Foto von Eva Joachimsen |
Der Schneefall vom Nachmittag ist
unterdessen in einen tobenden Schneesturm übergegangen. Das Jaulen des Windes
ist sogar in der Scheune deutlich zu hören.
Tillys Enttäuschung wächst. Sie macht sich Sorgen, dass die Theater-Aufführung
ins Wasser fallen wird, nur weil der Prinz nicht anwesend ist. Als sie das
Geräusch der sich öffnenden Tür vernimmt, kann sie erleichtert feststellen,
dass Andy endlich gekommen ist. Sie stürmt auf ihn zu.
„Du kommst viel zu spät“, sagt sie vorwurfsvoll. „Komm. Wir
müssen uns schnell umziehen.“
Er schiebt sie jedoch zur Seite und fragt aufgeregt: „Wo ist
dein Onkel? Das ist ein Notfall. Ich muss unbedingt deinen Onkel sprechen.“
Er flüstert ihr etwas ins Ohr, worauf sie entsetzt die Augen
aufreißt und losläuft. Andy folgt ihr. Sie sind beide schnell verschwunden.
Olli hat sie beobachtet und setzt sich ebenfalls in
Bewegung. Bevor er jedoch die Tür geöffnet hat und hinausschaut, kann er im
Schneesturm weder Tilly noch Andy entdecken, sodass ihm nur bleibt, die Tür
schnell wieder zu schließen.
„Was ist los?“, fragt Christine.
„Ich weiß nicht. Andy hat von einem Notfall gesprochen, und
dass er dringend Onkel Heinrich finden muss.“
Besorgt sieht sich Christine um und kontrolliert, ob alle Kinder
anwesend sind. Erleichtert stellt sie fest, dass sie in der Nähe der Krippe
sind. Daniel spielt mit dem Jesuskind. Als er den Blick seiner Mutter auf sich
ruhen spürt, legt er die Puppe schnell zurück und deckt sie wieder mit Stroh
zu. Mit leuchtenden Augen deutet er hinter den wunderschön geschmückten
Weihnachtsbaum, wo viele Geschenke liegen. Christine hebt ihren Zeigefinger und
droht ihm.
Bertram liegt neben dem Bernhardiner Cäsar. Er krault ihm
den Hals und flüstert ihm ins Ohr: „Ich habe mir vom Weihnachtsmann einen
droßen Hundi dewünscht.“
Sein Bruder Richard sitzt vor der Krippe. Er lässt seine
Beine baumeln und schaut betrübt vor sich hin.
„Olli, nun tu doch etwas“, sagt Christine. „Ich kann die
Kleinen nicht traurig sehen.“
„Denkst du vielleicht, mir gefällt das?“, antwortet er.
Bertram kommt auf sie zugelaufen. „Dommt jetzt der
Weihnachtsmann?“
„Nein“, sagt Olli etwas genervt. „Wir müssen uns alle noch
ein bisschen gedulden.“
Er nimmt seinen kleinen Sohn an die Hand und geht mit ihm zu
Richard. Sie setzen sich zu ihm.
Als sich die Tür wieder öffnet, ruft Bertram aufgeregt:
„Jetzt dommt endlich der Weihnachtsmann.“
Es ist aber nur Tilly, die völlig außer Atem ist. An ihrem
Gesichtsausdruck ist abzulesen, dass etwas Schlimmes passiert sein muss, denn
sie ist ganz blass und hat Tränen in den Augen. Schnell geht sie zu Oma Hedwig
und flüstert mit ihr. Dann läuft sie zur Tür zurück und hält diese auf, damit
Onkel Heinrich und Andy eintreten können. Die beiden tragen einen großen Hund,
dessen Fell mit Schnee bedeckt und teilweise bereits vereist ist.
Oma Hedwig hat unterdessen in der hintersten Ecke des
Kaminzimmers eine Decke ausgebreitet. Vorsichtig legen die Männer den Hund
darauf ab.
Onkel Heinrich kratzt sich ratlos am Kopf.
„Ich dachte, das gibt’s doch nicht, als mir Andy erzählte,
dass jemand am Parkplatz einen Hund angebunden hat und das bei diesen eisigen
Temperaturen“, sagt er kopfschüttelnd. „Wer weiß, wie lange der arme Kerl schon
dort lag?“
„Als wir ankamen, war da noch kein Hund. Den hätten wir
gesehen“, meint Olli und Christine ergänzt: „Ganz bestimmt.“
Alle haben sich im Kaminzimmer versammelt und sind
fassungslos.
„Der arme Hund“, sagt Daniel.
