Foto von Eva Joachimsen |
Es klingelte. Dani stürzte zur Tür. Vor lauter
Eifer stolperte er und schlug mit dem Kopf gegen den Schrank. Weinend blieb er
liegen. Miriam erreichte ihn als erste und hob ihn hoch. Um ihn zu trösten, pustete
sie kräftig auf seine Stirn. Als es erneut an der Tür klingelte, vergaß er die
Schmerzen, sprang von ihrem Schoß und hüpfte zur Tür.
„Der Weihnachtsmann, der Weihnachtsmann“, sang
er.
Doch nachdem er die Tür aufgerissen hatte und
direkt vor dem großen Mann im roten Umhang und dem langen, weißen Bart stand,
verkroch er sich lieber hinter dem Rücken seiner großen Halbschwester.
„Kommen Sie bitte herein“, forderte Miriam ihn
auf.
Ihre Mutter stand in der Wohnzimmertür und
nickte dem jungen Mann, den sie angeheuert hatte, aufmunternd zu.
„Guten Abend, hier soll Daniel wohnen“,
dröhnte der Mann im tiefsten Bass, nur beim Wort wohnen verrutschte die Stimme
etwas.
Miriam unterdrückte ein Lachen. Sie gluckste
etwas. Und als sie dem Weihnachtsmann in die Augen sah, war es um ihre und
seine Beherrschung geschehen. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und stürzte
ins Badezimmer.
Dani stand jetzt ohne Deckung da und verzog
sein Gesicht, während der Weihnachtsmann um Fassung rang und nicht sprechen
konnte. Er hob seinen Sack vom Rücken und nestelte daran herum.
Mutter schlängelte sich am Weihnachtsmann
vorbei zu Dani und nahm ihn an die Hand, bevor er zu weinen anfing.
„Gehen Sie schon einmal voraus“, bat sie den
Weihnachtsmann.
Dani folgte nur zögernd mit etwas größerem
Abstand ins Wohnzimmer. Der Weihnachtsmann nickte Vater zu und stellte sich
dann vor dem großen, mit roten Schleifen, roten Glaskugeln und roten Kerzen
geschmückten Weihnachtsbaum.
Miriam hatte sich inzwischen erholt und
erschien in der Wohnzimmertür. Vorsichtshalber blieb sie dort stehen und
versuchte, den Blickkontakt zu vermeiden.
„Kennst du denn ein Gedicht?“, fragte der Weihnachtsmann.
Statt einer Antwort schob Dani den Daumen in
den Mund. Mutter zog ihn heraus. „Du konntest es doch so gut.“
„Lieber guter Weihnachtsmann“, flüsterte
Miriam.
Dani drehte sich um und schaute sie an.
„Du sollst es aufsagen“, forderte Miriam ihn
auf.
Aber statt das Gedicht aufzusagen, flüchtete Dani
in ihre Arme. Sie stand schließlich viel weiter vom Weihnachtsmann entfernt als
seine Mutter.
Miriam legte ihm die Hände auf die Schultern
und sagte mit ihm gemeinsam das Gedicht auf. Dabei schwankte ihre Stimme
gefährlich und Dani sprach so leise, dass er kaum zu hören war.
Der Weihnachtsmann verkroch sich immer tiefer
in seinen Umhang, auf seiner Nase glänzte Schweiß.
„Warst du auch immer artig?“, fragte er den Kleinen.
Dani nickte eifrig.
„Dann habe ich etwas für dich.“ Der
Weihnachtsmann tauchte tief in seinen Sack hinein und zog ein Päckchen für
Dani heraus.
Doch Dani rührte sich nicht von der Stelle.
Hilflos stand der Weihnachtsmann mit dem Päckchen da und schaute sich suchend
um.
Mutter und Stiefvater rührten sich nicht. Auf Mutters
Stirn hatte sich wieder einmal diese tiefe Falte gebildet. Armer Dani. Miriam schaute
unschlüssig von einem zum anderen. Schließlich erbarmte sie sich und nahm dem Weihnachtsmann
das Geschenk ab.
„Wollen wir es gemeinsam auspacken?“, fragte
sie Dani. Aber erst als sie das Geschenkband entfernt und den Klebestreifen an
den Seiten gelöst hatte, riss Dani ihr das Päckchen aus der Hand und zerfetzte
das Papier. Eine Packung Bausteine kam zum Vorschein.
Danach bekam Dani noch zwei weitere Päckchen,
die der Weihnachtsmann sicherheitshalber auf den Couchtisch legte. Und auch
Miriam erhielt zwei Geschenke, ebenso ihre Eltern.
Inzwischen fing der Bart an zu rutschen und
die Nase glänzte immer stärker.
„Möchten Sie etwas trinken?“, fragte Miriam.
„Sie haben so einen weiten Weg vor sich.“
„Es geht“, sagte er und erntet einen
strafenden Blick von Mutter.
„Bei den meisten Kindern war ich schon“,
verbesserte er sich schnell.
„Und die Kinder in Afrika?“, fragte Dani.
„Da ist eine andere Uhrzeit, da war ich
schon“, erfand der Weihnachtsmann. „Hier in Neustadt bin ich immer erst zum
Schluss.“
Miriam wartete seine Antwort nicht ab, sondern
holte eine Flasche Bier aus der Küche und schenkte ihm ein Glas ein.
„Wenn Sie fast Feierabend haben, dürfen Sie
sicher ein Bier trinken.“
Ihre Mutter sah sie strafend an. Aber Miriam
kümmerte sich nicht darum. Sie fand den Weihnachtsmann einfach süß. „Alkohol im
Renntiergespann ist doch sicher erlaubt.“ Ihre Augen funkelten mutwillig.
„Die Tiere finden den Heimweg alleine und so
viel Verkehr gibt es bei uns in Lappland nicht.“
„Gibt es bei euch Autos?“, fragte Dani und schaute
von seinem Bauwerk hoch.
„Nein, nur ein paar Renntier- und
Eselgespanne, die die Wichtel lenken“, erfand der Weihnachtsmann. Er nahm das
Glas dankend aus Miriams Hand und versuchte zu trinken. Dabei tauchte der Bart
in das Glas und löste sich noch mehr ab.
„Sie sollten es lieber lassen“, sagte Mutter
scharf und reichte ihm die Hand. „Frohe Weihnachten und eine gute Heimreise“,
wünschte sie.
Der Weihnachtsmann verabschiedete sich.
„Ich begleite Sie hinaus“, bot Miriam an. Sie
schnappte sich den Wohnungsschlüssel, was den anderen gar nicht auffiel, da sie
mit Dani und seinem Bauwerk beschäftigt waren und zog die Wohnungstür hinter
sich zu.
„Kann ich dich wiedersehen? Wie heißt du?“,
fragte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm.
„Florian. Hast du am 27. Zeit? Dann könnten
wir in die Disko gehen.“ Er zog seinen Bart herunter und beugte sich über sie.
Sie bemerkten nicht, wie die Tür aufging.
„Miriam, kommt du? Aber Miriam!“, hörte sie
die schrille Stimme ihrer Mutter.
© Eva Joachimsen
Eva Joachimsen liebt lesen, schreiben und
tanzen. Seit vielen Jahren veröffentlicht sie Kurzgeschichten in Zeitschriften.
Mehr von ihr erfährt man auf ihrem Blog.
Ein Überblick
über ihre Bücher gibt es hier.