Donnerstag, 24. Dezember 2020

Weihnachtswacht von Sabine Ludwigs


Bild: KAGAYA http:/www.hoshinavi.com/
 

Corona-Tagebuch

 24. Dezember 2020 - erstes Weihnachtsfest

 

Mein liebes Tagebuch,

es ist etwas Wun-der-ba-res passiert! Heute Morgen erwachte ich aus einem Traum und konnte, nein, musste schreiben. Schlaftrunken kramte ich Brille, Papier und Stift aus meinem Nachtkästchen und schrieb ohne Punkt und Komma.

Ich war mir sicher gewesen, liebes Tagebuch, nach allem, was geschehen ist, geschehen kann und wird, mit Abstand, Stillstand und Atemanhalten, mit Angst, Ungewissheit (auch um die Existenz!) und ja, nach Begegnungen mit dem Tod, könnte ich nie wieder schreiben. Nie-mals!

Doch es floss einfach so aus mir heraus.                     

Weihnachtswacht

 

Am Firmament ein Flimmern

ein funkelnd Sternenschimmern

in dieser Weihnachtsnacht

Ich kann nur staunend stehen

und in den Himmel sehen

Wer hat die Herrlichkeit gemacht?

 

Auf einmal herrschet Stille

als wirke hier ein Wille

der alles friedlich macht

in mir ein Sehnsuchtsbeben 

ich spüre heilend Segen

Dank Seiner wundersamen Macht


Berührt im tiefsten Herzen

geheilt von Seelenschmerzen

Er hat mir Mut gemacht

Ich flüstre eine Bitte

froh lenk ich meine Schritte

zurück nach Haus – ich weiß, Er wacht

 

Naja. Zugegeben: Es ist keine Weihnachtsgeschichte geworden, um die man mich gebeten hat. Nicht mal eine sehr kurze und schon gar kein Auftakt zu einem Roman oder Literatur, die einen Preis verdient. Wirklich nichts Weltbewegendes. Doch es sollte heraus! Es ist ein Gedicht. Nur ein Gedicht. Doch ein Anfang, mein liebes Tagebuch, ein Anfang ... Frohe Weihnachten!

 

Sabine Ludwigs, in Dortmund geboren, lebt iAn Lünen.

Seit 2004 ist sie Autorin. Anfangs widmete sie sich sehr erfolgreich dem Verfassen von Kurzgeschichten. Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen in diversen Verlags-Anthologien und Zeitschriften. Ab 2009 schreibt sie vorwiegend Unterhaltungsromane.

Ihre Arbeiten sind in Print- und Hörmedien sowie als E-Book veröffentlicht. Ein Teil ist Unterrichtsmaterial für das Fach Religion/Ethik an weiterführenden Schulen.
Neben der Schriftstellerei war sie jahrelang für einen Verlag als Lektorin und zuletzt als Pressesprecherin tätig. Sie wurde mit dem Friedens-Literaturpreis des Berliner Kulturrings und mit dem Literaturpreis Gedichte & Balladen der Ideale Stiftung ausgezeichnet.

 

autorin@sabine-ludwigs.de

www.sabine-ludwigs.de

 




Mittwoch, 23. Dezember 2020

Das kleine Herz auf Reisen von Rosa Rubin

Für Ronja

In Erinnerung an meine ehemalige Nachbarhündin

-        ein zauberhaftes Wesen -

mit allerliebstem Dank für die Inspiration!


I. Ronja


Etwas Seltsames, Ungewohntes fühlte das kleine Herz unter seinen kleinen herzförmigen Füßchen, als es langsam zu sich kam. Es war noch ganz benommen vom Landemanöver und so verhielt es sich einige Augenblicke ganz ruhig. So lange bis es spürte, dass das Durcheinander in seinem Kopf, der sich inmitten seines Herzkörpers befand, langsam nachließ.

Jetzt schaute sich das kleine Herz um. Es stand auf einer weichen weißen Fläche. Kalt fühlte es sich an. Auch dieses Gefühl war ganz und gar ungewohnt für das kleine Herz, denn dort, wo es herkam, gab es keinen Boden wie hier auf der Erde – und schon gar keinen Schnee.

Etwas unsicher, aber auch neugierig blickte sich das kleine Herz um. Es hatte sich gut auf seine Arbeit auf der Erde vorbereitet. Hatte fleißig alles gelernt, was es wissen musste. Dies war seine erste Aufgabe, für die es ganz allein verantwortlich war, und es wollte seine Sache natürlich so gut wie nur möglich machen.

