Bild von Eva Joachimsen |
Das Foyer des Luisas
Place war in Licht gebadet. Mehrere Lüster strahlten von der Decke. Auf den
Tischen der Sitzgruppe leuchteten kleine Lampen. In einer Ecke, in der Nähe des
Fensters, stand noch immer der üppig mit Lichterketten, Lametta und Kugeln
behängte Tannenbaum, obwohl Weihnachten seit einer Woche vorbei war. Alles
wirkte überladen und irgendwie protzig auf Desiree. Außerdem fand sie, dass
Weihnachtsdekoration nach den Feiertagen weggeräumt werden sollte. Besonders in
einem Hotel.
Silvestergirlanden, bunte
Knallbonbons und Konfetti passten viel besser zu diesem Tag. Wenn auch nicht zu
ihrem.
Normalerweise verbrachte sie
Silvester mit Olaf. Mal luden sie Freunde zu sich ein oder wurden eingeladen,
Mal gingen sie in Anzug und Glitzerkleid auf eine grelle Silvesterparty. In
diesem Jahr war alles anders.
Olaf war enttäuscht
gewesen, dass er diesen Jahreswechsel ohne sie verbringen sollte. Den ersten,
seit sie vor fünf Jahren zusammengekommen waren. Als sie ihm den Grund
erklärte, hatte er ihre Oberarme ergriffen und sie angeschaut.
„Das bringt doch nichts.“
„Ich muss es wenigstens versuchen.“
Olaf hatte sie
losgelassen und sich kopfschüttelnd weggedreht. Sie konnte es ihm nicht
verdenken. Dies war der Xte-Versuch und sie hoffte, es würde auch der letzte
sein.
Jemand stieß Desiree an
und entschuldigte sich sofort. Dann hastete er weiter zum Aufzug. Kofferrollen
rappelten auf dem Boden, Kinder lärmten, Gelächter und Stimmengewirr.
Wie auf dem Bahnhof,
dachte sie und fand es unfassbar, wie viele Menschen Weihnachten und Silvester
in Hotels verbrachten. Die Rezeptionistin lächelte das immer gleiche,
einstudierte Lächeln „Schönen Aufenthalt, gutes neues Jahr, Wenn Sie etwas
wünschen.“
Bloß weg hier.
Desiree fuhr hinauf in
den dritten Stock und öffnete das Zimmer 326.
In der Tür blieb sie
stehen. Ob sie etwas spüren würde?
Ach, spinn nicht rum,
murmelte sie. Dennoch trat sie vorsichtig ein. Fast ein wenig enttäuscht,
stellte sie fest, dass sie gar nichts spürte. Nicht einmal Melancholie.
Sie warf ihre Reisetasche
auf eine Seite des Doppelbettes. Das Zimmer war nicht besonders groß. Rechts
neben dem Fenster standen ein kleiner Tisch und ein Sessel. Daneben ein
Sideboard mit Fernseher. Im Eingangsbereich, gegenüber der Badezimmertür bot
ein schmaler Schrank nur wenig Platz für üppige Garderobe.
Selbst das hier war
teurer als sie es sich eigentlich leisten konnte. Desiree zog die Gardine zur
Seite. Das Fenster ließ sich nicht öffnen. Mist, in diesen klimatisierten Räumen
bekam sie Kopfschmerzen.
Sie nahm den Kulturbeutel
aus der Reisetasche und stellte ihn in
das winzige, perfekt saubere Bad. Den Schlafanzug legte sie aufs Bett. Dann
holte sie noch jeweils eine Flasche Wasser und Pinot Grigio heraus. Getränke
waren in einem Hotel viel zu teuer. Besonders in so einem Luxusding. Die
restliche Kleidung auszupacken lohnte sich nicht. Sie blieb ja nur eine Nacht.
Es war halb neun Uhr.
Desiree wählte die Nummer
des Zimmerservice und bestellte sich Pasta mit Lachs und Spinat und eine Creme Brulee. Dann griff sie nochmal in die
Reisetasche und holte das gerahmte Foto einer jungen Frau heraus. Sie schaute
es einen Moment lang mit wehmütigem Blick an, bevor sie es auf den Tisch
stellte.
„So, Lissy“, sagte sie
mit fester Stimme, obwohl der Kloß in ihrem Hals immer größer wurde. „Es ist an der Zeit, dich loszulassen.“
Eine halbe Stunde später,
Desiree hatte sich gerade bequeme Kleidung angezogen, brachte der Zimmerkellner
das Essen auf einem Servierwagen. Die Nudeln unter einer silbernen Haube. Sie
gab ihm ein kleines Trinkgeld.
