Zur
Weihnachtszeit, in einer kleinen Stadt, gar nicht weit von hier,
wartete ein kleines Mädchen aufs Christkind. Es hieß Marie und kam aus
einer sehr, sehr armen Familie. Gerade einmal acht Jahre alt, wünschte
Marie sich nichts sehnlicher als ein paar Schlittschuhe. Doch jedes Jahr
ging das Fest des Schenkens vorüber und ihr größter Wunsch war nicht
in Erfüllung gegangen.
Als in diesem Jahr die ersten Flocken herabwirbelten,
sah Marie bittend zum Himmel empor. Würde das Christkind ihr endlich
den sehnlichsten Wunsch erfüllen und ihr Schlittschuhe bringen? Traurig
dachte sie an das letzte Weihnachtsfest zurück. Seit der Vater
arbeitslos war, ging es der Familie nicht so gut. Viele kleine Wünsche
mussten sie sich versagen, weil das Geld nicht reichte.
Als
Marie am Heiligen Abend dann eine Puppe unter dem liebevoll
geschmückten Baum sah, gab es ihr einen Stich ins Herz. Die Puppe war
schön, aber eben nicht das, was sie sich erhofft hatte. Um die Eltern
nicht zu betrüben, drückte sie das Püppchen ans Herz und lächelte mit
Tränen in den Augen.
Im
Januar fror der See im Stadtwald zu. Alt und Jung tummelte sich auf dem
Eis und Marie sah traurig zu. Tag für Tag stand sie nach der Schule mit
großen, sehnsuchtsvollen Augen an der Eisfläche. Stundenlang harrte sie
aus, obwohl ihr Hände und Füße von der eisigen Kälte schmerzten.
In Gedanken sah sie sich als berühmte Eisprinzessin über die Eisfläche tanzen, vom Publikum beklatscht.
Auch
heute konnte Marie es nicht erwarten, endlich wieder in den Stadtwald
zu kommen. Diesmal war die Eisfläche leer, bis auf ein kleines Mädchen,
das ungefähr in ihrem Alter war. Es trug eine weiße Pelzmütze mit zwei
lustigen Bommeln, die ihr beim Gleiten auf dem Eis hinterher wehten.
Auch der wunderschöne, rote Mantel mit Pelzbesatz bewegte sich im Wind.
Aber das Allerschönste waren die Schlittschuhe. Das fremde Mädchen
tanzte, nein, es schwebte wie eine Schneeflocke und in Gedanken tanzte
Marie jeden Schritt mit. So anmutig hatte sie noch nie jemanden
dahingleiten sehen!
Marie
schaute an sich herunter. Wie erbärmlich sah sie doch aus in ihrem
schäbigen Mantel, mit der verfilzten Mütze auf dem Kopf. Als sie wieder
aufsah, war das Mädchen verschwunden, als habe es sich in Luft
aufgelöst.
„Schade“, dachte Marie. „Ich hätte noch stundenlang zuschauen können.“
Als
sie den Stadtwald verlassen wollte, stolperte sie über ein Hindernis.
Es waren die Schlittschuhe, die das fremde Kind sicher vergessen hatte!
Marie überlegte nicht lange. Mit fast feierlichem Gefühl legte sie die
Schlittschuhe an. Sie passten wie für sie gemacht. Plötzlich geschah
etwas Seltsames: Ihre armselige Bekleidung verwandelte sich in ein
schneeweißes, funkelndes Eislaufkostüm und in ihren dunkelbraunen Haaren
glitzerte es, als hätte der Himmel sie mit Sternenstaub überschüttet.
Im Nu stand Marie auf dem Eis und begann zu laufen. Es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl, so dahinzugleiten.
„Ein
Traum, ein Märchen!“, jubelte sie innerlich. „Bin ich es, die mit den
Schlittschuhen tanzt, oder tanzen sie mit mir?“, fragte sie sich und
befürchtete: „Gleich werde ich erwachen.“ Doch vorerst glitt sie auf
einem Fuß dahin, drehte Pirouetten, machte Luftsprünge und wurde immer
mutiger. Sie vergaß Zeit und Raum.
„Ich
bin eine Eisprinzessin“, jauchzte sie und machte einen Sprung. Da hörte
sie das Krachen und Klirren des Eises unter sich und sank durch ein
Loch in das eiskalte Wasser. Sie glitt tiefer und tiefer hinab, wunderte
sich, dass sie nicht nass wurde, nicht fror oder ertrank. Schließlich
landete sie mit ihren Schlittschuhen auf einer spiegelglatten Eisfläche,
inmitten eines hell erleuchteten Saales.
„Schon wieder eine Traumtänzerin!“, hörte sie eine Stimme. „Wie heißt du, Kind, und warum bist du hier?“
Ein elfenähnliches Geschöpf in einem himmlisch, glitzernden Eislaufkostüm begrüßte sie freundlich.
„Ich heiße Marie und möchte Eiskunstläuferin werden.“
„Nichts anderes?“, wurde sie gefragt.
Leise, aber bestimmt, gab sie Antwort. „Nein! Das ist mein allergrößter Wunsch!“
„Dann lass uns sofort beginnen. Du hast sehr viel zu erlernen!“
Und Marie tanzte, tanzte, tanzte … bis sie mit den Worten entlassen wurde: “Und nun geh deinen Weg!“
Plötzlich
befand sie sich wieder auf dem Eis an der Oberfläche des Sees und all
die wunderschönen Sachen, die sie getragen hatte, ebenso die
Schlittschuhe, waren verschwunden. Sie stand dort in ihrer armseligen
Bekleidung, sehr verwirrt, weil sie nicht wusste, war dies nun Traum
oder Wirklichkeit gewesen ...
Das Jahr verging schnell. Und wieder nahte der Heilige Abend.
Als
die Kerzen am Baum brannten, klingelte es an der Haustüre. Die Mutter
öffnete und kam mit einem Paket für Marie zurück, liebevoll eingepackt.
„Das wurde soeben für dich abgegeben“, sagte sie.
Mit
klopfenden Herzen öffnete Marie das Geschenk. Sie glaubte nicht, was
sie sah: Es waren funkelnagelneue Schlittschuhe und eine Nachricht lag
auch dabei: „Für Marie, die zukünftige erfolgreiche Eiskunstläuferin!“
©Marianne
Schaefer
Die Geschichte ist in "Winterliche Erzählungen" des Karina-Verlags erschienen.
Die Geschichte ist in "Winterliche Erzählungen" des Karina-Verlags erschienen.