„Das ist furchtbar“, sagt Tilly.
Als Bertram erkannt hat, was die beiden Männer hereinbringen,
hat sein kleines Herz einen riesigen Sprung gemacht. Er schiebt sich ganz
langsam durch die Menge und betrachtet den Hund mit großen Augen. Sein Mund ist
vor lauter Staunen geöffnet, und ein Leuchten breitet sich über sein ganzes
Gesicht.
„Das ist mein Hundi“, flüstert er. „Den hat der
Weihnachtsmann für mich debracht.“ Bevor jemand reagieren kann, geht er
ehrfurchtsvoll auf den Hund zu und lässt sich auf die Decke fallen. „Mein Hundi, mein Hundi“, ruft er immer wieder
überglücklich und kuschelt sich an den verängstigten Hund.
Die Anwesenden sind nun noch mehr erschüttert und schauen
ratlos auf den kleinen Jungen. Oma Hedwig erfasst als erste die absurde Szene
und zieht Bertram mit sanfter Gewalt von dem Hund weg.
„Nein!“, schreit er und fängt an zu strampeln. „Das ist mein
Hundi! Den hat mir der Weihnachtsmann debracht. Lass mich los.“
Olli ist vor Entsetzen wie gelähmt, deshalb nimmt Christine
ihrer Mutter den zappelnden Jungen ab. Sie drückt ihn fest an sich und wiegt
ihn wie ein Baby.
Bertram fängt an zu schluchzen und schreit: „Das ist mein
Hundi …“
Tilly beugt sich zu dem Hund und knotet den Strick vom
Halsband.
„Sieh mal, Onkel Heinrich, hier ist etwas befestigt“, sagt
sie und faltet ein Stück Papier auseinander. Sie liest und reicht es ihm. Alle
sehen gespannt zu ihr.
Sie streichelt den Hund und sagt leise: „Jetzt wird alles
gut.“
Auf dem Zettel steht: „Heinrich! Dein Köter hat meine Hündin
geschwängert. Sieh zu, wie Du mit ihr klarkommst. Ich will das Vieh nicht mehr
sehen.“
Nachdem auch er das gelesen hat, schüttelt er den Kopf.
„Was ist?“, fragt Christine.
Onkel Heinrich winkt ab und sagt entschieden: „Sie bleibt
auf jeden Fall bei uns.“ Er entfernt den restlichen Schnee aus dem Fell,
streichelt ihr über den Kopf und sieht sie voller Mitleid an.
„Wir sollten sie in Ruhe lassen“, sagt er zu den anderen und
gibt ihnen durch ein Handzeichen zu verstehen, das Kaminzimmer zu verlassen.
Oma Hedwig bringt eine Schüssel mit Wasser und hält diese
der Hündin hin, die sogleich gierig säuft.
„Wer tut nur so etwas, ausgerechnet am Weihnachtstag?“,
fragt sie Heinrich.
„Mein alter Schulfreund Egon“, antwortet er. „Von ihm kann
man nichts anderes erwarten.“ Leise fügt er hinzu: „Er verdächtigt unseren
Cäsar, der Vater ihrer Welpen zu sein.“
Oma Hedwig ist fassungslos. Auf einmal stutzt sie und sieht
Heinrich an. „Moment mal. Das kann gar nicht sein. Du hast doch schon vor
Jahren dafür gesorgt, dass nichts mehr passieren kann, nachdem dich ein Züchter
sogar verklagen wollte.“
„Eben“, sagt Heinrich.
Hedwig legt eine Hand auf den gewölbten Bauch der Hündin und
bemerkt, dass die Geburt bereits in vollem Gange ist.
„Na dann, frohes Fest“, sagt sie nur und lächelt. „Nur gut,
dass Andy sie rechtzeitig gefunden und sich um sie gekümmert hat. Der Junge hat
doch nicht nur die Mädchen im Kopf.“
Sie geht mit Heinrich zu den anderen.
Die Erwachsenen unterhalten sich leise. Daniel und Richard
sitzen ganz still an der Krippe, denn dieses Ereignis hat sie ziemlich
erschreckt. Bertram weint vor sich hin und schaut immer wieder sehnsüchtig zu
der Hündin.
Als sich alle etwas beruhigt haben, sagt Tilly, dass sie
sich für die Theateraufführung umziehen gehen wollen.
