Illustration Krisi Sz.-Pöhls
„Ich habe
zehn Umzugskartons besorgt“, sagte Patrick. „Das dürfte genau hinhauen.“ Er
lehnte fünf platte Kartons an die Wand im Flur, küsste Britta zur Begrüßung auf
die Lippen und ging die nächsten fünf holen.
Britta
begann, den ersten Karton aufzubauen. Sie bezweifelte, dass sie alle zehn brauchen
würden, da sie aus einem winzigen WG-Zimmer auszog? Andererseits war Patrick in
Alltagsdingen durchweg besser organisiert als sie. Er wusste, was man für ein
langes Wochenende einkaufen musste, wie viel Farbe man zum Streichen eines
Zimmers brauchte und wie man eine Reise plante, bei der selbst unliebsame
Überraschungen einen nicht ins Straucheln brachten. Er war ein wandelnder Plan
B.
Britta hingegen
neigte zum Chaos und zu spontanen Entscheidungen. Oft war sie heillos mit dem
Kuddelmuddel überfordert, das sie damit manchmal verursachte. Nur wenn es um
Weihnachten ging, wurde sie zum Planungsgenie. Jedes Jahr fing sie schon im
Januar an Geschenkideen zu notieren, wenn jemand in ihrer Familie oder ihrem
Freundeskreis in irgendeinem Zusammenhang leuchtende Augen bekam oder etwas
sagte in der Art von: „Das ist ja praktisch.“
Ihr
Entschluss, bei Patrick einzuziehen, war eine ihrer typischen Blitzaktionen, denn
sie kannte ihn erst seit drei Monaten. Doch da der Vorschlag von ihm gekommen
war, fühlte Britta sich auf der sicheren Seite. Er wusste schließlich, was er
tat. Sie hatte diesen tollen Mann bei einem Ed-Sheeran-Konzert kennengelernt.
Die Anziehungskraft zwischen ihnen war von Anfang an magisch gewesen.
Patrick brachte
die restlichen Kartons. „Unten kommen schwere Sachen rein, oben drauf dann Leichteres.
So lässt sich alles gut tragen.“
„Aye, aye Captain“,
sagte Britta und schmiegte sich an seine breite Brust. Er war so stark,
besonnen und solide. Zum ersten Mal konnte sie sich vorstellen, mit einem Mann
eine Familie zu gründen, Kinder großzuziehen, ein Haus zu bauen und mit ihm alt
zu werden.
Zwei Stunden
lang packten sie einvernehmlich und Britta staunte, was aus ihren Schränken und
Schubladen alles zum Vorschein kam. Patricks Augenmaß hatte sich als richtig
erwiesen. In die letzte Kiste wanderte der Kleinkram, der noch herumlag, sowie
die ganzen Rollen mit Geschenkpapier, die sie gebunkert hatte.
Patrick nahm
eine Rolle, drehte sie in den Händen und hob fragend die Augenbrauen. „Da sind ja
Schneemänner drauf.“ Er griff nach der nächsten. „Und hier Engel. Sieht aus wie
Weihnachtspapier. Wir haben doch erst August.“
„Ich kaufe das
Geschenkpapier immer im Vorrat kurz nach Weihnachten, weil es dann billiger ist.“
Er zählte
die Rollen. „Das dürfte reichen bis zu deiner Verrentung.“
„Oh nein,
das reicht gerade Mal für die nächste Bescherung. Ich habe eine große Familie
und einen riesigen Freundeskreis.“
Patrick stellte
die Rollen sorgfältig in den Karton. „Aber die beschenkst du doch nicht etwa
alle.“
„Wieso?“
„Weil …“ Er
zögerte. „Also, in meiner Familie schenken wir uns nichts.“
Britta war
entsetzt. „Wie – keine Weihnachtsgeschenke? Für niemanden? Das ist ja furchtbar!“
Patrick schüttelte
den Kopf. „Nein, es ist wunderbar. Wir verbringen ein völlig entspanntes
Weihnachten. Vorher kein Einkaufsstress, danach keine Rennerei, um Sachen umzutauschen.
