Bild von Christine Erdiç |
Mürrisch trat ich gegen den Kleiderschrank. Es war der
24. Dezember, und ich musste ihn allein in meinem Zimmer verbringen. Nebenan,
in der festlich geschmückten Stube, begannen sie jetzt mit der Bescherung. Das
Leben konnte so ungerecht sein!
Angefangen hatte alles letzte Woche, als mein Vater mit
einem Zettel in der Hand ins Kinderzimmer kam.
„Luise, du weißt doch, dass wir dir keinen Hund schenken
können. So ein Tier muss mehrmals am Tag Gassi geführt werden, es bellt, bringt
Unruhe und außerdem wäre die Hausverwaltung damit sicherlich nicht
einverstanden.“
„Woher hast du meinen Wunschzettel an den
Weihnachtsmann?“, fragte ich aufgebracht.
Vater wurde rot und räusperte sich verlegen. „Nun, ein
Hund kommt jedenfalls nicht in Frage.“
„Dann vielleicht eine Katze?“, ich gab die Hoffnung nicht
auf.
„Mama ist allergisch gegen Katzenhaare …“ Ach ja, wie
konnte ich das nur vergessen.
„Ein Kanarienvogel … eine Maus?“, zählte ich weiter auf.
Mutter erschien mit entsetztem Gesicht im Türrahmen.
„Eine Maus kommt mir nicht ins Haus, Luise! Das ist doch Ungeziefer!“
Kopfschüttelnd sah sie mich an.
„Jedes vernünftige Mädchen wünscht sich eine Puppe oder
ein schönes Buch.“
Ich war sieben Jahre alt und alles andere als ein
vernünftiges Mädchen. Schlimmer noch, ich wollte auch gar keins sein.
„Schau nur, wie schön Lottchen mit ihrer Puppe spielt“,
sagte Mama noch, bevor sie ging. Widerwillig betrachtete ich meine vierjährige
Schwester, die eine richtige Zimperliese war.
Am nächsten Tag schon bot sich eine günstige Gelegenheit, um meine
Wut abzulassen. Mama war mit Lottchen zum Zahnarzt, mein Vater auf der Arbeit.
As erstes malte ich der Puppe meiner Schwester einen Bart auf. Ziemlich blöd
von mir, da ja klar sein musste, dass ich der Täter war. Dann schlich ich ins
Schlafzimmer, wo oben auf dem Kleiderschrank die Krippe stand. Sie war Papas
ganzer Stolz, er hatte sie selber hergestellt. Mit meiner Zwille, die ein
Freund mir gebastelt hatte, zielte ich vom Bett aus darauf und landete gleich
einen Volltreffer. Josef war nun ohne Nase. Ich erschrak. Das würden die doch
merken. Was jetzt? So ein Mist!
Flugs fischte ich ein Kaugummi aus meiner Hosentasche.
Klever musste man sein! Nachdem ich lange genug darauf herumgekaut hatte, stieg
ich mit Hilfe eines Stuhls hinauf und klebte Josef die Nase wieder an. Der
Kaugummi fiel gar nicht weiter auf, fand ich nach eingehender Betrachtung.
Leider irrte ich mich da. Meine Eltern merkten es, als
sie die Krippe zwei Tage vor Heiligabend aufstellten. Außerdem hatte Lottchen
sich heulend bei unseren Eltern über mich beschwert.
Mama hielt anklagend die angemalte Puppe hoch. „Schämst
du dich nicht? Du bist doppelt so alt wie deine Schwester. Wie kannst du nur?!
Ich erwarte, dass du dich bei ihr entschuldigst.“
Als ich das nicht tat, war das Maß voll. Für mich gab es
keine Bescherung, und nun saß ich hier. „Selber schuld“, raunte eine böse
Stimme in meinem Kopf. Ich legte mich aufs Bett und schloss seufzend die Augen.
Was sie mir wohl geschenkt hätten? Ob ich mal zur Stubentür
schlich und durchs Schlüsselloch spähte?
Da hörte ich ein Geräusch, mehr ein Knispeln und Rascheln.
Im schwachen Schein der Nachttischlampe konnte ich erst
nicht viel sehen, doch dann …
Ich traute meinen Augen kaum – es wuselte plötzlich im
ganzen Zimmer von kleinen pelzigen Tierchen, und manche hatten ein winziges
Instrument dabei. Da gab es eine weiße Ratte mit einer Gitarre, eine braune am
Schlagzeug, wieder eine andere, bunt gescheckte hatte eine Trompete dabei. Sie
spielten eine quirlige Melodie, und andere Ratten legten dazu eine flotte Sohle
aufs Parkett.
