Christa, das Christusmädchen
Lena und
Marie saßen auf dem Sofa und starrten Löcher in die Luft. Eigentlich war alles
perfekt. Das Zimmer war geschmückt mit Tannenzweigen und Kerzen. Auf dem Tisch
stand der Teller mit Zimtgebäck und Vanillekipferl. Eine bunte Lichterkette
blinkte im Fenster. Der Weihnachtsbaum strahlte festlich und trug einen
goldenen Stern auf seiner Spitze. Es duftete nach Lebkuchen und Sandelholz. Und
doch gab es ein Problem.
„Fällt
Weihnachten jetzt aus?“, fragte Lena mit einem Gurgeln in der Stimme. „Ohne
Papa und Mama können wir doch nicht richtig fröhlich sein.“ Sie zupfte traurig
an ihren blonden Locken herum.
„Quatsch,
auf keinen Fall“, tröstete Marie ihre kleine Schwester, „außerdem sind Oma und
Opa gleich da. Mit den beiden kann man schon prima feiern.“
Nun liefen
die Tränen über Lenas Gesicht. Weihnachten ohne Mama und Papa konnte sie sich
nicht vorstellen, obwohl sie Oma und Opa natürlich auch sehr gerne hatte.
„Nicht
weinen, Lenchen“, Marie nahm ihre kleine Schwester in den Arm, „vielleicht ist
das Baby ja schon in der nächsten Stunde auf der Welt. Mama und Papa kommen
dann auch bald nach Hause.“
Da
ertönte Omas fröhliche Stimme im Flur. Die Mädchen sprangen auf und rannten zu
ihr. Opa war noch im Treppenhaus. Er musste zwei große Taschen tragen, die er
zwischendurch absetzte, um zu verschnaufen. Doch wenige Augenblicke später war
auch er in der Wohnung. Die beiden sahen sofort, dass Lena ganz verweinte Augen
hatte, und Marie erzählte von der Angst, dass der Weihnachtsabend ausfallen
könnte.
„Weihnachten
ausfallen“, lachte die Oma, „niemals Kinder. Jetzt sind wir bei euch. Eure
Eltern kommen so schnell wie möglich mit einem Geschwisterchen zurück.“
Lena
beruhigte sich schnell, denn sie fühlte sich bei Oma und Opa geborgen und nicht
mehr so einsam. Marie lief ins Wohnzimmer und suchte eine CD mit
Weihnachtsmusik. Während nun ganz laut Omas Lieblingslied ‚Lasst uns froh und
munter sein‘ ertönte, ging sie in die Küche und begann damit, ein herrliches
Weihnachtsessen zu brutzeln. Opa bestaunte den Weihnachtsbaum.
„Die
Kugeln da unten habe ich dran gehängt“, erzählte Lena ihm stolz und zeigte auf
Goldkugeln, die eindeutig Schokoladenflecken hatten. Nun waren die beiden
Mädchen doch zufrieden, dass sie einen so wichtigen Abend nicht allein
verbringen mussten.
„Das ist
aber auch so eine Sache mit den Babys. Man weiß nie genau, wann sie auf die
Welt kommen“, sagte der Opa. Er blickte zur Uhr, die an der Wand neben der Tür
hing. „Auf eure Mama haben wir damals sehr lange gewartet. So hatte ich
wenigstens genug Zeit, um von der Arbeit schnell ins Krankenhaus zu
fahren.“
Oma und
Marie kamen ins Zimmer und trugen das Geschirr für das Weihnachtsessen herein.
Lena lief sofort zu ihnen und begann dabei zu helfen, Servietten und Besteck
auf dem Tisch zu verteilen.
„Hör mal
Lena, jetzt spielt dein Lieblingslied“, freute sich Marie. Alle lauschten
aufmerksam und begannen dann mitzusingen. ‚Ihr Kinderlein kommet‘ schallte es
laut, während im Flur das Telefon klingelte. Maria und Josef hatten ihrem Baby
ein Bett aus Heu und aus Stroh gebaut, und Marie fragte sich, ob das nicht
furchtbar gepikst hat. Jetzt hörten sie das Telefon. Marie war die Schnellste
und hob den Hörer ab.
„Marie
Menge, hallo!“, schrie sie. „Papa, Papa! Alles supi bei euch? Cool! Und wann?
Toll! Ja, mach‘ ich! Bis gleich!“
Oma
drängelte, weil sie auch an den Hörer wollte, aber ehe sie sich versah, hatte
Marie aufgelegt.
„Sie
kommen nach Hause!“, juchzte sie.
„So
schnell?“ Opa war sichtlich erstaunt. „Was für eine Zeit! Alles muss heute schnell gehen. Selbst die Babys
kommen wie im Schnelldurchlauf.“
Nun
wollten Oma, Opa und Lena natürlich wissen, was der Vater alles erzählt hatte.
