Spaß, hat Rapunzel mir ganz am Anfang erklärt.
„Wollt
ihr nicht lieber warten, bis die Großen aus der Schule kommen, bevor Oma auch
noch einen Hexenschuss bekommt“, schlage ich vor. Rapunzels Geschwister müssen
heute Nachmittag für die Weihnachtsfeier der Schule proben und die Aula
dekorieren.
Doch
Oma wirft mir nur einen strafenden Blick zu. Dabei ist mein Vorschlag doch
wirklich vernünftig. Langsam begreife ich, warum die ganze Familie so verrückt
ist, das haben sie bestimmt von den Großeltern geerbt.
„Die
Jungen müssen lernen, die Schule ist wichtiger als ein Weihnachtsbaum“, sagt
sie nur.
Rapunzel
schlüpft eilig in ihre Stiefel und Winterjacke. Oma hilft ihr beim Zuknöpfen,
damit es schneller geht. Dann setzt Rapunzel noch ihre Mütze auf und zieht ihre
Handschuhe an.
„He,
nimm mich mit“, fordere ich sie auf. Sie wirft mir einen zweifelnden Blick zu.
„Du kannst doch sowieso nicht helfen.“
Das
ist gemein! Beleidigt verteidige ich mich: „Doch, ich kann den Baum
auswählen.“. Ich ärgere mich, dass ich nicht sofort in die Jackentasche
geschlüpft bin. Jetzt komme ich da gar nicht mehr an.
„Wollt
ihr keine Arbeitshandschuhe mitnehmen, das ist angenehmer beim Tragen“, schlage
ich schnell vor. Ich muss doch zeigen, dass ich nützlich bin. Oma nickt und
läuft mit Rapunzel gleich in den Keller, um welche zu holen.
Währenddessen
überlege ich, wie ich mitkommen kann. Da entdecke ich Omas Jacke auf der Truhe
neben der Garderobe. Die hat sie noch gar nicht angezogen, weil sie zuerst
Rapunzel geholfen hat. Die Gelegenheit muss ich nutzen. Schnell renne ich zur
Truhe, klettere an der praktischen Textiltapete hoch und suche die Jackentasche.
Hoffentlich schaffe ich es, meinen Mund bis zum Weihnachtsbaumstand zu halten.
Ha,
meine Planung geht auf. Oma zieht die Jacke an, ohne mich zu entdecken. Da habe
ich Glück.
„Wo
ist Prinz?“, fragt Rapunzel und sucht mich.
„Wahrscheinlich
hat er sich beleidigt in seine Hütte verzogen“, meint Oma und schiebt Rapunzel
zur Tür hinaus.
Der
Weg kommt mir endlos vor. Ich darf noch nicht einmal hinausschauen, sondern
hocke still in einer Ecke der großen Tasche.
„Oh,
schade, es gibt kaum noch Bäume“, sagt Oma endlich. Sofort stecke ich meinen
Kopf hinaus und mustere die Auswahl. Ein paar ganz Große stehen noch in der
Ecke, aber selbst mit meiner Hilfe können Oma und Rapunzel es nicht schaffen,
die bis nach Hause zu tragen.
Vorne
in einer Ecke stehen ein paar verkrüppelte Tannen. Warum sind sie nicht zu der
Gärtnerei an der Landstraße gefahren? Die haben doch immer so viele Bäume. Das
habe ich gesehen, wenn wir auf dem Weg zu Nachtigalls kleiner Klavierschülerin
vorbeigefahren sind. Die freut sich nämlich, wenn ich und Rapunzel mitkommen.
Manchmal spielt Rapunzel zu ihren Klavierstücken Flöte.
„Oma,
die sind viel zu hässlich“, sagt Rapunzel energisch.
„Ja,
aber sonst haben wir überhaupt keinen Baum“, antwortet Oma seufzend.
„Doch,
ihr könnt doch zu dem Gartengeschäft an der Landstraße fahren.“ Ich recke mich
aus der Tasche, damit sie mich sehen.
„Prinz,
ich hatte gesagt, du bleibst daheim!“ Oma klingt wirklich böse. Dabei habe ich
doch eben einen guten Vorschlag gemacht.
„Prinz
hat recht. Wir fahren mit dem Auto. Es ist nicht weit. Dort gibt es sicher noch
Bäume“, drängt Rapunzel Oma. „Bitte, der Baum soll doch hübsch aussehen.“
Widerwillig
stimmt Oma zu. Also marschieren die beiden zurück. Sie laufen schneller als auf
dem Hinweg, schließlich wollen sie den Laden vor Geschäftsschluss erreichen.
Daheim
leiht sich Oma Picassos klapprigen alten Bus. Damit die große Familie befördert
werden kann, braucht er nämlich einen Bus.
Oma
stehen die Schweißperlen auf der Stirn, als sie losfährt. Sie sagt auch gleich:
„Ich fahre so ungern mit eurem Wagen.“ Deshalb fährt sie besonders vorsichtig
und lässt sich nicht von den hupenden Autos stören. Rapunzel weist ihr den Weg,
das macht sie richtig gut. So gelangen wir heil beim Gartencenter an.
