Es schneite, als
er nach Hause lief. Die alte Frau Meyn von gegenüber quälte sich mit dem
Schneeschieber ab. Kurzerhand stellte er seine Tasche auf den Betonpfeiler
ihrer Gartenpforte, nahm ihr die Schaufel ab und schob den Schnee schnell
beiseite.
„Oh, vielen Dank,
warten Sie einen Augenblick", sagte die alte Dame und verschwand in ihrem
Haus.
Sigurd fegte den
Eingang und die Treppe. Dann streute er Sand.
„Eine Kleinigkeit
für Sie. Ich darf es doch wegen des Zuckers nicht essen", sagt Frau Meyn
und hielt ihm ein in Weihnachtspapier verpacktes Geschenk hin.
Sigurd wollte
ablehnen, aber als er in ihr strahlendes Gesicht blickte, brachte er es nicht
über sich. Er bedankte sich, schnappte seine Tasche und verschwand.
Kaum hatte er
seine Einkäufe verstaut, klingelte es. An der Tür stand Sascha mit einer großen
Tasche.
„Sigurd, du musst
uns retten. Unser Weihnachtsmann hat abgesagt."
„Und was hat das
mit mir zu tun?"
„Du hast doch
nichts vor und da dachten wir ..."
„Ich? Nee, schlag
es dir aus dem Kopf."
„Das geht nicht.
Merle und Joakim warten auf den Weihnachtsmann."
Sigurd schüttelte
den Kopf.
„Du bist uns einen
Gefallen schuldig. Schließlich hat Kathrin für dich eingekauft, als du den
Gipsfuß hattest."
Mit
zusammengebissenen Zähnen nahm Sigurd die Tasche und die Anweisungen entgegen.
Pünktlich um fünf
Uhr klopfte er als Weihnachtsmann verkleidet eine Treppe höher an die Tür.
Er knurrte seinen
Spruch und verteilte die Geschenke. Mehr konnte Sascha wirklich nicht
verlangen. Bevor er ging, zupfte Merle an seinem Ärmel, stellte sich auf
Zehenspitzen und küsste ihn auf seine Nase. Er drehte sich schnell weg, bevor
die anderen seine feuchten Augen sahen.
Daheim schaute er
ins Fernsehprogramm. Drei Tage nur Schnulzen. Warum hatte er nicht vorher
darauf geachtet? Ob die Videothek noch geöffnet war? Ein Spaziergang konnte
nicht schaden.
An der Straßenecke
überholte er Frau Bellmann, die ihren im Rollstuhl sitzenden Mann schob.
„Wo wollen Sie
denn hin?", fragte er.
„Zur Kirche",
antwortete Herr Bellmann.
„Das schaffen Sie
nie", rutschte Sigurd heraus.
„Aber mein Mann
wünschte sich den Gottesdienstbesuch so sehr", sagte Frau Bellmann und
kämpfte sich weiter.
Sigurd
unterdrückte einen Fluch. Brauchten denn heute alle Hilfe?
Grob schob er Frau
Bellmann zur Seite, nahm die Griffe und pflügte sich mit Herrn Bellmann durch
den Schnee. Frau Bellmann kam kaum hinterher.
Als Sigurd die
verschneite Rampe vor der Kirche sah, seufzte er und schob den Rollstuhl bis in
die Kirche.
„Sie hat der
Herrgott gesandt. Das hätte ich allein nie geschafft. Dass Sie auch genau
diesen Gottesdienst besuchen", sagte Frau Bellmann und lächelte ihn an.
Sigurd wischte
sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich. Wie sollten Bellmanns ohne ihn
nach Hause kommen?
Der Gottesdienst
missfiel ihm nicht völlig. Zwanzig Jahre war er in keiner Kirche mehr gewesen.
Aber es gab kein Gefasel vom Pastor, sondern eine junge Pastorin mit kurzen
Haaren sprach humorvoll vom Weihnachtsstress und eine jugendliche Band spielte
flotte Musik. Es herrschte eine fröhliche Stimmung, so ganz anders als zu
seiner Konfirmandenzeit.
An der
Kirchenpforte gab die Pastorin jedem die Hand.
„Vielen Dank, dass
Sie Bellmanns hergebracht haben. Besuchen Sie uns doch öfter", sagte sie,
dann drängten andere nach. Sigurd drehte sich noch einmal nach ihr um.
Vor ihrer Haustür
bedankte sich Frau Bellmann. „Bitte kommen Sie auf einen Schluck Wein zu uns
herein."
Sigurd nahm die
Einladung an und ärgerte sich gleich darauf über seine Gutmütigkeit.
Nach einem Glas
Grog nahm Herr Bellmann sein Schifferklavier und spielte Weihnachtslieder. Mit
dünner, zitternder Stimme sang Frau Bellmann dazu. Bei der zweiten Strophe
ertrug Sigurd es nicht mehr und fiel mit seinem Bass laut ein.
©Annette Paul 2014
Annette Paul schreibt und veröffentlicht seit vielen Jahren Kurzgeschichten und Kindertexte, gern etwas zum Schmunzeln. Von ihr sind folgende Weihnachtsbücher: "Der ganz normale Weihnachtswahnsinn", "Ratte Prinz im Weihnachtsbaum", "Weihnachtsmann im Weihnachtsstress" und "Weihnachtsmann hat noch mehr Stress".
Siehe auch die Autorenseite von Amazon.
Krisi Sz.-Pöhls ist 44 Jahre alt und lebt recht
zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.
Malen
gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die
Autodidaktin Künstlerin geworden.
Sie hat die Illustrationen zu „Der Bär mit der
Brille“, „Klein Henning und der
Delfin“, „Rattenprinzessin
Rapunzel“, „Ratte Prinz im
Weihnachtsbaum“ und „Hopser will helfen“ gemalt.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei www.zazzle.de/mbr/238764950947258943