Bild von Eva Joachimsen |
Jasmin beeilte sich. In zwei Stunden wollte sie sich mit
ihrer Freundin Nadja treffen. Vorher musste sie noch schnell den Abwasch
erledigen und bügeln, damit Ramona, mit der sie die kleine Wohnung teilte,
nicht wieder Zustände bekam. Ramona war sehr pingelig und meckerte ständig an
Jasmin herum. Natürlich wäre Jasmin schon längst ausgezogen, wenn es
preiswerten Wohnraum geben würde.
Es klingelte. Sie schaute aus dem Küchenfenster. Vor dem
Haus stand ein Postwagen auf der Kreuzung und versperrte sie. Sicher hatte
Ramona wieder etwas gekauft. So kurz vor Weihnachten bestellte sie noch mehr als sonst. Genervt trocknete Jasmin ihre Hände ab, lief zur
Tür und riss sie wütend auf. Ständig kaufte Ramona etwas online und erwartete, dass
Jasmin die Päckchen annahm.
Vor ihr stand ein junger, dunkelhaariger Mann und grinste
sie jungenhaft an. Jasmin wurden die Knie weich. Von so einem Typ träumte sie,
seit sie Poster von Boygroups an die Wand gehängt hatte.
„Für Ramona Wünsche.“
„Ja, das nehme ich an“, erklärte Jasmin und unterschrieb
zögernd, während sie krampfhaft überlegte, wie sie mit dem Traumtypen ins
Gespräch kommen konnte. Doch der Postzusteller war weg, bevor ihr etwas
einfiel.
Zwei Tage später duschte sie gerade, als es wieder klingelte.
Da sie auf Nadja wartete, wickelte sie sich in ihr Badelaken und lief zur Tür.
Ohne durch den Türspion zu schauen, riss sie die Tür auf. „Du bis zu früh“,
rief sie und erstarrte peinlich berührt, als sie den hübschen Paketzusteller
vor sich sah.
„Oh, Entschuldigung, ich erwarte eine Freundin.“ Sie spürte,
wie ihr Gesicht dunkelrot anlief. Hastig versuchte sie, mit dem Badelaken
möglichst viel von sich zu bedecken. Das war gar nicht so einfach, weil sie
wieder unterschreiben musste. Wenigstens hatte der Bursche das Paket in den
Flur geschoben, sodass sie eine Hand frei hatte, um das Handtuch festzuhalten.
Nadja lachte sich halb tot, als Jasmin ihr von ihrer Panne
erzählte. „Du willst ihn doch sowieso aufreißen. Vielleicht kannst du ihn beim
nächsten Mal gleich ins Bett schleppen. Lass doch aus Versehen das Laken
fallen.“
„Mach dich nicht lustig. Ich blamiere mich und du lachst
darüber.“ Jasmin war die Situation so peinlich gewesen, dass sie sich wirklich über
Nadjas Reaktion ärgerte.
Die nächsten zwei Wochen sah und hörte sie leider nichts
mehr von dem gutaussehenden Mann. Kein Wunder, sie war im Weihnachtsstress und
ständig unterwegs. Mit ihren Kollegen auf einer Weihnachtsfeier, mit Nadja auf
dem Weihnachtsmarkt und bei ihren Großeltern, um mit ihnen Besorgungen zu
machen. An zwei Tagen in der Woche war sie sowieso beim Badmintontraining.
Einen Tag vor Heiligabend backte sie noch schnell Kekse,
denn ihr war sonst nichts Gescheites eingefallen, was sie ihrer Verwandten
schenken konnte. Hinterher putzte sie die staubige Küche gründlich. Sie stand
gerade auf der Leiter und wischte die Schränke von oben ab, als es an der Tür
sturmklingelte.
Erschrocken ließ sie das Tuch liegen und sprang herunter.
Das war keine gute Idee, denn sie knickte bei der Landung mit dem Fuß um.
Sofort schmerzte ihr Knöchel höllisch und sie schrie auf. Wieder klingelte es
energisch, diesmal Sturm. Sie mussten sich unbedingt eine angenehmere Klingel
mit einem schönen Klingelton anschaffen. Mit Tränen in den Augen humpelte sie
an die Tür.
Wie erhofft stand der junge Paketbote vor ihr. Diesmal mit
drei Riesenpaketen. Ramona konnte das Bestellen einfach nicht lassen. Dabei
schickte sie das meiste wieder zurück.
„Oh, was ist denn mit Ihnen passiert?“, fragte der Mann
erschrocken, als er Jasmins Tränen sah.
„Ich bin umgeknickt. Ich fürchte, ich muss zum Arzt“,
hauchte sie. Sie fühlte sich so elend. Haltsuchend griff sie nach der
Türklinke.
„Ist das meine Schuld?“, fragte er. „Ich habe Sie schreien
gehört.“
„Ich stand gerade auf der Leiter und bin zu schnell
hinabgestiegen“, flüsterte sie und kämpfte gegen den Schwindel an.
