Foto von Sabine Fenner |
Wir schrieben das Jahr 1958.
Meine Geschwister und ich, als
Nesthäkchen der Familie, warteten in der Wohnküche unseres Hauses voller
Spannung auf die Bescherung. Wie in jedem Jahr, waren auch die Großeltern bei uns
zu Gast, um mit uns gemeinsam das Weihnachtsfest zu begehen. Das
Weihnachtszimmer durfte von uns Kindern am Heiligabend nicht mehr betreten
werden, denn der Weihnachtsmann, auch wenn wir nicht mehr an ihn glaubten,
hatte dort noch viel zu richten.
Besonders freuten wir uns auf die
Pracht des Weihnachtsbaumes, den unser Vater immer mit viel Liebe und
wunderschönen weihnachtlichen Details schmückte. Auch kleine Schokoteile fanden
ihren Platz in dem Bäumchen, den wir dann am 6. Januar plündern durften. Wir
liebten es, wenn die ganze Familie am Heiligabend an dem großen Eichentisch
zusammensaß, und, wie es Tradition in unserem Hause war, den von unserer Mutter
delikat zubereiteten Kartoffelsalat und die Wiener Würstchen vom Metzger
nebenan mit großem Appetit verspeisten.
So warteten wir auf das Klingeln
des kleinen Glöckchens, das immer dann ertönte, wenn die Türen des
Weihnachtszimmers sich wieder für uns öffneten. Ungeduldig rutschten wir auf
der hölzernen Bank hin und her. Da, endlich… Wir sprangen auf und liefen, so
schnell uns unsere Füße tragen konnten, in das festlich geschmückte Wohnzimmer.
Unter dem Weihnachtsbaum lagen immer die Geschenke für die Kinder. Bevor wir
diese aber auspacken und bestaunen durften, bildete die ganze Familie einen
Kreis, fasste sich an den Händen und gemeinsam sang man voller Inbrunst „Stille
Nacht… heilige Nacht“. Danach brachte unsere Mutter für jeden von uns einen
Naschteller, der angefüllt war mit bunten Kringeln, Nüssen, Apfelsinen und
Äpfeln aus eigener Ernte. Meine Aufgabe am Heiligabend bestand darin, diese so
richtig blank zu putzen, so dass sie nur so glänzten. Sogleich stürzten wir uns
auf diese Kostbarkeiten, denn Süßes gab es für uns Kinder nur ganz selten.
Nachdem wir unseren Heißhunger gestillt hatten, durften wir die Geschenke
auspacken. Für jeden von uns gab es ein Geschenk, obwohl wir natürlich viel
mehr auf unseren Wunschzetteln notiert hatten.
So schaute ich unter den Baum,
entdeckte dort aber nur zwei Pakete, an denen die Namen meiner Geschwister auf
weihnachtlichen Anhängern zu lesen waren. Ganz verwundert und ein wenig
enttäuscht schaute ich zu, wie meine Geschwister sich nun an ihren Geschenken
erfreuten. Mein Vater hatte natürlich meinen Gesichtsausdruck bemerkt und bat
mich, ihm doch ein Taschentuch aus dem Schlafzimmer zu holen. Als folgsame
Tochter tat ich das auch unumwunden und
öffnete die Tür zum Schlafgemach meiner Eltern, um aus der Kommode besagtes
Utensil zu holen. Aber, was war das? Ich traute meinen Augen nicht und ließ die
Tür vor lauter Schreck gleich wieder ins Schloss fallen. Da hatte ich doch
tatsächlich die Silhouette eines Rollers erspäht. Ich schaute meinen Vater an
und sagte: „Papa, ich kann dir kein Taschentuch holen, da ist noch der Weihnachtsmann am Werkeln“. In diesem
Moment war ich mir nicht mehr sicher, ob es ihn nicht vielleicht doch gab…
Meine Eltern fingen herzlich an zu lachen. Auch der Rest der Familie, die
natürlich eingeweiht waren, lachte aus vollem Herzen.
Mein Vater stand auf, nahm mich
an die Hand, denn meine Tränen konnte ich nicht mehr zurückhalten, öffnete die
Schlafzimmertür erneut, knipste das Licht an, und da stand tatsächlich der so
innig gewünschte nagelneue hellblaue Roller mit richtigen Gummirädern.
Mein Herz hüpfte fast aus meiner
Brust, und ich dankte dem lieben Gott, dem Christkind und ach… Meine Mutter kam
dazu, nahm mich in den Arm und drückte mich. Auch meine Geschwister freuten
sich mit mir. Für mich war dieses Weihnachtsfest Anno 1958 ein ganz besonderes,
das wohl immer in meiner Erinnerung haften wird.
Fortan sah man mich bei jedem
Wetter draußen rollern. Egal, ob es regnete, stürmte oder schneite…
©
Sabine Fenner
Sabine Fenner
Jahrgang 1952, geb.
in Flensburg. Lebt und wirkt in Schleswig-Holstein. Die norddeutsche Autorin
schreibt vorrangig Gegenwartslyrik und Aphorismen. Hierbei streift sie alle
Facetten, die das Leben zu bieten hat, setzt sich mit unterschiedlichen Themen auseinander.
Eigene Buchprojekte. Weitere Veröffentlichungen in Anthologien und
Zeitschriften. Mitgründerin der: www.mülheimer-lesebühne.de
Internetpräsenz: www.sabine-fenner.com