Den Teller in der Hand setzte
sie sich mit angezogenen Beinen auf den kleinen Sessel. Ihr Blick fiel auf den
dunklen Fernsehbildschirm. Wie einfach es doch wäre, mit Dinner for One, Ekel
Alfred und irgendeiner Komödie der Auseinandersetzung mit sich selbst auszuweichen.
„Jetzt reiß dich mal
zusammen“, sagte sie laut.
Trotz der gedrückten
Stimmung, die ihr Inneres vollständig ausfüllte, schmeckten ihr die Nudeln köstlich.
Die Creme Brulee hob sie sich für später auf. Desiree schüttete sich ein Glas
Wein ein und nippte daran. Pinot Grigio, das war ihrer beider Lieblingswein
gewesen. Wie oft hatten sie in Ninos Trattoria gesessen, Pasta gegessen und
eben diesen Wein getrunken.
Sie prostete dem Foto zu.
„Lissy, du fehlst mir
immer noch so.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie ließ sie laufen und
schluchzte leise vor sich hin. Lissy und sie hatten sich zehn Jahre zuvor
kennengelernt. Sie die eher ernsthafte Angestellte einer Krankenkasse und
Lissy, die immer unternehmungslustige Anwältin.
Sie hatte Lissy immer
bewundert, weil sie so mutig war und alles ausprobierte. Ob es ein Tandemsprung
mit dem Fallschirm, Tauchen oder eine Fahrt auf einem Motorschlitten war. Lissy
entdeckte ständig etwas Neues und Spannendes. So wie einen schwarzen Porsche,
mit dem sie nur so aus Spaß über die Autobahnen raste.
Desiree nahm einen weiteren
Schluck Wein und ließ ihn einen Moment im Mund hin und her gleiten, bevor sie
ihn herunterschluckte.
Sie hatten so viel Spaß
gehabt. Auch wenn Desiree nicht die Hälfte von Lissys Eskapaden mitgemacht
hatte.
„Das Leben ist so kurz“,
hatte Lissy immer lachend gesagt. Und wie recht sie damit hatte.
„Aber ein wenig bist du
selbst schuld daran “, sagte Desiree zu dem Foto. Sie schluckte schwer. „Wieso
musstest du aber auch alles ausprobieren?“
Desiree sprang auf und
ging zum Fenster. Die ersten Böller knallten durch die Nacht. Dass manche Leute
nie bis Mitternacht warten konnten.
„Guten Abend, Resi.“
Desiree erstarrte. Es gab
nur einen Menschen, der sie je so genannt hatte. Und dieser Mensch war seit
drei Jahren tot.
Sie drehte sich langsam
um.
Lissy lag seitlich auf
dem Bett, auf den linken Unterarm gestützt und die Beine angewinkelt. Ihr blondes
Haar kringelte sich auf ihren Schultern. Sie trug ihren geliebten rosafarbenen
Kaschmirpullover und die Röhrenjeans. Sie lächelte. So wie immer.
„Lissy! Wieso? Woher?“, stotterte Desiree.
„Ich habe gehofft, dass
du irgendwann kommst“, sagte Lissy.
Desiree drehte sich
wieder zum Fenster.
„Ich halluziniere“,
flüsterte sie und kniff sich in den Arm. „Der Wein.“ Mit zitternden Fingern
nestelte sie an der Hosentasche, um das Handy herauszuholen.
„Tut mir leid, Resi. Ich
wollte dich nicht erschrecken.“
Desiree zuckte zusammen
und stieß einen kleinen Schrei aus, als Lissy plötzlich neben ihr stand. Das
Handy fiel ihr aus der Hand. Lissy legte einen Arm um ihre Schulter. Der
vertraute Duft ihres Parfüms stieg ihr in die Nase.
„Es ist alles in Ordnung“,
sagte Lissy.
Desiree drehte sich
vorsichtig zur Seite und blickte geradewegs in Lissys grüne Augen.
Sie schlang die Arme um
ihren Hals und drückte sie so fest sie konnte.
„Mein Gott, Lissy. Du
lebst. Du lebst.“
„Nein. Ich bin tot.“
Desiree ließ sie ruckartig
los.
„Aber..., ich kann dich
doch... anfassen.“
Lissy zuckte mit den
Schultern.
„Was bist du dann? Ein
Geist?“ Desiree fühlte ihren Herzschlag bis in den Kopf. Das Atmen fiel ihr
schwer.
„Keine Ahnung. Ich rassel
jedenfalls nicht mit Ketten.“ Sie lachte.