Hier
gibt es wirklich noch ganz viele Bäume. Diesmal sind sie so schön, dass Oma und
Rapunzel sich gar nicht entscheiden können. Ich schlage ihnen zwei wunderbare
Tannen vor, aber davon will Oma nichts hören. Auch Rapunzel hat einen
Lieblingsbaum, Oma einen anderen. Schließlich sind wir die letzten Kunden am
Weihnachtsbaumstand, die Verkäufer werden schon ungeduldig. Deshalb wählt Oma
Rapunzels Baum.
Als
sie den Preis erfährt, schaut sie ganz erschrocken, trotzdem zückt sie ihr
Portemonnaie und bezahlt. Die Männer sind so nett und tragen den Weihnachtsbaum
zum Bus und legen ihn sogar in den Kofferraum. Er schaut noch über die beiden
hinteren Sitzreihen hinweg. Anscheinend ist er wohl etwas größer geraten, als
sich Oma vorgestellt hatte.
Auf
dem Rückweg hat sich Oma schon etwas an das große Auto gewöhnt, trotzdem hupen
ganz viele ungeduldige Autofahrer uns an. Aber wir kommen gesund zurück. Zum
Glück braucht Oma nicht einparken, sondern kann den Wagen einfach vor dem Haus
stehenlassen.
„Ich
brauche Hilfe, den Baum bekomme ich allein nicht aus dem Auto“, erklärt sie den
beiden ältesten Jungen. Die springen sofort auf, um ihrer Oma zu helfen.
„Mann
ist der riesig“, staunt Winnetou und lacht. „Da wird Nachtigall ärgerlich sein.
Sie wollte doch nie wieder so einen großen Baum.“
„Aber
wir wissen doch, wo wir ihn hinstellen können“, erklärt Rapunzel und zeigt auf
die Ecke im Flur, in der im letzten Jahr der Riesenbaum gestanden hat.
„Genau,
und Picasso hat auch schon Übung mit so einem Prachtstück“, lacht Winnetou.
Da
hat er Recht, mit der Hilfe der gesamten Familie, vor allem dank meiner
Ratschläge, schaffen sie es, den Baum nach ein paar Stunden endlich in den
Ständer zu bekommen und in den Flur zu tragen. Er steht sogar fast gerade.
Damit er nicht umfällt, wird er vorsichtshalber wieder an Haken festgebunden.
„Jetzt
kann der Weihnachtsmann kommen“, meint Rapunzel glücklich. Und ich bin auch
glücklich. Ich bin nämlich immer glücklich, wenn Rapunzel es ist.
Annette Paul schreibt und veröffentlicht seit vielen Jahren Kurzgeschichten und Kindertexte, gern etwas zum Schmunzeln. Sie hat mehrere Bücher mit der Ratte Prinz geschrieben: "Ratte Prinz","Ratte Prinz im Weihnachtsbaum" und "Rattenprinzessin Rapunzel". Dazu die Weihnachtsbücher: "Der ganz normale Weihnachtswahnsinn", , "Weihnachtsmann im Weihnachtsstress" und "Weihnachtsmann hat noch mehr Stress". Mehr von und über Annette Paul auf Probeschmökern bei Annette Paul. Siehe auch die Autorenseite von Amazon.
Krisi Sz.-Pöhls lebt recht zurückgezogen in Oppenheim am Rhein. Malen gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die Autodidaktin Künstlerin geworden.
Sie hat die Illustrationen zu „Der Bär mit der Brille“, „Klein Henning und der Delfin“, „Rattenprinzessin Rapunzel“, „Ratte Prinz im Weihnachtsbaum“ und „Hopser will helfen“ gemalt.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage https://salidaswelt.jimdofree.com/
oder bei www.zazzle.de/mbr/238764950947258943
Annette Paul schreibt und veröffentlicht seit vielen Jahren Kurzgeschichten und Kindertexte, gern etwas zum Schmunzeln. Sie hat mehrere Bücher mit der Ratte Prinz geschrieben: "Ratte Prinz","Ratte Prinz im Weihnachtsbaum" und "Rattenprinzessin Rapunzel". Dazu die Weihnachtsbücher: "Der ganz normale Weihnachtswahnsinn", , "Weihnachtsmann im Weihnachtsstress" und "Weihnachtsmann hat noch mehr Stress". Mehr von und über Annette Paul auf Probeschmökern bei Annette Paul. Siehe auch die Autorenseite von Amazon.
Krisi Sz.-Pöhls lebt recht zurückgezogen in Oppenheim am Rhein. Malen gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die Autodidaktin Künstlerin geworden.
Sie hat die Illustrationen zu „Der Bär mit der Brille“, „Klein Henning und der Delfin“, „Rattenprinzessin Rapunzel“, „Ratte Prinz im Weihnachtsbaum“ und „Hopser will helfen“ gemalt.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage https://salidaswelt.jimdofree.com/
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