Bild von Krisi Sz.-Pöhls |
„Calling USA“
Es beginnt mit alten Fotos … Nach mehr als dreißig Jahren findet
Lydia Steve wieder –über Facebook. Ende der siebziger Jahre waren sie ein
Paar, eine junge Deutsche und ein amerikanischer Soldat.
Der Hauptteil des Romans handelt von dieser Beziehung, von ihren Höhen und Krisen, dem heftigen, teilweise verzweifelten Bemühen der beiden und dem Scheitern am Ende. Der Leser wird zurückgeführt in die späten siebziger Jahre.
Der Hauptteil des Romans handelt von dieser Beziehung, von ihren Höhen und Krisen, dem heftigen, teilweise verzweifelten Bemühen der beiden und dem Scheitern am Ende. Der Leser wird zurückgeführt in die späten siebziger Jahre.
Leseprobe
Lydias Eltern, Helga und Ulrich, haben den amerikanischen Freund
ihrer Tochter zum Weihnachtsfest 1977 eingeladen. Wie immer ist auch Lydias Oma
Lina am Heiligabend mit dabei. Die siebzehnjährige Lydia freut sich, aber… ob alles gut geht, das weiß sie nicht. Ihre Eltern sind nicht so
ganz glücklich darüber, dass sie mit einem der in Mainz stationierten
amerikanischen Soldaten „geht“.
Weihnachten
Die Familie empfing Steve freundlich.
Lina erzählte ihm sofort von ihrem Mann, der am Ende des Zweiten Weltkrieges
noch gefallen war. Lydia blieb kaum Zeit für die Übersetzung. Die Bescherung
verlief deutlich chaotischer als üblich. Steve überreichte Helga und Lina
amerikanisches Parfum aus der PX.
Ulrich erhielt eine Mag-Lite-Taschenlampe, worüber er sich sichtlich freute.
Lydia bekam ein Päckchen in rotem Weihnachtspapier mit grünen Sternchen. Darin
befand sich eine Schachtel mit kleinen, vergoldeten Kreolen. Sie war entzückt
und fand ihr Geschenk für ihn, ein Foto von sich in einem silbernen Rahmen und
einen Spielzeugpanzer, ziemlich mickrig.
Steve allerdings war begeistert.
Duftseifen, Kölnisch Wasser und eine
sehr hübsche dunkelgrüne Mokkatasse mit goldenen Mustern, Socken, Bücher,
Pullover und Schokoladen wechselten die Besitzer. Fröhlich, mit leicht
geröteten Wangen, übereichte Helga dem lächelnden Steve einen Korb mit Fleischwurst,
Salami, Brezel, Stollen, Plätzchen und Wein.
Er strahlte.
Im Hintergrund sang ein Knabenchor Ihr Kinderlein kommet.
Beim Abendessen wurde viel gelacht.
„Ach!“, Lina redete nach dem zweiten
Gläschen Wein beschwingt und viel, „früher, mit der kleinen Lydia war
Weihnachten ja schöner.“ Bedauernd nickte sie. Ihr Blick verschwamm.
„Ja, da hatten wir natürlich einen
größeren Weihnachtsbaum“, beeilte sich Helga zu sagen.
Daran konnte sich Lydia nicht
erinnern. Der Christbaum war in ihrer Familie schon immer relativ klein
ausgefallen, weil ihre Mutter die Nadeln und den Dreck nicht gerne wegmachte.
Sie war bereits ziemlich müde, weil sie ständig übersetzte und niemand zu
bemerken schien, dass dafür etwas Zeit einkalkuliert werden musste.
Jetzt beugte sich Lina zu Steve, der
neben ihr saß, und schaute ihm vertrauensvoll in die Augen. „Aber meine Helga,
die hatte ja als Kind kein schönes Weihnachtsfest.“ Sie wartete, bis Steve ihr
nach der Übersetzung einen fragenden Blick zuwarf. „Warum?“, brachte er auf Deutsch
heraus.
„Krieg. Da war doch Krieg.“ Linas
Augen füllten sich mit Tränen.
Ulrich stöhnte, Helga unterdrückte ein
Schluchzen.
Lydia hoffte inständig, dass die
Stimmung nicht kippen würde.
„Wie feiert Ihre Familie denn
Weihnachten?“, mischte Ulrich sich schnell ein. Er hatte offensichtlich die
gleiche Befürchtung gehabt. Er nickte seiner Tochter zu, damit sie die Frage
übersetzte.
Steve lächelte. „Wir feiern auch an
Heiligabend. Das ist eine Familientradition, die mein Großvater begründet hat.
Er kam aus Deutschland. Alle anderen Leute, die ich kenne, feiern am 25.
Dezember. Für uns Kinder fängt der 24. damit an, dass wir meiner Mutter helfen,
das Haus zu putzen und zu kochen. Wobei …“ Er machte eine Pause und
grinste. „… die Mädchen machen schon mehr. Später nach dem Dinner verteilen wir
die Geschenke. Mein Vater ist dafür zuständig, Anfang Dezember den Baum zu
besorgen, der immer zu groß ist, sodass wir die Spitze abschneiden müssen. Das
Dekorieren ist eine große Sache.“
„Ach!“ Helgas Interesse war geweckt.
„Welchen Schmuck stellt deine Mutter denn her, also, mit deinen Schwestern
zusammen?“
Wahrscheinlich dachte sie an
hochwertige Christbaumdekoration von kunstgewerblicher Qualität. Lydia
übersetzte die Frage nur ungern. Für sie nahm das Ganze eine peinliche Wendung.