Und kein Auspacken von Geschenken, bei denen man so tun muss, als würde man
sich über etwas freuen, das man nicht gebrauchen kann. Wir sparen uns den
ganzen Konsumterror.“
Britta
setzte sich aufs Bett und verschränkte die Arme. „Das hat bei uns überhaupt
nichts mit Konsum zu tun“, sagte sie aufgebracht. „Wir machen uns ehrlich
Gedanken, womit wir uns gegenseitig eine Freude machen können. Keine
Verlegenheitskäufe! Es wird auch nicht verglichen, ob jemand mehr oder weniger
für den anderen ausgegeben hat. Es geht nur um die Wertschätzung und Liebe, die
man dadurch ausdrückt.“ Sie hatte das Gefühl, sich gegen sämtliche Vorurteile verteidigen
zu müssen, die es zum Thema Weihnachten gab. „Es ist eine wundervolle
Tradition.“
„Hm.“ Patrick
klappte die Kiste zu und beschriftete sie. Dann setzte er sich neben Britta.
„Mag sein, aber wir haben nur mal eine andere Familientradition. Wir sitzen bei
einem festlichen Essen zusammen und reden. Nur die kleineren Kinder bekommen
etwas geschenkt.“
„Singt ihr
wenigstens Weihnachtslieder?“, erkundigte sich Britta.
„Eigentlich
nicht.“
„Und ihr
habt wohl auch keinen Baum“, vermutete sie.
„Nur ein
paar Kerzen auf dem Fenstersims.“
„Wie
erbärmlich.“ Hastig korrigierte sie sich: „Tut mir leid, das klingt so
abwertend. Ich meine, wie … hm … spartanisch?“
„Puristisch“,
schlug er vor. „Aber keine Sorge, wenn wir an Heiligabend deine Eltern
besuchen, singe ich natürlich alle Lieder mit. Nur beim Schenken möchte ich
gern außen vor gelassen werden.“
Britta
seufzte. Sie hatte schon so viele Ideen, womit sie ihm eine Freude machen
könnte. Und sie hatte selbst bereits unauffällig den einen oder anderen Wunsch
ausgesprochen, in der Annahme, dass er dafür genauso empfänglich war wie sie.
„Du willst also wirklich nichts haben?“
„Nein, wenn
ich etwas brauche, kaufe ich es mir selber. Dann muss ich auch nicht bis
Weihnachten warten.“
Das war so
logisch und kalkuliert wie alles, was er tat. Und völlig unromantisch. Mit
diesen Gegensätzen würden sie wohl leben müssen. „Okay, abgemacht.“ Sie stupste
ihn an die Nasenspitze. „Mein bestes Geschenk im letzten Jahr warst übrigens
du.“
„Hm.“ Er
runzelte in gespieltem Ernst die Stirn. „Also, also, wenn ich mit einer Schleife
um den Hals bei dir unterm Baum gesessen hätte, das wüsste ich.“
Sie fuhr
durch die weichen Haare in seinem Nacken. „Meine Mutter hat mir die Konzertkarten
geschenkt. Sonst wären wir uns nie begegnet.“
* * *
Heiligabend
fiel dieses Jahr auf einen Montag. Am Freitag flogen sie zu Brittas Eltern nach
Hamburg, um dort drei Tage zu verbringen, bevor sie am Dienstag wieder zurück
nach Berlin flogen, wo sie am zweiten Feiertag Patricks Eltern besuchen würden.
Patrick war
ein wenig mulmig zumute, denn er kannte Brittas Eltern noch nicht. Und nun
würde er nicht nur die beiden, sondern auch noch alle möglichen Tanten und
Cousinen und Großeltern gleichzeitig kennenlernen. So viel Familie auf einem
Haufen – und alle würden reichlich Geschenke anschleppen, während er mit leeren
Händen kam.
Doch die
Familie erwies sich als unkompliziert und bis auf einen griesgrämigen Onkel als
sehr umgänglich. Die beiden freundlichen Familienhunde Flocke und Samurai
adoptierten Patrick sofort und folgten ihm auf Schritt und Tritt.
Das Haus der
Eltern war üppig geschmückt – etwas überladen, aber doch geschmackvoll. Patrick
staunte, wie schnell er sich daran gewöhnte, dass es überall blinkte und
glitzerte, dass es nach Lebkuchen und Glühwein duftete und dass im Hintergrund
stets Weihnachtsmusik lief.