„Das tut mir leid, dass ich daran schuld bin.“
Jasmin machte Platz und er legte die Pakete im Flur unter
die Garderobe. Dann drehte er sich um und hob sie kurzentschlossen hoch. „Wo
haben Sie ein Bett oder ein Sofa?“, fragte er und sie wies ihn den Weg zu ihrem
Zimmer. Zum Glück hatte sie am Morgen, gleich nach dem Aufstehen, aufgeräumt
und er setzte sie auf ihrem Bettsofa ab.
„Haben Sie ein Kühlkissen?“, fragte er.
„Gleich rechts in der Küche im Kühlschrank“, erklärte sie.
Gleich darauf reichte er es ihn, vorsorglich in ein Küchentuch gewickelt.
„Oh, vielen Dank. Ich halte Sie auf. Sie müssen sicher
gleich weiter. Wie lange müssen Sie noch arbeiten?“, fragte sie, glücklich,
dass sie endlich ein Gesprächsthema gefunden hatte.
„Bestimmt bis neun Uhr. Gestern war es halb neun. Aber heute
ist der Wagen voller.“ Er schwieg einen Augenblick, dann meinte er, „wenn ich
helfen kann, würde ich nach der Arbeit vorbeikommen und Sie ins Krankenhaus
fahren, damit der Knöchel untersucht wird.“
„Aber Sie brauchen doch ihren Feierabend.“ Sie hätte sich
auf die Zunge beißen können. Warum wies sie ihn ab? Sie wollte ihn doch
kennenlernen!
Er lachte. „Morgen noch, aber dann habe ich eine Woche frei,
bevor die Vorlesungen wieder beginnen.“
Sie schaute ihn verdattert an.
„Ich jobbe nur. Eigentlich studiere ich Informatik. Und den
Tag morgen überstehe ich auch noch irgendwie.“ Er versprach, nach seiner Tour
wieder bei ihr vorbeizuschauen und sie zum Krankenhaus zu fahren.
Ramona ließ sich nicht blicken. Es war schon 22 Uhr, als es
an der Tür klingelte und Jasmin mühsam hinhumpelte. Tatsächlich stand der junge
Mann davor. Er hatte Wort gehalten.
„Können wir gleich losfahren? Ich stehe mitten auf der
Kreuzung“, erklärte er.
Jasmin griff sich ihre Jacke und ihre Handtasche, warf die
Tür hinter sich zu und wollte die Treppe hinabhüpfen. Doch der Paketbote ließ
es nicht zu. „Das ist zu gefährlich“, meinte er und hob sich hoch, als ob sie
nichts wiegen würde.
„Ich bin doch viel zu schwer!“, protestierte sie.
Er lachte nur. „Ich bin gut durchtrainiert.“
„Von den letzten Wochen mit den vielen Paketen?“, fragte
sie.
„Auch, aber ich spiele Rugby, dazu gehört Krafttraining.“ Er
setzte sie auf den Beifahrersitz seines Kleinwagens.
„Hoffentlich müssen wir nicht zu lange warten. Am besten
setzen Sie mich am Krankenhaus ab und fahren dann nach Hause. Ich kann doch
auch ein Taxi nehmen.“ Jasmin plagte ihr schlechtes Gewissen.
„Wollen wir uns nicht duzen? Ich bin Ben. Und ich warte.
Schließlich bin ich an deinem Unfall schuld.“
Sie schüttelte den Kopf. „Blödsinn. Ich heiße Jasmin. Wohnst
du weit weg?“
Schnell stellte sie fest, dass es einfach war, mit Ben ein
Gespräch zu führen. Er erzählte von seinen Erlebnissen als Paketbote.
„Haben dir öfter nackte Frauen die Tür geöffnet“, fragte sie
neugierig.
Er lachte. „Leider waren nicht alle Erlebnisse so nett. Ein
kläffender Dackel hat mich gebissen. Deshalb war ich vor einer Woche schon
einmal nachts hier in der Notaufnahme.“
Die Wartezeit verging für Jasmin viel zu schnell. Zum Glück
war ihr Knöchel nur verstaucht und nicht gebrochen. Mit einem Zink-Leimverband
und der Anweisung, den Fuß hochzulegen und nicht zu belasten, wurde sie
entlassen. Ben brachte sie nach Hause und trug sie die Treppe hoch.
„Soll ich morgen wieder vorbeischauen?“, fragte er besorgt.
„Morgen bin ich bei meinen Eltern. Mein Bruder holt mich ab.
Ich bleibe über die Feiertage dort. Aber am 27. komme ich zurück, weil meine
Eltern in den Süden fliegen“, erklärte sie.
„Gut, dann schaue ich am 27. nach dir, wenn es dir recht
ist“, meinte er und lächelte sie lieb an.
Natürlich war es Jasmin recht. Und damit er sie nicht
versetzte, tauschten sie gleich ihre Handynummern aus. Zum Abschied nahm er sie
in den Arm, küsste sie sanft und flüsterte: „Du bist mein schönstes
Weihnachtsgeschenk!“