Seine Aufmerksamkeit wurde durch ein leises Wimmern geweckt. Nicht weit entfernt von seinem Landeplatz stand ein grauer Betonbau. Groß war er nicht und von vorn wurde er von Gitterstäben begrenzt.

Als das kleine Herz sich näherte, konnte es in der hintersten Ecke ein Fellknäul erblicken, das mächtig zitterte. Es gab also Grund zur Eile. Ohne weitere Überlegung schwebte das kleine Herz mit Leichtigkeit durch die Stäbe hindurch und ließ sich vor dem sonderbaren Fellwesen nieder. Erdenbewohner hatte es bisher persönlich noch nicht kennengelernt und dieser hier hatte sich zusammengerollt und seine Nase unter dem Schwanz versteckt. Langsam kam nun Bewegung in dessen Körper und überhaupt nicht ängstlich schaute das fellige Wesen das kleine Herz an.

„Wer bist du denn“, fragte es erstaunt in seinen Gedanken.

Das kleine Herz sprang vor Freude einige Male auf und ab, weil die Verständigung so gut klappte, und antwortete:

„Ich bin das kleine Herz und gekommen, um dir zu helfen.“

„Mir helfen? Wobei? Ich habe doch nichts zu tun!“

„Wir haben auf dem Herzplaneten deine tiefsten, innigsten Wünsche und Sehnsüchte vernommen – deshalb bin ich hier! Du darfst dich nicht wundern, wenn du heute eine Wandlung erfährst, für dich und deine Menschen. Sei also ohne Sorge und fürchte dich nicht, Ronja. Du bist doch Ronja, die Schäferhündin …?“

„Du kennst meinen Namen – das ist ja toll! Ja, das bin ich – aber ich fürchte mich nicht. Niemals! Ich bin nur sehr, sehr traurig – und soooo einsam …“ Ein tiefer Seufzer durchlief die Fellnase.

„Ich weiß. Deshalb bin ich ja hier und nun wird alles gut! Erzähle mir von dir …“

„Was gibt es da zu erzählen? Ich bin niemand. Geboren wurde ich auf einem Bauernhof, meine Menschen hatten mich damals als Hofhund angeschafft. Einige Jahre hatte ich einen netten Hundekumpel, Carlo, der ist aber vor ein paar Jahren gestorben. Seit dem bin ich ganz allein. Ich sollte damals den Hof bewachen, dadurch hatte ich viel Freiheit, rannte den ganzen Tag mit Carlo auf dem Grundstück umher und abends schliefen wir im warmen Stall bei den anderen Tieren. Seit wir hier in dieses Haus gezogen sind, habe ich nichts mehr zu tun. Es gibt nichts mehr zu bewachen, deshalb lebe ich nun in diesem Zwinger, liege ohne Decke auf dem Beton, kann am Tag höchstens zwei, drei Stunden in den Garten, aber ansonsten bin ich eingesperrt und allein. An manchen Tagen habe ich nicht einmal was zu essen, weil meine Menschen mich vergaßen. Und niemand geht mit mir spazieren, seit die Kinder aus dem Haus sind. Ich kenne nur noch diesen Teil der Welt … und erhalte keine Zuwendung. Das ist das Schlimmste … Als Carlo noch da war, ja, da war das alles noch erträglich, aber seit er tot ist, bin ich einsam und fühle mich unendlich verlassen.“ Ronja ließ ihren Kopf hängen und das kleine Herz spürte, wie groß der Kummer des Hundes war. Dabei verfärbte sich das kleine Herz immer dunkler, der Rotton wechselte über in ein kräftiges Purpur … was ganz normal war je nach Intensität des Mitgefühls, das das kleine Herz mit seinem gesamten Körperchen spürte.

Liebevoll berührte das kleine Herz die Hündin mit seinem Energiestab, den es wie aus dem Nichts hervorzauberte. Aus seinem Herzkörperchen ragten unten zwei kleine herzförmige Füßchen hervor, die es aber nicht benutzen musste. Es schwebte normalerweise einige Zentimeter über dem Boden. Rechts und links am oberen Teil des Körpers hatte es zwei Herz-Händchen an Ärmchen, die es wie Korkenzieher ausfahren konnte. In diesen beiden Herz-Händchen hielt es nun den unscheinbaren Stab, der bei Berührung mit einem Erdenwesen zu vibrieren begann und hier bei Ronja lauter feine blaue und grüne Energiestöße aussandte. Das aber konnte nur das kleine Herz sehen. Überhaupt war es für menschliche Augen unsichtbar; nur Tiere, denen zu helfen es hier auf Erden war, konnten das kleine Herz sehen wenn es das wollte.

