Montag, 14. Dezember 2020

Der Tannenbaumkauf aus "Nudeln mit Soße" von Marika Krücken

Foto Eva Joachimsen
 

Auch die Geschichte mit dem alljährlichen Weihnachtsbaumkauf entpuppte sich für Maria als keineswegs so lustig. Ihr Bedarf an Vorweihnachtsstress in diesem Jahr war reichlich gedeckt, doch trotz intensivsten Grübelns wusste sie keinen Rat, wie sie aus dieser eingefahrenen Tretmühle herauskommen sollte. »Jedes Jahr das gleiche Theater«, seufzte sie, als sich auch in diesem Jahr erneut ein endloser Disput über Art und Weise des zu kaufenden Tannenbaumes abzeichnete. Durch die Anrufung des Familienrates sollten eigentlich derartige Debatten zur Zufriedenheit aller geschlichtet werden. Soweit der Plan ...

Es gestaltete sich hingegen äußerst schwierig, in einem Haushalt mit sieben Personen eine Einigung herbeizuführen. Jeder Einzelne verfügte über eine andere Auffassung, wie der Tannenbaum aussehen sollte, unter dem der Betreffende das bevorstehende Weihnachtsfest angemessen feiern wollte. Maria hätte in dieser Hinsicht besser daran getan, ihre Familie von Anfang an diktatorisch zu erziehen, so nach dem Motto: Es wird nur eine Meinung akzeptiert, nämlich meine. Jedoch anstelle dessen hatte sich auf der einen Seite eine stark ausgeprägte revolutionäre Linie gebildet, die sich für ein Kieferngehölz mit langen seidigen Nadeln aussprach, während auf der anderen Seite die konservativen Vertreter standen und die altbewährte Fichte bevorzugten. So ging es in einem fort und die gegensätzlichen Standpunkte prallten ergebnislos aufeinander. Aber leider wurde dann nicht liberal mit demokratischer Abstimmung entschieden, sondern die jüngeren Familienmitglieder versuchten, ihr vermeintliches Recht mit entsprechender Lautstärke durchzusetzen. Je lauter und je mehr Geschrei, desto näher glaubte jeder von ihnen, den eigenen Vorstellungen vom Aussehen des zu kaufenden Christbaums zu kommen.

Das muss anders werden, überlegte Maria im Stillen, denn das halten meine Nerven bis Weihnachten einfach nicht durch. Um weiteren Zankereien aus dem Wege zu gehen, wollte sie die Familie vor vollendete Tatsachen stellen. Sie bat ihren Vermieter doch so freundlich zu sein und eine schön gewachsene, große Edeltanne zu besorgen.

Eine Woche vor Weihnachten stand die Tanne bei Herrn Berger im Schuppen. Die Auftraggeberin war nach erfolgter Besichtigung begeistert von der natürlichen Schönheit des Gewächses. Um aber Diskussionen und vor allen Dingen ablehnende Bekundungen seitens ihrer Familie zu vermeiden, erzählte sie niemandem von der Existenz des Baumes. Damit begann eine mittelschwere Katastrophe, die von der Hausherrin zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersehbar und auf gar keinen Fall in dieser Form beabsichtigt war.

Fritz, Max und Willi waren sich untereinander einig geworden, die leidige Angelegenheit in die eigenen Hände zu nehmen und ihren Weihnachtsbaum selbst auszusuchen. Schließlich sollte es ein cooles Fest mit einem großen, strahlenden Lichterbaum werden. Außerdem musste er breit genug sein, damit die Geschenke darunter genügend Platz fanden. Im Übrigen vertraten sie die Meinung, wenn der Baum erst einmal da war, würden sich die anderen Familienangehörigen gewiss damit abfinden. Immerhin war der männliche Teil in der Überzahl, wobei sie automatisch Franz-Josef auf ihrer Seite wähnten. Ohne die Sache auf die lange Bank zu schieben, leerten sie ihre Spardosen und zogen gemeinsam los, um einen geeigneten Tannenbaum zu kaufen. Das war aber nicht so einfach, wie sie es sich vorgestellt hatten, denn bis sie den richtigen fanden, verging eine gute Stunde.

