Der überforderte Weihnachtsmann
Seit
vielen Jahrtausenden lebte Flavius im Land der Elfen. Er fühlte sich dort unter
seinesgleichen sehr wohl und konnte sich nicht vorstellen, jemals woanders zu
wohnen.
Nur einmal im Jahr, nämlich zur Weihnachtszeit, verließ er die
Heimat, schnürte sein Bündel und machte sich auf eine Reise. Flavius war ein
Weihnachtself und auserkoren, dem Weihnachtsmann bei der Auslieferung der
Geschenke zur Hand zu gehen.
Am Morgen des Heiligen Abend packte er ein wenig Proviant ein.
Danach verabschiedete er sich von seinem Weib und den Kindern. Zärtlich nahm er
die Elfe in den Arm und strich über die Köpfe der Kleinen. «Na dann, bis Morgen
und schön brav sein!»
«Bringst du uns was Schönes mit?», ertönte es im Chor von drei
Kinderlippen.
«Mal sehen, ob die Englein auch für euch ein Geschenk verpackt
haben», sagte Flavius schmunzelnd.
Das Haus des Weihnachtsmannes lag weit hinten am
Firmament und der Elf musste sich sputen, um rechtzeitig an sein Ziel zu
gelangen. Der Weg führte ihn entlang der großen Milchstraße. Diese war durch
die Ansammlung von Milliarden kleiner Sterne hell erleuchtet und Flavius fand
mühelos das goldene Tor zum Weihnachtsdorf. Flink trat er hindurch und blieb
wie angewurzelt stehen.
‚Was ist denn hier los?’, dachte er erstaunt und blickte sich verwundert
um. Das hatte er noch nie erlebt in all den Jahren, in denen er nun schon im
Dienste des Weihnachtsmannes stand.
Stille …! Absolute Ruhe …! Kein Laut war zu hören und niemand zu
sehen!
Der ganze Ort schien wie ausgestorben zu sein. Keine fröhliche
Betriebsamkeit wie sonst am Tage vor dem Weihnachtsfest und ebenso kein Sägen,
kein Hämmern und Werkeln, um noch schnell die letzten Spielsachen für die
Menschenkinder zu fertigen. Dicht aneinandergedrängt standen die Häuser
verlassen an leeren Plätzen und Gassen. Unterwegs schaute Flavius in die große
Werkstatthalle, aber auch hier waren keine fleißigen Wichtel bei der Arbeit zu
finden. Allerlei Werkzeug sowie halb fertige Holzeisenbahnen, Puppen und
Teddybären lagen verstreut herum. An der Auslieferung, dort wo normalerweise
die Englein saßen und das fertige Spielzeug in glänzendes Papier verpackten,
standen die Pakete teilweise offen und ohne weihnachtliches Schleifenband
verziert.
Flavius rannte so rasch er konnte weiter. Die Rentiere weideten
friedlich neben dem leeren Schlitten vor dem Haus des Weihnachtsmannes. Heftig
atmend blieb der Elf stehen und klopfte an die Tür. Er hörte eine müde Stimme
von drinnen rufen: «Hallo, wer ist da?»
«Ich bin es, der Weihnachtself!», antwortete Flavius.
Nach einer Weile öffnete sich quietschend die schwere mit Gold
beschlagene Tür und der Elf blickte erschrocken zu der gramgebeugten Gestalt
des alten Mannes auf. Diesem standen die Haare wirr vom Kopf ab, den Körper
verhüllte ein langes Nachthemd und an den Füßen trug er löchrige, braune
Filzpantoffeln.
«Komm herein. Unsere Reise zur Erde wird in diesem Jahr ausfallen
müssen», empfing der sonst so stattliche, immer fröhliche Weihnachtsbote traurig
seinen Gehilfen.
«Wie kann das möglich sein?», erkundigte sich Flavius enttäuscht.
«Ich habe da wohl einiges durcheinandergebracht, denn
als die Wichtel und Englein bei mir nach Urlaub anfragten, habe ich allen
erlaubt, zur gleichen Zeit in die Ferien zu gehen. Ich habe einfach nicht
bedacht, dass dann niemand mehr da ist, um die Spielsachen fertigzustellen und
weihnachtlich zu verpacken», erzählte der Weihnachtsmann. «Was soll ich jetzt
tun? Die Augen der Kinder werden stumpf und glanzlos bleiben, wenn sie keine
Geschenke unter dem Tannenbaum finden. Außerdem werden die Eltern mir keine
Aufträge mehr geben und fortan die Wünsche der Kleinen selbst erfüllen. Ich
glaube, ich werde langsam zu alt und vergesslich für die Arbeit», fügte er
seufzend hinzu.
© Marika
Krücken