Mit dem Rad unterwegs
aus: Der Weihnachtsmann hat noch mehr Stress
Der Weihnachtsmann klopfte an der Tür zum
Chefzimmer an und betrat es, als „Herein“ gerufen wurde.
„Du wolltest mich sprechen?“ Er richtete sich
auf und trat an den Schreibtisch, auf dem eine Straßenkarte von Brandenburg
lag.
„Ich habe mir gerade deine Routen angesehen.
Da muss eine Änderung gemacht werden“, sagte der Chef.
Der Weihnachtsmann zuckte zusammen. „Und
welche?“
„Diese Dörfer und Städte in der Uckermark
willst du wieder mit dem Laster anfahren.“ Der Chef zeigte mit dem Finger auf
ein paar kleine Ortschaften auf der Landkarte.
„Ja, die Rentiere schaffen nicht mehr alles
und die Tour ist zwar landschaftlich reizend, aber die Orte liegen so weit
auseinander, dass es unpraktisch ist, den Schlitten zu nehmen. Ich muss
rational denken.“
„Es gibt dort einen Weihnachtsmann-Radweg.“
„Ja, und?“
„Wir müssen dieser strukturschwachen Gegend
helfen.“
„Dann fahre ich eben mit dem Schlitten“,
stöhnte der Weihnachtsmann. Er hatte es nicht gern, wenn man seine Planung
änderte.
„Du nimmst für Himmelpfort und Umgebung das
Fahrrad.“
„Nein,
bitte nicht. Meinetwegen den Schlitten.“ Der Weihnachtsmann erbleichte.
„Erstens gibt es sowieso seit Jahren keinen
Schnee mehr an Heiligabend. Zweitens freuen sich die Anwohner, wenn du mit dem
Fahrrad kommst. Drittens müssen wir diese strukturschwache Region unterstützen.
Und wenn weder der Bundespräsident noch der Bundeskanzler für die Werbung in
die Pedale tritt, dann machen wir es.“
„Doch nicht mit den vielen Geschenken auf dem
Fahrrad!“
„Früher hast du mit Knecht Ruprecht sogar
alles zusammen zu Fuß gemacht.“
„Ja, aber ...“
„Keine Widerworte, das ist eine Anweisung!“
Der Weihnachtsmann nickte kleinlaut und
schlich mit gesenktem Haupt davon.
Heiligabend lag tatsächlich kein Schnee, als
der Weihnachtsmann, begleitet von ein paar Engelchen, die ihn manchmal bergan
schoben, den Weihnachtsmann-Radweg fuhr. Auf einem Anhänger stapelten sich die
Geschenke.
An einer besonders malerischen Stelle standen
Fotografen und Reporter und nahmen ihn auf. Dabei lief ihm der Schweiß in
Strömen von der Stirn in den Bart und tropfte dann auf seine Brust. Ein Engelchen,
das noch schnell versuchte, ihn mit etwas Puder fotogener zu machen, schob er
verärgert zur Seite.
Einige Reporter liefen mit Mikrofonen neben
ihm her und interviewten ihn.
„Ich muss doch unbedingt diesen malerischen,
nach mir benannten Wanderweg ausprobieren“, keuchte er.
In Himmelpfort standen die Menschen auf der
Straße und begrüßten ihn unter Hochrufen und mit Applaus. Doch er musste erst
einmal in der Weihnachtsstube eine kleine Pause machen, sich abtrocknen und
eine Flasche Wasser trinken, bevor er seine Arbeit fortsetzen konnte.
© Annette Paul
Leseprobe aus "Der Weihnachtsmann hat noch mehr Stress", erhältlich bei amazon, Thalia,
Weltbild, Buch.de
Weltbild, Buch.de
Annette Paul schreibt und veröffentlicht seit vielen Jahren Kurzgeschichten und Kindertexte, gern etwas zum Schmunzeln. Von ihr sind folgende Weihnachtsbücher: "Der ganz normale Weihnachtswahnsinn", "Ratte Prinz im Weihnachtsbaum", "Weihnachtsmann im Weihnachtsstress" und "Weihnachtsmann hat noch mehr Stress".