Marie konnte aber gar nicht so viel erzählen, denn das Telefonat hatte doch nur
ein paar Minuten gedauert.
„Papa
war ja ganz aufgeregt“, sagte Marie wie zu ihrer Entschuldigung, „da hat er
nicht viel gesagt.“
„Warum
hast du nicht mehr gefragt?“, nörgelte Lena, „Wie geht es Mama? Bringen sie das
Baby mit?“
„Natürlich,
Liebes“, mischte sich jetzt die Oma ein, „natürlich bringen sie das Baby mit!
Was ist es denn eigentlich? Ein Junge oder ein Mädchen?“
„Was für
eine Frage? War das wichtig?“, dachte sich Marie, doch dann sah sie verlegen
auf den Boden.
„Ich
hab‘ vergessen, danach zu fragen“,
flüsterte sie.
„Was!“,
kreischte Lena. „Du weißt nicht, ob wir einen Bruder oder eine Schwester
haben?“
„Ist
doch egal“, antwortete Marie und schob Lena beiseite, um ins Wohnzimmer
zurückzugehen. Dort trällerte gerade ein Kinderchor ‚Oh du fröhliche‘, und
Marie sang einfach mit, damit sie keine weiteren Fragen beantworten musste.
„Egal“,
wiederholte Lena fassungslos. Sie war ganz anderer Meinung. Was sollte
wichtiger sein, als zu erfahren, ob sie demnächst ihre Puppen gegen eine neue
Schwester verteidigen musste. Zum Glück war Marie schon so groß, dass sie vor
einiger Zeit aufgehört hatte, mit Puppen zu spielen. Eine neue Schwester könnte
da doch wieder Ärger und Aufregung bedeuten. Ein Bruder würde Lena besser
gefallen.
„Wir
werden es früh genug erfahren“, schmunzelte die Oma, die sich schon denken
konnte, welche Bedenken Lena hatte. „Ich schlage vor, wir warten mit dem
Weihnachtsbraten noch etwas.“
Mit der
Zeit war das schon eine komische Sache. Manchmal, wenn man etwas Schönes
machte, dann verging sie wie im Flug.
Wartete man aber auf etwas, dann krabbelte der Zeiger der Uhr im
Zeitlupentempo. Lena wurde langweilig, und immer nur Lieder singen, machte auch
keinen Spaß.
„Ich
werde eine Krippe für meinen kleinen Bruder bauen“, sagte sie plötzlich, sprang
auf und lief in ihr Zimmer.
„Na, das
kann ja lustig werden“, prustete der Opa, „vielleicht haben wir ja gleich einen
Esel und eine Kuh im Zimmer stehen!“
Oma und
Marie sahen sich mit großen Augen fragend an. Dann wurden sie doch neugierig
darauf, was sich die kleine Lena diesmal einfallen ließ. Die wirbelte nämlich
mit ihren blonden Locken voller Eifer durch die Wohnung und platzierte zunächst
ihren Puppenwagen vor den Weihnachtsbaum. Gleich darauf rumpelte es im Flur,
und schon wurde ein hölzernes Schaukelpferd ins Zimmer geschoben. Das Tier war
so groß, dass es Lena doch Mühe bereitete, es zu transportieren.
„Einen
Esel habe ich nicht! Geht auch ein Pferd?“, fragend blickte sie ihre Großeltern
an. Beide nickten.
„Klar“,
sagte Marie, „das Christuskind ist ja noch ein Baby. Das weiß doch noch nicht,
was ein Esel und was ein Pferd ist.“
„Du
denkst wohl, das Christuskind kennt keinen Esel“, rief Lena empört, „aber da
irrst du dich. Der kleine Christus mag alle Tiere, darum darf da auch ein Pferd
stehen, wenn grad kein Esel da ist.“
„Nun ist
aber genug“, unterbrach die Oma, „wir wollen doch fröhliche Weihnachten feiern,
wenn das Baby kommt. Bau du nur weiter an deiner Krippe, und Marie würdest du
mir in der Küche helfen?“
„Na
gut“, nörgelte Marie, „aber ich bin gespannt, wie du guckst, wenn dein
Christuskind gar kein Junge ist.“ Dann verschwand sie mit der Oma im Flur. Lena
und Opa saßen vor dem Weihnachtsbaum und sahen sich die Krippe an.
„Weißt
du, Lena, da fehlen aber nicht nur einige Tiere im Stall, sondern auch die
Heiligen Drei Könige.“ Der Opa schnaufte und zupfte sich nachdenklich am Ohr.
„Ich
hol‘ noch schnell meine Lieblingspuppen“, rief Lena, „dann ist das schon alles
in Ordnung!“
Zum
Schluss setzte das Mädchen noch ihren Stoffhund, stellvertretend für die Kuh,
neben das Pferd, und fertig war das Krippenspiel.
