Sonntag, 27. November 2016

Hans-Peters Kampf mit den Lichterketten von Annette Paul

Bild von Krisi Sz.-Pöhls, Ratte Prinz im Weihnachtsbaum

Hans-Peter stand auf der Leiter, pfiff laut und schief Weihnachtslieder und hängte die neue Lichterkette in den Baum im Vorgarten. Diesmal waren es keine weißen Lichter, sondern schöne bunte, die ab und zu die Farbe wechselten. Er hatte sofort zugegriffen, als er im Baumarkt das Sonderangebot entdeckt hatte.
„Sieht aus wie eine Jahrmarktsbude“, spottete Sigrid, als sie zur Haustür herausschaute, um sein Werk zu bewundern. „Kannst du nicht die alte Beleuchtung nehmen?“
„Nein, das sind LEDs, die sind viel sparsamer im Stromverbrauch.“ Hans-Peter führte ein weiteres Kabel  durch die Katzenklappe zur Steckdose, dann hängte er eine zweite, bunt blinkende Lichterkette über die Haustür. Anschließend folgte die Bestückung der Regenrinne zur Straßenseite. Sollte er weitere Lichter besorgen? Der Giebel würde geschmückt auch gut aussehen. Vielleicht mit einem Lichtervorhang? Kurz entschlossen fuhr er noch einmal zum Baumarkt und kaufte die fünf letzten langen Lichterketten des Ladens. Gut, die Anschaffungskosten würden sich erst in ein paar Jahren amortisieren. Aber sie zauberten so eine wunderbare Stimmung, selbst wenn es frühlingshaft warm war, die Kirschen blühten und die Rotkehlchen sangen.
Daheim zog er die Leiter auf die volle Länge aus und nagelte die elektrische Leitung an den Dachunterstand. Sigrid würde es sicher nicht recht sein. Egal, die meckerte doch sowieso dauernd.
Dann wanderte er mit der Leiter zur Giebelseite. An der Hausecke stand dummerweise die Tanne im Weg. Obwohl er auf der obersten Sprosse stand, musste er sich strecken, um den Lichtervorhang zu befestigen. Er dehnte sich, bis die Leiter ins Rutschen kam und kippte. Zum Glück stand die eben dekorierte Himalaya-Zeder in Fallrichtung, sodass er nicht gleich auf der Erde aufprallte, sondern von Ast zu Ast hinabrutschte.
Geschockt kroch Hans-Peter aus dem Weihnachtsbaum. Bauch und Rücken brannten, Hose und Jacke hing in Fetzen herab, das Bein schmerzte höllisch und ließ sich nicht belasten. Sicher war es gebrochen.
„Sigrid“, brüllte er. Doch Sigrid kam nicht. Mühsam kroch er ins Haus. Überall war es finster und die Gardinen zugezogen. Im Schlafzimmer lag Sigrid im Dunkeln. Als er das Licht anschaltete, zog sie die Decke über den Kopf und zischte: „Licht aus.“
„Ich bin von der Leiter gefallen. Du musst mich ins Krankenhaus fahren. Bestimmt ist mein Bein gebrochen.“
„Ich habe von deinen Blinklichtern Migräne bekommen“, flüsterte Sigrid, bevor sie ins Bad flüchtete und sich übergab.
„Fährst du mich jetzt?“, knurrte Hans-Peter, als sie zurückwankte.
„Ruf den Krankenwagen und mach endlich das Licht aus.“
Zum Glück wurde die Haustür aufgeschlossen und Maximilian lief laut pfeifend durch den Flur. „Sieht aus wie auf einem orientalischen Bazar. Und was ist überhaupt mit der Tanne passiert?“, fragte er, als er ins Schlafzimmer schaute. „Die hat auf einer Seite keine Äste mehr.“
„Kannst du einen Krankenwagen rufen?“ Hans-Peter hockte auf der Bettkante und kam nicht mehr hoch.
„Für dich oder Mama?“
„Ich habe mir das Bein gebrochen.“ Hans-Peter schaute seinen Sohn wehleidig an.
„Besser als den Hals“, meinte der respektlose Nachwuchs nur.


© Annette Paul


Annette Paul schreibt und veröffentlicht seit vielen Jahren Kurzgeschichten und Kindertexte, gern etwas zum Schmunzeln. Von ihr sind folgende Weihnachtsbücher: "Der ganz normale Weihnachtswahnsinn", "Ratte Prinz im Weihnachtsbaum", "Ratte Prinz im Weihnachtsbaum", "Weihnachtsmann im Weihnachtsstress" und "Weihnachtsmann hat noch mehr Stress".
Mehr von und über Annette Paul auf Probeschmökern bei Annette Paul.
Siehe auch die Autorenseite von Amazon.



Krisi Sz.-Pöhls lebt recht zurückgezogen in Oppenheim am Rhein.
Malen gehört seit ihrer Kindheit zu ihren Hobbys. Mittels Fortbildungen ist die Autodidaktin Künstlerin geworden.
Mehr von ihr auf ihrer Homepage www.salidaswelt.com
oder bei  www.zazzle.de/mbr/238764950947258943