“Nepomuck, du bist doch wieder gar nicht bei
der Sache heute”, tadelnd schaut Mutter den kleinen Koboldjungen an, der
unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutscht. Seufzend legt Nepomuck die Schere
beiseite, mit der er für sein Schwesterchen Nellie kleine Tiere aus buntem
Wachspapier ausschneiden wollte.
“Ich überlege nur…”
“Was überlegst du denn?” Mutter lächelt vor
sich hin. ”Hat es vielleicht etwas mit Weihnachten zu tun?” Nepomuck nickt.
“Ja! Ich überlege schon die ganze Zeit, was
ich Oma Florchen schenken kann. Sie ist doch fast blind, da kann ich ihr nichts
schnitzen oder basteln.” Nepomucks dunkle Augen schauen ratlos und Mutter fährt
ihm mit der Hand tröstend durch sein wirres schwarzes Haar.
Oma Florchen ist ein Mensch und wohnt in
einer bescheidenen Hütte am Waldrand nahe des Kobolddorfes. Die gutmütigen
Kobolde versorgen sie mit dem Nötigsten und sehen nach ihr, denn sie scheint
keine Verwandten zu haben. Der weichherzige Nepomuck besucht sie sogar fast
täglich. Seitdem er einmal aus Versehen in der Werkstatt des Weihnachtsmanns in
ein Päckchen gefallen und unter dem Weihnachtsbaum einer Menschenfamilie
gelandet ist, weiß er, wie wichtig das Fest
für die Menschen ist. Doch das ist eine lange Geschichte, die sogar in einem
Buch festgehalten wurde, das “Nepomucks Abenteuer” heißt.
“Da habe ich eine Idee, Nepomuck. Wie wäre
es, wenn wir der Oma einen Kuchen backen und du ihn dann hinbringst?” Kobolde
sind viel kleiner als Menschen, deshalb passt Oma Florchen auch in keine der
niedlichen eierfömigen Behausungen, die rings um die Lichtung gebaut sind. Im
Sommer, wenn sich alles draußen
abspielt, ist sie jedoch oft zu Gast hier im Kobolddorf.
Nepomuck springt jauchzend auf und reißt
dabei fast die Teekanne vom Tisch. Mutter schüttelt den Kopf und holt schnell
die Rührschüssel, den Quirl, Mehl, Milch, Eier, Nüsse, Butter, Honig und
Kakaopulver herbei, ehe noch etwas passiert. Unter ihrer Aufsicht mischt der
Koboldjunge einen leckeren Teig zusammen.
“Nepo, schleck doch nicht den ganzen Kuchen
schon im Rohzustand auf”, schimpft sie. Jetzt erscheinen auch noch Naschkatze
Nellie und zwei von Nepomucks Brüdern. Kurzerhand wird der Kuchen in den
Backofen befördert. “Sonst bleibt am Ende nichts mehr für Oma Florchen übrig”,
sagt Mutter lachend.
Zwei Stunden später stapft Nepomuck mit dem
Schokokuchen durch den feinen Pulverschnee zu Oma Florchens Hütte. Es wird
bereits dunkel, doch drinnen brennen Kerzen, die den kleinen Raum in ein
gemütliches Licht tauchen.
“Trari trara, der Weihnachtsmann ist da!”
Nepomuck brüllt aus vollem Hals und klopft kräftig an die Tür, bevor er die
Klinke herunterdrückt. Mit Mühe hält er den Teller mit dem Kuchen im
Gleichgewicht.
“Oh Nepomuck, das ist aber eine schöne
Überraschung”, die alte Frau blinzelt erfreut. Doch dann passiert es! Nepomuck
übersieht die Türschwelle, stolpert und fällt der Länge nach in die Stube,
direkt vor den kleinen geschmückten Weihnachtsbaum. Ein braunes verschmiertes
Gesichtchen schaut Oma Florchen verdattert entgegen, Nepomuck ist direkt in die
Schokotorte gefallen.
“Der schöne Kuchen”, sagt er bedauernd und
leckt sich über die Lippen.
Die Oma muss lachen. “Wie gut, dass ich grad
Kekse gebacken habe. Und möchtest du vielleicht eine Tasse Kakao dazu? Aber
erst säubern wir dich mal und räumen ein wenig auf.”
“Du hast gebacken? Ich dachte immer, du
kannst fast nichts sehen!” Erstaunt schaut Nepomuck die alte Frau an.
“Wie kommst du denn da drauf, mein Junge?”
“Naja, du übersiehst uns doch so oft und… du
hast eine Brille”, entfährt es Nepomuck.
“Aber die Brille habe ich doch, damit ich
besser sehen kann. Und wenn man bedenkt, wie klein ihr Kobolde seid, da ist es
fast schon normal, wenn ich mal über den einen oder anderen von euch stolpere.”
Nepomuck schaut sie zweifelnd an. “Aber nun
ist der schöne Kuchen hin, den ich dir extra zu Weihnachten gebacken habe, der
war doch dein Geschenk”, klagt er.
Oma Florchen schaut ihn liebevoll an. “Ja,
das ist schon schade, ich hätte ihn sehr gern gekostet. Aber weisst du, was das
schönste Weihnachtsgeschenk für mich ist?”
Nepomuck schüttelt ratlos den Kopf.
“Dass du an mich gedacht hast und heute hier
bist, Nepomuck, das ist mein schönstes Geschenk. Und nun komm, bevor der Kakao
kalt wird.”
©byChristine
Erdic
Mehr von Christine Erdiç gibt es in ihren
Büchern NEPOMUCKS ABENTEUER, GESCHİCHTEN AUS DEM REICH DER HEXEN, ELFEN UND
KOBOLDE und ZAUBERHAFTE GERICHTE AUS DER KOBOLDKÜCHE soiwe auf ihrerWebseite
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