Es
klingelte, und Oma, Opa, Lena und Marie rannten zur Tür. Jeder wollte der Erste
sein, der das Baby begrüßte.
„Hallo,
da sind wir wieder“, begrüßte der Vater seine Familie, doch schnell merkte er,
dass sich alles nur um das weiße Bündel drehte, das die Mutter im Arm hielt.
Lena stürmte zu ihrer Mutter und zog sie zu sich herunter.
„Mama, Mama“,
freute sie sich und konnte einen kurzen Blick auf das Christuskind erhaschen,
„komm schnell, ich habe etwas gebaut.“
Alle
schmunzelten. Oma umarmte Marie, und Opa und Papa sahen zur Krippe hinüber.
„Sieh
nur, da kann das Baby Weihnachten mit uns feiern.“ Lena zeigte auf ihren
Puppenwagen vor dem ein Schaukelpferd stand. Mama nahm etwas winzig Kleines aus
einer weißen Decke und legte es dort hinein. Sofort kam nun auch Marie und
wollte sich das Baby ansehen. Oma und Opa wollten auch gucken.
„Das ist
wirklich ein wunderschönes Christkind“, flüsterte Oma, „wie soll es denn
heißen?“
„Aber
Oma“, mischte sich Lena vorwurfsvoll ein, „es muss doch Christus heißen.“
„Tja
weißt du, kleine Lena“, Mama zog die Augenbrauen hoch und legte ihrer Tochter
eine Hand auf die Schulter, „es gibt da ein Problem.“
Das Baby
bewegte sich, und alle starrten in den Puppenwagen.
„Ist
Christus krank?“, fragte Lena.
„Schwesterherz“,
mischte sich jetzt Marie ein, „wenn du weiter so einen Schnick Schnack redest,
fällt Weihnachten doch noch aus.“
Papa kam
dazu und nahm Lena ganz fest in den Arm.
„Was hat
er denn?“, fragte sie nochmal energisch.
„Er“,
schmunzelte Papa, „er ist eine Sie! Christus ist ein Mädchen!“
Keiner
konnte sich das Lachen verkneifen, aber alle versuchten möglichst leise dabei
zu sein, um das Baby nicht aufzuwecken.
„Das ist
doch ganz egal“, antwortete Lena ein bisschen schnippisch, „meinst du denn, das
weiß ich nicht. Wer will schon einen Bruder?“
Weihnachten
fiel natürlich nicht aus, sondern es wurde ein ganz, ganz besonders schönes
Fest. Omas Festessen schmeckte köstlich, der Weihnachtsbaum strahlte in voller
Pracht, und Mama saß zwischen ihren beiden großen Mädchen und sah so glücklich
aus. Natürlich gab es auch Geschenke, sodass einige Zeit später ein bunter Berg
Papier und Schleifen auf dem Boden lagen. Das schönste Geschenk an diesem Abend
jedoch lag in einem Puppenwagen und schlief friedlich, bewacht von einem
Schaukelpferd, einem Stoffhund und drei Puppen.
„Ach,
weißt du, das mit dem Namen ist nicht so schlimm“, sagte Lena zu ihrer Mama,
„denn es gibt ja schon ein Christuskind, das Christus heißt. Wir haben eben ein
Christusmädchen, das können wir Christa rufen. Das hört sich auch sehr schön
an.“
Klappentext
24
Weihnachtstage können ganz schön lang erscheinen, drum verkürzen wir die
Stunden mit des Dichters schönsten Reimen.
Jeden
Tag ein neues Stück zart bestäubt mit Weihnachtsglück.
Sternenstaub
und Engelszauber führen dich durch diese Zeit, Kerzenschein und Tannenbäume
zeigen sich im Festtagskleid.
Schnell
noch eine Prise Zimt, damit das Aroma stimmt.
Und hast
du sie dann verschlungen all die Reime und Geschichten, ist die Weihnacht
angekommen mit viel Glanz und mit Gedichten.
Ob
Christkind oder Weihnachtsmann, fangt schnell mit der Bescherung an!
Das Buch
ist im Re-Di-Roma Verlag erschienen und über den Buchhandel und bei Amazon bestellbar.
Ramona Stolle schreibt und dichtet für junge und junggebliebene
Leserinnen und Leser. Ihre Kindergeschichten sind in mehr als dreißig
Anthologien vertreten.
Da die Weihnachtszeit mit
Lichterglanz und Sternenschein für sie die schönste Zeit des Jahres ist, ist es
auch nicht verwunderlich, dass ihr erstes Buch „24 Weihnachtstage“ eben genau
in dieser magischen Winter-Wunder-Weihnachts-Welt spielt.
Wer mehr über die
Autorin und ihre Bücher erfahren möchte, kann das unter www.ramonastolle.de.to