„Was machst du hier?“
„Es gibt etwas Ungesagtes
zwischen uns. Deswegen habe ich hier auf dich gewartet.“
„Ach, Lissy. Es war alles
gesagt. Dass es Grenzen gibt. Aber nein, du musstest dieses Zeug ja unbedingt
nehmen. Erinnere dich, wie oft ich dich davor gewarnt habe. Und dass du mit
etwas spielst, was du nicht überblickst.“
Lissy lächelte müde.
„Du hast es falsch
verstanden. Es war kein Unfall. Das wollte ich dir sagen.“
Desiree starrte sie an.
Die Frage „Was meinst du damit“, lag ihr auf der Zunge. Sie wollte sie nicht
stellen, weil sie die Antwort nicht hören wollte.
„Hast du gehört? Resi,
ich...“
„Nein, nein! Ich will das
nicht wissen.“ Sie hielt sich die Hände auf die Ohren.
„Resi, bitte. Ich habe
mich umgebracht. Und ich will, dass du die Wahrheit weißt.“
„Verdammt! Ich bin heute
hier, weil ich abschließen will mit deinem Tod. Hier in dem Zimmer, in dem du
gestorben bist in der Silvesternacht vor drei Jahren.“
„Ja eben. Wenn schon,
sollst du mit der Wahrheit abschließen. Ich war nicht die tolle, erfolgreiche
Frau, für die du mich gehalten hast. Alles äußerlich. Menschen wie ich, die
ständig ihre Grenzen ausreizen, enden
nicht normal.“
Desiree blickte sie
ungläubig an. Was erzählte sie da? Sie hatte ihre Freundin doch in und
auswendig gekannt.
„Unsinn! Du hattest doch
alles. Die schicke Wohnung ...“
„Mit den Raten im
Rückstand.“
„...tolle Männer.“
„Ach, alles nur Sex,
keine Liebe.“
„...der Job.“
„Ich bekam nur noch die
einfachen Fälle, weil ich einige verbockt hatte. Am Ende stand ich kurz vor der
Kündigung.“
Desiree zog die
Augenbrauen hoch.
„Aber du hast doch immer
gesagt...“
Lissy winkte ab.
„Klar, den Schein wahren.
Darum ging es. Ich hatte schon einiges durch. Aufputschmittel, um das Studium
zu schaffen. Später auch Koks und Ekstasy. Da ist man nicht mehr so bei der
Sache.“
Lissy hatte sich wieder
auf das Bett gesetzt. Desiree wanderte im Zimmer auf und ab
und kaute auf ihrer
Unterlippe. Wut stieg in ihr auf, die sie gar nicht fühlen wollte, geschweige
aussprechen. Doch wie von selbst kamen die Worte aus ihrem Mund.
„Weißt du, was mich richtig
wütend macht? Was mich am meisten verletzt? Dass du mir ...“ Während sie
weitersprach, tippte sie mit dem Zeigefinger auf ihre Brust, „...mir die ganze
Zeit etwas vorgespielt hast. Als wäre ich einer deiner Junkiekumpane, auf die
du dich nicht verlassen kann. “
Lissy nickte.
„Ich verstehe dich. Aber
ich wollte sogar vor mir selbst dieses Bild der vom Glück verwöhnten Frau
aufrecht erhalten.“
„Und warum hast du es dann nicht dabei
belassen?“
„Wenn man tot ist, sieht
man manches anders.“
Desiree stieß einen
abschätzigen Ton aus.
„Du willst also, dass ich
dich als drogenabhängige Versagerin in Erinnerung behalte, oder wie?
„Ja, weil es die Wahrheit
ist. Und da du meine beste Freundin warst, hoffe ich darauf, dass du mir
verzeihst und mich trotzdem in lieber Erinnerung behältst. Vielleicht gerade
wegen meiner Schwächen.“
Wortlos ging Desiree ins
Badezimmer und holte einen Zahnputzbecher. Den füllte sie bis zum Rand mit Wein
und reichte ihn Lissy. Mit ihrem Glas und der Flasche setzte sie sich zu ihr
aufs Bett.
„Prost, Lissy“, sagte sie.
Draußen stiegen zischend die ersten Raketen in die Luft, Böller und Knaller
hallten durch die Straße. Desiree ging zum Fenster und schaute hinaus.
"Ein schönes neues
Jahr", sagte sie leise
„Ich muss jetzt gehen,
Resi. So wie vor drei Jahren.“
Desiree drehte sich um.
Das Zimmer war leer.
„Wirklich verziehen habe
ich dir nicht. Aber das werde ich noch.“ Sie leerte ihr Glas in einem Zug.
©Marion Pletzer
Marion Pletzer, Autorin von Kurzgeschichten und Romanen.
©Marion Pletzer
Marion Pletzer, Autorin von Kurzgeschichten und Romanen.
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www.marionpletzer.de