„Auf dem Tisch steht eine große
Schüssel mit Popcorn und Preiselbeeren. Die werden mit einer Nadel durchstochen
und auf einen Faden gereiht“, antwortete Steve völlig unbedarft. Erwartungsvoll
sah er daraufhin in die Runde, während Lydia übersetzte.
Helgas Gesichtsausdruck entglitt ein
wenig. Was sie da hörte, entsprach sicher nicht ihrer Vorstellung von
Kunsthandwerk. „Oh“, sagte sie leicht fassungslos, „wie interessant!“
„Also, so etwas Ähnliches haben wir
als Kinder auch gemacht“, erklärte Lina stolz.
Helga riss die Augen auf.
Lydia und ihr Vater mussten sich das
Lachen verkneifen.
Steve blickte fragend in die Runde.
„Sie basteln auch Girlanden aus grünem und rotem Papier“, erzählte er lächelnd.
Helga entspannte sich. Das war wieder
einer der Momente, in denen sie Lydia überraschte. Sie lachte, vor allem über
sich selbst und ihre Erwartungen. „Was kommt noch an den Baum?“, fragte sie gut
gelaunt.
„Lametta.“
„Aus … Alufolie?“
Verständnislos schüttelte Steve nach
der Übersetzung den Kopf. „Nein, aus der Packung“, erklärte er.
Alle außer ihm lachten, bis ihnen die
Tränen kamen.
Beim Verabschieden zur vorgerückten
Stunde warf Helga Lydia einen verschwörerischen Blick zu. „Der ist nett“,
flüsterte sie.
„Steve!“ Lina stand kerzengerade wie
die Königin der Zwerge in Mantel und Schal mit geröteten Wangen im Flur.
„Yes“, erwiderte der so Angesprochene
schmunzelnd und nahm Haltung an.
Lydia machte sich auf etwas gefasst.
Sie würde wieder die Essenz einer umfangreichen Schilderung übersetzen müssen,
obwohl sie mittlerweile völlig am Ende war.
„Als der Krieg vorbei war …“ Lina
bohrte einen Daumen in Steves Brust. „ … da wurden Amerikaner in meiner
Wohnung einquartiert. Die mussten ja irgendwohin. Vier Soldaten waren in meinem
Schlafzimmer, meine Tochter und ich in der Küche.“ Vielsagend schaute sie dem
jungen Mann tief in die Augen.
Nach der Übersetzung wurde Steves
Gesichtsausdruck ernst. Er interessierte sich für Kriegs- und Zeitgeschichte.
Was er jetzt zu hören bekam, hatte er
mit Sicherheit bisher in keinem Geschichtsbuch gelesen.
„Die waren in Ordnung“, erklärte Lina
kategorisch, nahm den Daumen von Steves Brust und fuchtelte stattdessen mit
erhobenem Zeigefinger direkt vor seiner Nase herum. „Den Soldaten war ja nicht
erlaubt, mit uns zu reden. Das haben sie auch nicht. Aber sie haben die Tür
aufgemacht und Lebensmittel in die Küche geworfen. Das war das erste Mal, dass
meine Helga Schokolade bekommen hat.“ Jetzt kämpfte sie wieder mit den Tränen.
„Nur einer von ihnen hat von seiner Ration nichts abgegeben“, setzte Lina ihre
Schilderung fort. „Der war Jude. Das kann man ja verstehen.“ Mit feuchten Augen
wendete sie sich ab.
„Oh“, sagte Steve. Mehr fiel ihm dazu
offenbar nicht ein.
Aufatmend und eilig verließen Lydia
und ihr Vater die Wohnung. Ulrich würde Lina und Steve nach Hause fahren, Lydia
begleitete ihn.
Lina ließ sich Zeit und erzählte Steve
etwas, während sie die Treppe hinuntergingen.
Er nickte verständnisvoll, ohne etwas
zu verstehen.
Lydia übersetzte kein Wort mehr.
Als sie mit ihrem Vater wieder nach
Hause kam, hatte ihre Mutter bereits alles aufgeräumt und wirkte gelöst. „Also,
das war ein schöner Heiligabend“, erklärte Helga, bevor sie ins Bad ging, um
sich fürs Bett fertigzumachen.
Paula Dreyser ist Bibliothekswissenschaftlerin und
Ethnologin. Nach einer Tätigkeit an der Universität mit
Forschungsaufenthalten in Namibia übte sie verschiedene Berufe aus. Sie
arbeitete als Lehrerin, betreute eine Schulbücherei, leitete Projekte in
Institutionen der Familienbildung und führte ein Online-Antiquariat.
Mittlerweile ist sie als freie Lektorin tätig und widmet sich ihren
Romanen, die alle im „deutsch-amerikanischen Milieu“ der 60er und
70er-Jahre spielen. Mit Mann und fast erwachsener Tochter lebt sie im
Vordertaunus, in der Nähe ihrer Heimatstadt Mainz.
Webseite http://www.paula-dreyser.de/de/
Krisi Sz.-Pöhls lebt recht
zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.
Malen
gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die
Autodidaktin Künstlerin geworden.
Sie hat die Illustrationen zu „Der Bär mit der
Brille“, „Klein Henning und der
Delfin“, „Rattenprinzessin
Rapunzel“, „Ratte Prinz im
Weihnachtsbaum“ und „Hopser will helfen“ gemalt.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei www.zazzle.de/mbr/238764950947258943