»Der ist zu klein und die Spitze ist abgebrochen«, jammerte Willi.

»Bei dem hier liegen die Zweige zu weit auseinander«, bemerkte Fritz.

»Und er ist sowieso zu teuer«, ergänzte Max mit Blick auf das Preisschild einer besonders großen Blautanne.

Beharrlich ließen sie sich andere Gehölze zeigen und begutachteten diese fachmännisch. Die ohnehin strapazierten Nerven des Weihnachtsbaumverkäufers lagen nahezu blank. Endlich konnte er ihnen eine Tanne zeigen, die den Vorstellungen und prüfenden Blicken aller drei Jungen genügte. »Ja, den nehmen wir!«, erklärten die Buben übereinstimmend.

Dann kam die bedeutend schwierigere Frage des Transportes. Max zog sich seine Handschuhe an. Entschlossen packte er die Nordmanntanne am Stumpf, während Fritz die Spitze nahm. Der kleine Willi lief vor den beiden her und hielt gestikulierend die Autos an, bevor sie die Straße überquerten. Willi war auch derjenige, der vorauslaufen musste, als sie in die Nähe ihres Hauses kamen. Er schaute nach, ob die Luft rein war, und machte seinen beiden Brüdern die Kellertür auf. Es war ein ganz schönes Stück Arbeit, den wuchtigen Baum die steile Treppe hinunter zu schleppen. Sie stellten ihn hinter das Regal mit Koffern und Taschen, wo er nicht direkt ins Auge fiel. Nur gut, dass anscheinend niemand zu Hause war.

Kathi schaute nervös auf die Uhrzeit in ihrem Handy. Sie saß bei Cortina, dem italienischen Eiscafé und wartete auf Josi. Diese hatte ihr heute Morgen beim Frühstück zugeraunt: »Um 13:00 Uhr im Cortina!«

Kathi war total neugierig, aus welchem Grund ihre Schwester so geheimnisvoll getan hatte. Normalerweise fühlte sich Josi viel zu erwachsen, um sich mit solch jungem Gemüse, wie sie Kathi bezeichnete, zu verabreden. Deshalb war das Mädchen ungeheuer gespannt, welches Rätsel sich dahinter verbarg. Endlich kam Josi zur Tür herein. Sie schaute sich suchend um. Kathi sprang auf und winkte der Eintretenden von ihrem Tisch aus zu.

Nachdem Josi ihren Mantel an die Garderobe gehängt hatte, kam sie gleich ohne Umschweife auf das brisante Thema zu sprechen. »Kathi, du wirst mir recht geben müssen, dass eine Weihnacht ohne einen akzeptablen Tannenbaum keine schöne Weihnacht ist. Und du erinnerst dich sicher noch an die letzten Jahre, in die ewige Diskutiererei dazu führte, dass in letzter Minute irgendein Baum, egal wie er aussah, gekauft wurde. Bloß, damit wir überhaupt einen hatten. Ich bin dafür, wir beide sollten diesmal für einen geeigneten Christbaum sorgen!«

»Das wäre nicht schlecht«, meinte Kathi, »dann bekommen wir zumindest einen, der uns gefällt. Aber was werden Paps und Mom und vor allen Dingen die Jungs dazu sagen?«

»Das habe ich mir gut überlegt. Wir werden ihnen vorher nichts davon erzählen. Wenn der Baum erst da ist, werden sie schon zufrieden damit sein.«

Kathi war begeistert. Sie fand, das war mal eine richtig gute Idee, die Josi vorgeschlagen hatte. Die beiden tranken ihre heiße Schokolade aus, bezahlten und machten sich vergnügt auf den Weg. Es dauerte nicht lange und sie hatten eine schöne Fichte ausgesucht. Diese war zwar etwas klein, dafür aber kerzengerade gewachsen und hatte zudem dichte, weit ausladende Zweige, die einen angenehmen Duft verströmten. »Das riecht wie im Wald«, freute sich die naturverbundene Josi.

