Am Abend
des fünften Dezember hat der Nikolaus in seinem Waldhaus furchtbar schlechte
Laune! Zwar packt er wie jedes Jahr Spielzeug, Süßigkeiten und allerlei
weihnachtlichen Krimskrams in seinen Gabensack. Doch anders als sonst brummelt
er dabei ständig in seinen Bart und zieht ein finsteres Gesicht.
Das
fällt sogar seinem immer mürrischen Freund und Gehilfen Ruprecht auf. „Was ist
los?“, fragt er den Nikolaus. „Ich habe noch nie erlebt, dass du so miesepetrig
bist. In all den Jahrhunderten warst du stets vergnügt und munter. So vergnügt,
dass es mir manchmal sogar auf die Nerven fiel.“
Zuerst
antwortet der Nikolaus nicht. Missgelaunt schnürt er den vollgepackten Sack zu.
Erst als er sieht, wie Ruprecht eine Rute aus Reisig hervorholt, fängt er an zu
reden. „Ruprecht“, grollt er. „Leg die Rute weg! Wie oft habe ich dir schon
gesagt, dass wir dieses Ding nicht brauchen!“
„Du weißt
genau, welchen Rangen wir heute noch gegenüberstehen werden!“, entgegnet
Ruprecht ungerührt. „Es ist nun einmal eine Tatsache, dass es gemeine Kinder
gibt, die andere ärgern, sie verprügeln, die ständig stänkern und …“
„Trotzdem“,
unterbricht der Nikolaus ihn mitten im Satz, „es wäre mir lieber, dieses
verdammte Ding bliebe hier! Die Zeiten haben sich geändert.“
Jetzt
ist Ruprecht erbost. Sein dunkler Bart sträubt sich regelrecht. „Verdammtes
Ding?“, brüllt er. „Das ist lediglich die gute, alte Rute. Eigentlich zu
harmlos für so manches Früchtchen! Wenn ich da nur an diesen fiesen Kevin
Krummschnabel denke! Aber mal ehrlich, die Rute ist doch bloß zur Abschreckung
da. Ihr Anblick hat jedenfalls noch keinem geschadet. Im Gegenteil!“
„Ha!
Wer‘s glaubt“, überschreit der Nikolaus Ruprecht. Und plötzlich stehen sie
Knollennase an Knollennase voreinander und funkeln sich an, als wären sie
zornige Jungen: der dicke Nikolaus im roten Gewand mit seinem weißen Wallebart
und der stämmige Ruprecht im nussbraunen Mantel mit seinem struppigen
Schwarzbart. Ihr Schnaufen klingt, als würde Luft aus einem Schwimmreifen
entweichen.
Mit
einem Mal muss Ruprecht lachen. Ausgerechnet der ruppige Ruprecht! „Komm schon,
Nikolaus“, meint er versöhnlich. „Ich nehme ja nur die kleine Rute mit. - Aber
willst du mir nicht sagen, was mit dir los ist, alter Knabe?“
Der
Nikolaus druckst herum. „Na ja, es ist so … Ich weiß nicht, wie ich es sagen
soll … aber … aber ich hätte … auch so schrecklich gern …“ Er verstummt.
„Jaha?“
Ruprecht zieht fragend seine buschigen Augenbrauen in die Höhe. „Immer raus mit
der Sprache! Was hättest du gern?“
„Einen
gefüllten Stiefel!“, platzt der Nikolaus heraus. „Jawohl! Randvoll mit
Leckereien und ein oder zwei kleinen Überraschungen.“
Stille.
Nur der wilde Wind rumort im Windfang vom Kamin.
Dann
reißt Ruprecht den Mund weit auf. Er posaunt ein lang gezogenes „Ooooohhhhhh“
heraus. Danach prustet er los, dass ihm die Tränen über das Gesicht laufen und
anschließend im Bart versickern. Ruprecht lacht und lacht, bis er am Ende röhrt
er wie ein alter Hirsch. „Du?“, japst er zwischen zwei Lachsalven mit hochrotem
Gesicht. „Du, der leibhaftige Nikolaus, willst einen Nikolausstiefel haben?“ Schon
biegt er sich wieder!