Als der
Abend der Bescherung kam, saß er mit einem Glas Punsch in einem gemütlichen
Lehnsessel, die kleine Flocke auf dem Schoß, Samurai zu seinen Füßen, und
schaute zu, wie die anderen vergnügt um den Baum herumliefen und ihre Geschenke
zusammensuchten. Andächtig wurden die liebevoll verpackten Gaben geöffnet.
Freudenjuchzer erfüllten den Raum. Es gab Umarmungen und Küsse – und Patrick
musste zugeben, dass Britta recht gehabt hatte. Das war keine Familie, die dem
Konsumterror huldigte. Niemand heuchelte Freude, alle waren ehrlich überrascht
und beglückt. Sogar der griesgrämige Onkel blühte auf.
Der jüngste
Spross der Familie, Brittas Neffe Tom, kam zu Patrick gerannt und wollte, dass
er ihm beim Aufbauen der Holzeisenbahn half, was er gerne machte.
Er war
gerade dabei, die Bahn unter Tschu-tschu-Geräuschen im Kreis fahren zu lassen,
als Britta sich zu ihnen setzte. Sie hatte flaches Päckchen in der Hand, etwa
so groß wie ein Taschenbuch. An die Schneemänner auf dem Geschenkpapier
erinnerte Patrick sich noch vom Umzug im Sommer. „Britta, du hast doch nicht
etwa …?“
„Keine
Sorge“, sagte sie. „Es ist genau das, was du dir gewünscht hast.“
Zögernd zog
er die Schleife auf und faltete das Papier auseinander. Eine schlichte
Pappschachtel kam zum Vorschein. Er hob den Deckel ab. Die Schachtel war leer.
„Du wolltest
nichts“, sagte sie. „Also bekommst du nichts. Nichts außer meiner Liebe und der
Gewissheit, dass ich deine Wünsche immer respektieren werde.“
Patrick
reichte die Schachtel den Hunden zum Spielen und nahm Britta in den Arm.
„Danke.“
„Es gefällt
dir also?“
„Nun ja,
wenn ich es recht bedenke, möchte ich es umtauschen.“ Er griff in seine
Jeanstasche. Als er die Hand wieder rauszog, hielt er zwischen Daumen und
Zeigefinger den Platinring mit den fünf winzigen Diamanten, den Britta neulich
so lange im Schaufester angestarrt hatte. „Und zwar gegen ein Ja.“
Sie warf
sich auf ihn und küsste ihn wie wild. „Ja, ja, ja“, kreischte sie.
„Tschuuuu,
alle einsteigen!“, rief der kleine Tom, der keine Ahnung hatte, dass er Zeuge
eines Heiratsantrags geworden war.
©Christine Spindler
Im Leben von Christine Spindler dreht sich fast alles um
Bücher. Sie schreibt Krimis, Liebesromane, Kinder- und Jugendbücher, mal unter
ihrem eigenen Namen, mal unter einem ihrer Pseudonyme: Julianne Sands, Tina
Zang und Kris B. Außerdem arbeitet sie als Literaturübersetzerin und hat seit
Mai 2014 einen eigenen Verlag, den sie nach ihrer Glückszahl benannt hat:
"Twenty-six Books", kurz „26|books“.
Homepage: www.christinespindler.de
Krisi Sz.-Pöhls
ist 44 Jahre alt und lebt recht
zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.
Malen
gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die
Autodidaktin Künstlerin geworden.
Sie hat die Illustrationen zu „Der Bär mit der
Brille“, „Klein Henning und der
Delfin“, „Rattenprinzessin
Rapunzel“, „Ratte Prinz im
Weihnachtsbaum“ und „Hopser will helfen“ gemalt.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei www.zazzle.de/mbr/238764950947258943
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Eine Sammlung weihnachtlicher Kurzgeschichten und Leseproben aus E-Books und gedruckten Büchern verschiedener Autoren
Freitag, 19. Dezember 2014
Deine Wünsche, meine Wünsche Weihnachtskurzgeschichte von Christine Spindler
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