Zu Hause versteckten die Mädchen ihren Weihnachtsbaum in der Garage unter alten Planen. Einen Tag vor Heiligabend, wenn ihre Mutter üblicherweise einen Baum kaufen ging, um diesen dann abends zu schmücken, wollten sie ihre Überraschung platzen lassen.

Herr Wiesel machte sich auch bereits seit mehreren Tagen Gedanken über einen ordentlichen Christbaum. Er dachte an die Jahre zuvor. Wie viele verkrüppelte Weihnachtsbäume hatten sie doch schon gehabt. Trotzdem musste man der Wahrheit die Ehre geben, egal wie schief und krumm die Tannen gewesen waren, wenn sie geschmückt und im Glanz ihrer Lichter erstrahlten, sahen sie doch immer wieder wunderschön aus. Kurz entschlossen griff er zum Telefonhörer und wählte die Nummer von Mertens.

Mertens war eine Baumschule am Ortseingang. Herr Wiesel verlangte den Chef persönlich zu sprechen und bestellte eine schöne, gut gewachsene Edeltanne mit Erdballen. Diese sollte am Tag vor Heiligabend geliefert werden.

Es ist zwar etwas teurer, eine Tanne mit Erdballen zu nehmen, überlegte Franz-Josef, aber so kann man sie wenigstens nach Weihnachten in den Garten pflanzen und sie fällt nicht dem Holzbeil zum Opfer.

Er freute sich diebisch auf die verdutzten Gesichter seiner Familie.

Am Tag vor Heiligabend warfen sich die Jungs heimliche Blicke zu und zappelten aufgeregt mit den Beinen unter dem Tisch.

Auch die beiden Mädchen konnten kaum noch still sitzen. Flink liefen sie nach dem Frühstück in die Garage und zogen ihren Tannenbaum unter den Planen hervor. Gemeinsam trugen sie ihn ins Haus. Die Überraschung war ihnen wirklich gelungen, denn sie blickten rundherum in verdutzte Gesichter, die wie versteinert auf den Gegenstand in den Händen der Mädchen starrten. Sie selbst machten aber auch nicht gerade ein sehr geistreiches Gesicht, als sie mit der Fichte den Jungs gegenüberstanden, die mittlerweile ebenfalls die Nordmanntanne aus dem Keller geholt hatten.

Der Hausherr räusperte sich, doch bevor er etwas sagen konnte, klingelte es lang anhaltend an der Haustür.

Oje, dachte Maria entsetzt, das wird Herr Berger mit meinem Baum sein.

Sie lief eilig an die Tür und öffnete. Vor ihr stand Herr Mertens von der Baumschule, eine Edeltanne mit Erdballen neben sich.

Im gleichen Augenblick bog Herr Berger um die Ecke und hatte offensichtlich Schwierigkeiten, ihre schöne große, gerade gewachsene Nobilistanne zu transportieren.

 

Marika Krücken lebt mit ihrer Familie in Köln. Seit 1985 schreibt die Autorin Kindergeschichten, die sie im Laufe der Zeit in verschiedenen Kinderbüchern veröffentlichte. Ihr Ziel ist es, den kleinen und großen Lesern ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Das neueste Buch der Autorin ist ein Familienroman mit dem Titel „Nudeln mit Soße“. Es handelt von dem Leben in einer sympathischen Familie mit fünf Kindern und diversen Haustieren. Dass es dort zu einigen Verwicklungen kommt und Maria Wiesel so manches Mal am liebsten die Flucht ergreifen möchte, ist geradezu vorprogrammiert. Wie die Hausfrau und Mutter es dennoch immer wieder schafft, eine Katastrophe zu verhindern, schildert die Autorin auf humorvolle Weise. Eine heitere Geschichte über eine chaotische, aber liebenswerte Großfamilie. Das Buch ist 2019 erschienen und bei BoD unter https://www.bod.de/buchshop/nudeln-mit-sosse-marika-kruecken-9783732293261?utm_source=saleswidget&utm_medium=referral&utm_campaign=saleswidget_large sowie in allen Buchhandlungen zu erhalten.

Homepage der Autorin: http://www.traumzeit-geschichten.de