Einer der Nager verbeugte sich und kündigte einen
Stepptanz an. Ich amüsierte mich köstlich und klatschte Applaus. Jetzt kam die
Ratte mit der Gitarre auf mich zu und spielte ein Solo: „Jailhouse Rock. Sie
hatte ein goldenes Haarbüschel zwischen den Ohren und mutete beinahe zierlich
an. Als ich abermals klatschte, zwinkerte sie mir zu.
„Es war uns ein Vergnügen, Luise.“
„Wer bist du, und woher kennst du meinen Namen?“, fragte
ich sie erstaunt.
„Oh, ich bin die Rattenkönigin und beobachte dich schon
lange“, kicherte die Ratte ausgelassen.
Die Tür zu meinem Zimmer öffnete sich, meine pelzigen
Freunde konnten sich gerade noch in Sicherheit bringen.
„Was ist das hier für ein Spektakel?“, fragte Mama, „ich
meinte Musik und Klatschen gehört zu haben.“ Erstaunt sah sie sich um. Ich rieb
mir die Augen. Hatte ich geschlafen und alles nur geträumt? Aber meine Mutter
hatte ja auch was gehört.
„Wir denken, du bist nun bestraft genug. Du kannst jetzt
ins Wohnzimmer kommen.“ Noch leicht benommen folgte ich ihr.
Unter dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum saß meine
Schwester in einem hübschen Kleidchen mit ihrer neuen Puppe, und neben ihr
stand ein kleiner runder Käfig mit ... wieder zweifelte ich an meinen Augen.
„Ich habe den kleinen Kerl vorhin direkt auf dem
Fensterbrett gefunden. Er ist nicht weggelaufen, als ich nach ihm griff. Sicher
ist er ganz zahm. Hab mir vom Nachbarn schnell den Vogelkäfig ausgeliehen“
Verwirrt sah ich vom Käfig zu Mama.
„Er bekommt noch einen größeren Käfig, darin gestalte ich
ihm eine richtig schöne
Spiellandschaft“, beeilte sich Vater zu sagen. „Gegen den kleinen
Mäuserich hat nicht mal Mama was einzuwenden. Sie meinte, er sei so ein
hübscher Kerl, und das goldene Büschel auf dem Kopf sähe fast wie eine Krone
aus.“
„Die Rattenkönigin“, entfuhr es mir leise. Doch Papa
hatte es gehört.
„Erzähl mir nicht, das ist ein Weibchen, und wir haben
bald noch mehr davon“, raunte er zurück. Ich konnte mir ein Grinsen nicht
verkneifen.
„Ach, du mit deinen Geschichten und Märchen immer. Woher
willst du das schon wissen“, schmunzelte er dann.
Nach dem ersten Schock lief ich freudig auf den Käfig zu.
„Herzlich willkommen in unserer Familie“, begrüßte ich die Rattenkönigin, die
mich mit klugen Augen musterte. Diesmal antwortete sie nicht, doch ich sah ganz
deutlich, dass sie mir verschwörerisch zuzwinkerte.
©byChristine Erdic
Autorenvita Christine Erdiç
Christine Erdiç wurde 1961 in Deutschland
geboren.Sie interessierte sich von frühester Kindheit an für Literatur und
Malerei und verfasste schon damals oft kleine Geschichten und Gedichte, die sie
jedoch nie veröffentlichte. Nach dem Abitur war sie
in unterschiedlichen Bereichen tätig und reiste viel. Seit 1986 ist sie verheiratet, hat zwei Töchter und lebt
seit dem Millenium in der Türkei. Unter
anderem gab sie Sprachtraining an der Universität von Izmir, machte
Übersetzungen und verfasste Berichte für die Türkische Allgemeine, eine
ehemalige Zeitschrift in deutscher Sprache und gibt heute noch private
Deutschstunden.
Mehr über die Autorin und ihre Werke unter
Bisher
veröffentlichte Bücher:
Nepomucks
Abenteuer
Zauberhafte
Gerichte aus der Koboldküche
Geschichten
aus dem Reich der Hexen, Elfen und Kobolde
Glücksschmiede,
Tipps für mehr Glück und Erfolg
Willkommen
im Luhg Holiday
Mystica
Venezia
Kleine
Mutmachgeschichten ( in Zusammenarbeit mit 3 anderen Autorinnen)