Nachdem es die Schäferhündin mit Liebe infiziert hatte, machte das kleine Herz sich auf die Suche nach deren Menschen.

In einem hübschen Haus unweit von Ronjas Käfig entfernt, erblickte das kleine Herz die Frau, die im Innern herumwirtschaftete. Als es näher kam, hörte das kleine Herz, wie diese leise ein Lied sang. „Fröhöööliche Weihnacht überall …“

Da fiel dem kleinen Herz erst wieder ein, dass es sich für seinen ersten Besuch auf der Erde dieses besondere Datum ausgesucht hatte: Heiligabend – da wünschten sich alle Menschen Frieden und Liebe! Wenn das nicht ein guter Anfang war …

Die Frau sah das kleine Herz nicht, als es in die Küche schwebte. Es war ja für das menschliche Auge unsichtbar. Aber sie spürte seine Anwesenheit in ihrem tiefsten Innern. Denn die liebevolle Energie, die das kleine Herz ausstrahlte, war allseits stark zu spüren. Die Frau hielt inne in ihrer Tätigkeit und schaute sich irritiert um.

„Jens, Jeeeens … hast du was gesagt …?“

Doch außer ihr war niemand in der Küche. Als sie um die Ecke schaute, sah sie ihren Mann im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzen mit einem Kopfhörer auf dem Kopf.

„Seltsam …“, murmelte sie vor sich hin.

Das kleine Herz zögerte nicht lange, denn es hatte noch viel zu tun! Es zog seinen magischen Stab hervor, schwebte empor und berührte den Mittelpunkt des Herzens von Ronjas Frauchen. Der Stab begann zu vibrieren und sandte feine Blitze aus in allen Farben des Regenbogens. Es war deshalb so besonders intensiv, weil sie so verhärmt, verbittert und traurig war.

Mit einem Mal strömten Tränen über das Gesicht der Frau, sie weinte und weinte viele Tränen – sie konnte überhaupt nicht mehr aufhören. Ganz erschüttert war sie, aber sie weinte still und leise.

Sie dachte: „Was ist bloß los mit mir. So habe ich ja lange nicht geweint … eigentlich nicht mehr seit damals …“ Sie erinnerte sich an ihren kleinen Hund, den sie als Kind zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Wie hatte sie dieses Tier geliebt! Es sollte immer bei ihr sein und auch bei ihr im Zimmer schlafen, so hatten die Erwachsenen es versprochen! Doch bald schon hatten die Eltern das geliebte Tier, nachdem es ausgewachsen war, in einen Zwinger gesteckt und es geschlagen, wenn es versuchte, zu seiner kleinen Freundin ins Haus zu gelangen. Das Kind durfte nicht mehr mit ihm spielen, damit der Rüde nicht zu menschenbezogen wurde. Ein Hund hatte zu gehorchen, sollte aggressiv und aufmerksam sein, den Hof hüten und nicht mit Kindern kuscheln. Doch dieser treue Hund war ganz und gar friedvoll, vollkommen frei von Aggression, geschweige denn Boshaftigkeit. Er jaulte viel und oft, weil er nicht zu seiner kleinen Freundin konnte. Da wurde er eines Tages von dem Vater mitgenommen und dieser kehrte ohne Bello, wie das kleine Mädchen ihn genannt hatte, zurück. Seitdem war das Tier verschwunden. Und das Kind hatte daraufhin sein Herz verschlossen. Für immer und für jeden! Nie mehr wollte es leiden! Nie mehr wollte es zulassen, dass man ihm wehtat. Und kein Hund sollte sich mehr in sein Herz stehlen. Seit dem Tag hatte sich das Mädchen, auch nachdem es erwachsen geworden war, vor der Liebe ganz verschlossen.

Und nun durchströmten sie Gefühle der Liebe, wie sie sie noch nie gespürt hatte. Es war so, als flösse sie über vor Liebe. Sie ließ die Gans, die sie bei Eintritt des kleinen Herz zu füllen begonnen hatte, fallen und starrte das tote Tier an. Was habe ich getan?, durchfuhr es sie! Wie konnte ich bloß diese Gans kaufen, womit ich mich mitschuldig an ihrem Tod machte. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und schluchzte erneut, rannte ins Wohnzimmer und stieß fast mit ihrem Mann zusammen. Dieser war aus dem Sessel aufgestanden und starrte wie gebannt auf eine Stelle an der Wand hinter ihr. Er schien der Welt entrückt.

