Bild von Krisi Sz.-Pöhls |
Wie jedes Jahr, am dritten
Freitag im Dezember, hatte Carsten seine liebsten Freunde zum Gänsebratenessen
eingeladen. Wir freuten uns sehr, denn diese Feier war von allen Weihnachtsfeiern
immer die Schönste.
Er und sein Freund Manfred waren
wahre Künstler im Schmücken des Tannenbaums und im Dekorieren der Räume.
Weihnachtssterne, Amaryllis, überall Kerzen - alles nur in Weiß.
Für seine Gäste war es schwer,
ihm ein passendes Geschenk mitzubringen, denn er schien alles zu haben und
wunschlos glücklich zu sein! So musste es immer etwas Besonderes sein, etwas
Selbstgemachtes, das man nicht kaufen konnte: Gestrickte warme Socken,
eingelegte Gurken, Marmelade, Kekse und vieles mehr.
Marion hatte, wie jedes Jahr,
einen Hamburger Stollen gebacken, mit Hefe und Kardamom, natürlich ohne
Zuckerglasur - wegen der Kalorien.
Um achtzehn Uhr trafen die Gäste
nach und nach ein. Jeder bewunderte das Jugendstil-Etagenhaus, erbaut im Jahre
1908, weiter das stilvolle Treppenhaus, ausgestattet mit großen eingerahmten
Spiegeln, versehen mit Ornamenten sowie farbenprächtigen Mosaikmotiv-Fenstern.
Im Vorgarten stand bereits der lebensgroße Weihnachtsmann.
Carsten wohnte im vierten Stock.
Wir klingelten. Er schickte den Fahrstuhl hinunter - einen historischen Aufzug
mit zwei Holztüren, die man zuklappen musste, bevor er wieder losfuhr. Wir
stiegen ein. Sicher waren wir zu viele, denn der Aufzug knatschte und knurrte
mächtig. Er benötigte ewig. Mit einem Ruck hielt er. Wir hatten es geschafft,
wir waren oben!
Carsten begrüßte uns mit
Champagner. Alle Gäste waren locker und gut gelaunt. Er hielt eine kleine Rede
und schloss mit den Worten: „Die Gans ist hoffentlich auf dem Weg zu uns“, er
kicherte und fügte hinzu „einmal im Jahr dürfen wir doch sündigen, oder?“
Da klingelte es auch schon. „Oh,
da ist sie ja.“ Er ging in den Flur, um den Aufzug nach unten zu schicken und
wartete auf den „Schlachter seines Vertrauens“. Plötzlich ein Ruckeln, Quietschen
und Stöhnen, eine Stimme schrie vom unteren Stockwerk: „Der Fahrstuhl steckt
fest, was soll ich tun! Mit diesem alten Ding kenn ich mich nicht aus!“
Carsten beruhigte ihn mit den
Worten: „Ich werde den Hausmeister anrufen!“ Gesagt, getan. Doch der meinte,
gleich den Notdienst anzurufen. Die nette Damen am Telefon erläuterte: „Alle
Mitarbeiter sind unterwegs, das kann dauern, Freitagfeierabendverkehr!“
Der Schlachter wurde ungeduldig.
“Das muss nun aber mal schnell gehen, dalli, dalli! Stehe mit dem Lieferwagen
in zweiter Reihe und außerdem wird das Essen kalt!“
Nun, im Moment war nichts zu
machen, außer auf den Notdienst zu warten.
Manfred meinte: “Es riecht hier
so komisch, hoffentlich brennt nichts an.“
Carsten beruhigte ihn: „Das ist
die gebratene Gans im Fahrstuhl und der Rotkohl auf dem Herd. Riecht lecker,
ich kriege Hunger!“ Viel Gelächter in der Wohnung, der Champagner schmeckte mit
jedem Glas besser. „Ob wir schon mal die Vorspeise probieren sollten?“, fragte
Carsten
„Oder den Nachtisch reichen?“,
kam es aus einer anderen Ecke.
„Oder wir kochen Kaffee und
probieren Marions Stollen?“
Aber damit war sie ganz und gar
nicht einverstanden, denn dann wäre ratzfatz aufgegessen, woran sie einen
ganzen Tag gearbeitet hatte. Wir einigten uns auf Kaffee und Nachtisch - dazu
passte auch der Champagner!
Nach einer Stunde wurde der
Schlachter befreit. Er war genervt und total von den „Füssen.“ Die endlich
eingetroffene Gans verschwand im Bratofen und mit zweistündiger Verspätung
wurde das Hauptgericht serviert. Bei ausgelassener Stimmung war das Gänsebratenessen
– wie jedes Jahr - natürlich ein voller Erfolg! - Fröhliche Weihnachten!
Beim Nachhausegehen nahmen alle
die Treppen.
© Andrea Langer
Andrea Langer, 1935 im Haus am Deich geboren, liebt das Meer und den Horizont, das Lesen und Schreiben sowie die Menschen. Im Augenblick arbeitet sie an biografischen Geschichten. Im Buch "So spielt das Leben..." hat sie inzwischen mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht.
Krisi Sz.-Pöhls lebt recht
zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.
Malen
gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die
Autodidaktin Künstlerin geworden.
Sie hat die Illustrationen zu „Der Bär mit der
Brille“, „Klein Henning und der
Delfin“, „Rattenprinzessin
Rapunzel“, „Ratte Prinz im
Weihnachtsbaum“ und „Hopser will helfen“ gemalt.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei www.zazzle.de/mbr/238764950947258943