Sie will Bertram mitnehmen, der schüttelt jedoch seinen Kopf
und schluchzt: „Ich will zu meinem Hundi.“
Als Olli beginnt, die Stühle für die Zuschauer aufzustellen,
wird mehrmals an das Scheunentor gehämmert. Ein eisiger Windstoß kommt in dem
Moment herein, als Onkel Heinrich die Tür öffnet. Erstaunt begrüßt er einen
Weihnachtsmann, der um Einlass bittet. Als er in der warmen Scheune steht,
klopft er sich erst einmal den Schnee vom Mantel.
Christine sieht Olli fragend an. Der zuckt mit den Schultern
und schüttelt seinen Kopf. Oma Hedwig und Onkel Heinrich schauen gleichzeitig
zu Christine. Sie müssen jedoch feststellen, dass sie ebenfalls überrascht ist.
„Ho, ho, ho“, macht der Weihnachtsmann. „Draußen vom Walde
komme ich her und bringe ein Geschenk für einen jungen Mann.“
Daniel und Richard verstecken sich hinter Onkel Heinrich und
schauen einer rechts und einer links nur ängstlich hervor. Bertram ist immer
noch auf Christines Arm und weint unaufhaltsam.
„Schau mal, wer gekommen ist“, macht Christine ihn
aufmerksam.
Er hebt seinen Kopf und ist erstaunt.
„Aber … aber der Weihnachtsmann war doch schon da und hat
mir meinen Hundi debracht.“ Er zeigt zum Kaminzimmer. „Dort drüber liegt er
doch.“
Er strampelt wieder mit den Beinen, damit Christine ihn auf
den Boden stellt. Das tut sie auch, hält ihn aber sofort am Arm fest, weil sie
ahnt, wo er hin will.
„Du bleibst hier“, sagt sie nachdrücklich zu ihm.
Bertram schnieft und zieht umständlich ein Taschentuch aus
der Hose. Christine hilft ihm.
Olli hat unterdessen den Weihnachtsmann leise gefragt, ob er
eventuell auf der falschen Veranstaltung sei. Der schüttelt jedoch den Kopf,
sodass der restliche Schnee aus seiner Mütze und dem Bart rieselt.
„Wer von euch ist
Richard?“, fragt er mit donnernder Stimme.
Richard schaut erschrocken zu Onkel Heinrich hoch.
Daniel schubst ihn vor und ruft laut: „Der hier ist
Richard.“
Olli geht zu seinem Sohn, lächelt ihn aufmunternd an und
reicht ihm eine Hand.
„Komm. Wir sehen mal nach, was der Weihnachtsmann für dich
mitgebracht hat.“
Zögernd läuft Richard neben seinem Vater her.
„Du bist also Richard?“, fragt der Weihnachtsmann.
Der Kleine hebt langsam seinen Kopf und nickt ängstlich.
„Ich habe gehört, dass du gern Klavier spielst. Stimmt
das?“, fragt der Weihnachtsmann.
Richard kommt aus dem Staunen nicht heraus und nickt wieder.
„Kannst du mir ein Lied vorspielen?“, fragt ihn der
Weihnachtsmann.
„Nein, kann ich nicht“, flüstert Richard.
„Du musst schon lauter sprechen, damit ich alter Mann dich
auch verstehen kann.“
„Nein“, sagt er etwas lauter.
„Und warum nicht?“
Da Richard nicht
antwortet, ruft Bertram: „Weil das Dlavier immer noch daputt ist.“ Er reißt
sich von Christine los, läuft zu seinem Bruder und baut sich mutig vor dem
Weihnachtsmann auf. Er streckt ihm seine kleine Hand entgegen und sagt: „Danke,
lieber Weihnachtsmann, dass du mir den droßen Hund mitdebracht hast. Mama
Dristine dlaubt mir das nämlich nicht.“
Der Weihnachtsmann schüttelt vorsichtig Bertrams Hand und
schaut irritiert zu Olli.
Und, um überhaupt etwas zu sagen, meint er nur: „Da musst du
aber sehr artig gewesen sein, damit ich dir diesen Wunsch erfüllen konnte.“
Der Kleine nickt kräftig.
„Ich habe mich danz doll andestrengt und auch nichts mehr in
meine Nase deschoben. Das dannst du dlauben. Schau rein … ist nix drin.“
Zum Beweis reckt er seinen Kopf ganz weit nach hinten, damit
der alte Mann sich selbst überzeugen kann. Als endgültige Bestätigung
schnuffelt er noch wie ein Häschen.
Der Weihnachtsmann nickt. Es ist ihm anzumerken, dass es ihm
ziemlich schwer fällt, nicht laut loszulachen.
Für Bertram ist die Sache jetzt klar. Er ist voll davon
überzeugt, dass die ausgesetzte Hündin wirklich für ihn bestimmt ist. Mit
großen Augen guckt er Christine an.