Das kleine Herz hatte sich nämlich inzwischen schon bei dem Mann ans Werk gemacht und sein Herz mit Liebe infiziert. Das war für den kaltherzigen, gleichgültigen Ehemann so ungewöhnlich, dass er sich erst sammeln und schütteln musste wie ein nasser Hund, um diese hohen Energien zu verkraften. Der kleine Zauberstab tat aber ganze Arbeit. So stark bebte er, dass es in alle Richtungen grelle Funken sprühte – immer und immer wieder.

„Lieber, was ist mit dir?“, fragte seine Frau sehr sanftmütig.

„Ich … ich weiß auch nicht, mir ist auf einmal so seltsam zumute – so ganz und gar ungewöhnlich fühle ich mich … so leicht und …“ Er machte eine Pause und blickte seine Frau an, als sähe er sie zum ersten Mal. Ist sie aber hübsch, dachte er bei sich, so habe ich sie früher nie wahrgenommen. Was für eine schöne Frau sie doch ist.

„Oh, du Lieber. Ich fühle mich auch ganz beschwingt und könnte jubeln und die ganze Welt umarmen.“ Sie fiel ihrem Mann um den Hals und sie küssten sich wieder und wieder. „Aber noch mehr fühle ich mich erfüllt von Liebe für unsere Ronja … ich möchte sie ins Haus holen und ich möchte sie umarmen und herzen und ihr hier ein gemütliches Plätzchen geben – hier an unserer Seite.“

„Da hast du recht, ich glaube, sie hat sehr gelitten, weil wir sie da draußen allein ließen und uns ihr gegenüber gleichgültig verhielten.“

„Dann lass uns sofort zu Ronja gehen und später, wenn die Kinder kommen, alle gemeinsam einen schönen Spaziergang machen.“

Sie gingen hinaus zum Zwinger, wo Ronja schon schwanzwedelnd wartete. Sie konnte die Gefühle, ja sogar die Gedanken ihrer Menschen wahrnehmen und wusste, was sie dachten und fühlten. Die beiden öffneten den Zwinger, ließen Ronja hinaus und verschlossen die Gittertür für immer. Sie tobten mit dem Hund durch den Garten, spielten Verstecken wie die Kinder und waren ganz außer Atem, als ihre beiden erwachsenen Söhne kamen, die mit den Eltern Weihnachten feiern wollten.

Auch die beiden Jungs wurden von dem kleinen Herz infiziert, und so voller Liebe machte sich die Familie auf einen langen gemütlichen Weihnachtsspaziergang im Schnee – selbstverständlich mit Ronja, die immer noch glaubte zu träumen. Später saß man zusammen beim Weihnachtsessen – aber niemandem wollte die Gans schmecken und man beschloss, sich ab sofort frei von Tierleid zu ernähren. Denn man wollte wirklich friedlichen Herzens leben. Ab diesem Heiligabend gehörte Ronja zur Familie und lebte mit ihren Menschen im Haus. Nach den Feiertagen sollte der Zwinger abgerissen werden.

 
 
 Das kleine Herz besah sich das Glück, das in dieses Haus eingezogen war, und war zufrieden mit sich. Seine erste Aufgabe hatte es großartig bewältigt – und noch unzählige Tiere warteten darauf, dass die Herzen der Menschen mit Liebe für sie alle erfüllt wurden … Aber das kleine Herz war sich sicher, das würde es auch noch schaffen. Dazu war es schließlich gesandt worden, das kleine Herz vom Herzplaneten …

 

Vita

Birgit Maria Hoepfner alias Rosa Rubin wurde im Rheinland geboren und zog 2009 in ihre Wahlheimat nach Schleswig-Holstein an die Ostsee.
Seit Anfang der 90er arbeitete sie freiberuflich für Verlage und seit 2014 ist sie als Lektorin und Korrektorin für Indie-Autoren und Verlage tätig. www.textewerkstatt.de
Ihre Leidenschaften sind das Schreiben - das Jonglieren und „Malen“ von Bildern mit Worten - sowie Meditation, Tiere und vegane Ernährung. Ihr erster Roman „Ein Klang der Seelen“ erschienen 2008 und handelt von ihrem Lebenstraum „Victorias Welt“, einer Begegnungsstätte mit Tieren und Menschen. www.victoriaswelt.de.