„Was ist
daran so lustig?“, brummt der Nikolaus. „Hör auf zu lachen und hilf mir lieber,
den Schlitten zu beladen.“
Also tut
Ruprecht, was der Nikolaus ihm aufgetragen hat. Zusammen stapfen sie in den
Stall, wo sie den Schlitten bepacken. Ruprecht spannt den munteren Esel
Benjamin davor und los geht es, durch eine windige Winternacht und einen
finsteren Wald bis in die Stadt hinein. Vornweg
Ruprecht mit einer hellen Laterne, die im Wind schaukelt, und dahinter der
immer noch verdrossene Nikolaus, der den Esel Benjamin am Halfter führt.
In der
Stadt füllen sie unzählige Schuhe und Stiefel der noch schlafenden Kinder, damit
die sich am Nikolausmorgen über ihre Gaben freuen können.
Wieder
andere Mädchen und Jungen besuchen sie höchstpersönlich am Nikolaustag.
Meistens lobt der Nikolaus die Kinder, doch manchmal tadelt er auch welche, vor
denen Ruprecht dann mit grimmigem Blick drohend mit der Rute herumfuchtelt –
was dem Nikolaus jedes Mal ein tiefes Seufzen entlockt.
Tief in
der Nacht ist der Schlitten beinahe leer, worüber sich besonders der Esel
Benjamin freut. „Wir müssen nur noch Mirjana besuchen“, erklärt der Nikolaus
dem Esel. Er krault ihn aufmunternd zwischen den langen, grauen Eselsohren. „Es
ist spät geworden. Bestimmt wird sie schon schlafen.“
Und
wirklich, als sie am Ende der Straße an Mirjanas Haus ankommen, sind sämtliche
Fenster dunkel. Vor der niedrigen Haustür stehen zwei sauber geputzte
Winterstiefel, in die sie allerhand Süßigkeiten und das kleine Tanzpüppchen
stecken, das Mirjana sich wünscht.
Gerade
als sie sich davonschleichen wollen, entdeckt Ruprecht es. „Du“, sagt er zum
Nikolaus und zupft an dessen Mantel. „Schau mal!“
Da
stehen die knallgelben Gummistiefel von Mirjana, die sie noch im letzten Jahr
mit Süßigkeiten gefüllt haben - und die ihr wohl mittlerweile nicht mehr
passen. „Für den lieben Nikolaus“ steht auf einem Zettel, der an dem einen
Stiefel klebt. „Für den braven Ruprecht“ auf einem Zettel an dem anderen
Stiefel.
„Das
gibt’s doch gar nicht!“, ruft der Nikolaus aufgeregt aus. „Ein Stiefel! Für
mich!“
„Und
einer für mich!“, überschreit Ruprecht ihn.
Nikolaus
findet in seinem Stiefel eine Zeichnung von sich selbst, einen langen roten
Schal und jede Menge selbstgebackene Zimtsterne und Vanillekipferl.
In
Ruprechts Stiefel stecken ein selbstgemaltes Bild von Ruprecht, ein
schokobrauner Schal sowie Lebkuchen und Nusstaler.
Sie
wickeln sich die Schals um den Hals und machen sich zufrieden mampfend auf den
Heimweg. Unterwegs tauschen sie Zimtsterne gegen Nussplätzchen und Lebkuchen
gegen Vanillekipferl. Auch der Esel bekommt das eine oder andere
Weihnachtsplätzchen aus den gelben Stiefeln zu knabbern.
Weder
Nikolaus noch Ruprecht spüren den Wind, der ihnen um die Ohren pfeift. Nachdem
sie am Waldhaus angekommen sind und Benjamin in seinen Stall gebracht haben,
machen sie es sich mit den letzten Plätzchen vor dem prasselnden Kaminfeuer
gemütlich.
„Das war
der denkwürdigste Nikolaustag, an den ich mich erinnern kann“, sagt Ruprecht
mit vollem Mund, wobei er die von Mirjana gemalten Bilder betrachtet.
Und der
Nikolaus? Der sagt gar nichts. Er lächelt nur stillvergnügt in seinen weißen,
über und über mit Krümeln bedeckten Bart.
© Sabine Ludwigs
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