„Siehst du, der droße Hund ist wirdlich für mich.“
Bevor jemand reagieren kann, läuft er ins Kaminzimmer und
kuschelt sich an die Hündin.
Christine will ihm hinterher. Sie schaut kurz zu Olli, der
zuckt jedoch resigniert mit den Schultern und schüttelt den Kopf. Er gibt ihr
somit zu verstehen, dass sie dem Kleinen einfach diese Freude lassen soll.
Alle sehen nun wieder zu Richard. Er blickt immer noch
erwartungsvoll zu dem Weihnachtsmann hoch, der ziemlich verunsichert ist, weil
er nicht abschätzen kann, ob er zufällig noch jemanden glücklich gemacht hat,
obwohl er davon gar nichts weiß.
„Nun zu dir, Richard“, spricht er mit tiefer Stimme. „Dein
altes Klavier ist kaputt.“
Richard nickt.
„Und du spielst wirklich gern und versprichst mir auch,
immer fleißig zu üben, wenn ich dir ein neues mitgebracht habe?“
Wieder nickt Richard nur.
Der Weihnachtsmann reicht ihm eine Hand und fordert ihn auf:
„Dann komm mal mit.“
Richard klammert sich an Olli. Sie gehen gemeinsam zur Tür,
die Onkel Heinrich weit öffnet.
Draußen stehen zwei Männer in Wichtelkostümen, die sofort
ein Klavier hochheben und in die Scheune bringen. Schnell entfernen sie den
Schnee von dem wertvollen Musikinstrument.
Richard schlägt sich eine Hand vor den Mund und flüstert:
„Papa, schau mal. Das ist für mich.“
Der Weihnachtsmann nickt.
„Ja. Und wenn ich nächstes Jahr komme, möchte ich von dir
ein schönes Weihnachtslied hören.“
Richard strahlt und bedankt sich mit einer Verbeugung.
Christine ist der Überzeugung, dass Olli mit Absicht von
dieser tollen Überraschung nichts verraten hat. Liebevoll schaut sie ihn an. Er
schüttelt jedoch den Kopf und verzieht sein Gesicht, sodass sie nicht so recht
weiß, was sie davon halten soll.
Onkel Heinrich zeigt den Wichteln, dass sie das Klavier
neben dem Kamin abstellen sollen. Richard läuft aufgeregt hinter ihnen her.
Kaum steht das Instrument an seinem Platz, hebt er den Deckel an und drückt
zaghaft auf eine Taste, denn er kann gar nicht glauben, dass sein größter
Weihnachtswunsch wirklich in Erfüllung gegangen ist.
Oma Hedwig fragt Christine: „Warum habt ihr uns das nicht
vorher gesagt?“
„Wir wissen scheinbar alle nicht, wo es herkommt“, antwortet
Christine und fügt leise hinzu, „man könnte fast glauben, den Weihnachtsmann
gibt es wirklich. Erst der große Hund und dann noch das neue Klavier.“
„Und die größte Überraschung ist, dass es diese Nacht sogar
noch mehr Hunde geben wird“, sagt Oma Hedwig lächelnd. Christine sieht ihre
Mutter erstaunt an, sodass diese ergänzt: „Das kannst du mir ruhig glauben. Es
ist bald so weit.“
„Auch das noch“, sagt Christine und lacht nun ebenfalls.
„Wenn ich vorher gewusst hätte, was für ein tolles Weihnachtsfest das wird,
hätte ich mir nicht so viele Gedanken machen müssen.“
Auszug aus dem Buch „Ein HauchZufriedenheit“ von Heidi Dahlsen
Kurzvita: Heidi Dahlsen ist
verheiratet, hat zwei Kinder und eine Enkelin. Sie schreibt nicht einfach nur
Bücher, sondern füllt diese mit Lebensgeschichten. Für
sie ist das Schreiben eine Form des Verarbeitens ihrer Erlebnisse. Sie möchte
aufwecken und wachrütteln, die Menschen sensibilisieren und mit Vorurteilen
gegenüber psychischen Erkrankungen aufräumen. Sie wünscht sich, dass von diesen
Krankheiten betroffene Menschen von der Gesellschaft toleriert, akzeptiert und
vor allem in die Gesellschaft integriert werden. Bei allen in ihre Bücher
gepackten Emotionen, Informationen und Abrechnungen gelingt es ihr noch, den
Leser zu unterhalten.
Homepage: www.autorin-heidi-dahlsen.jimdo.com