Geschichten

Samstag, 8. Dezember 2012

Zauberhafte Weihnacht' von Ingrid Mayer



Leseprobe aus "Der unerfüllte Wunsch":

Als Amelie an diesem Morgen erwachte, fiel ihr Blick auf ein rosafarbenes Wesen. Es stand auf ihrem Schreibtisch und blickte das Mädchen treuherzig an. Für einen Moment war Amelie verwirrt, doch dann fiel ihr wieder ein, woher dieses Geschöpf kam. Sie stand auf und griff nach dem Spielzeug aus Plastik. Ein Pferd mit einem Horn auf der Stirn und einer viel zu langen blonden Mähne. Amelie drehte es in ihren Händen hin und her, bevor sie es wieder zurückstellte. Ihre Eltern hatten nichts verstanden. Gestern, während der Bescherung, hatte sich Amelie artig für das Geschenk bedankt, so als freue sie sich darüber. In Wahrheit war sie sehr enttäuscht. Doch zum Glück hatte das niemand bemerkt.

Unter dem Weihnachtsbaum türmte sich noch immer ein Gebirge aus zerknülltem Geschenkpapier, als Amelie ein wenig später das Haus verließ, um ihre Tante zu besuchen und ihr fröhliche Weihnachten zu wünschen.

Draußen segelten bauschige Flocken vom Himmel und bedeckten den Boden mit einer weißen Schicht. Den Weg zu der Tante war Amelie schon oft gegangen. Zuerst über die Straße, dann bog ein kleiner Feldweg ab, der am Waldrand entlang führte.

Eine feierliche Stille lag über der Landschaft, als Amelie neben den Bäumen des angrenzenden Waldes durch den Neuschnee stapfte. Zwischen schneebedeckten Ästen erkannte Amelie die Umrisse einer kleinen Hütte. Zuerst wollte sie weiter gehen, doch dann fiel ihr ein, dass an dieser Stelle noch nie zuvor ein Haus gestanden hatte. War das womöglich ein Hexenhäuschen, so wie im Märchen? Das musste sie sich ansehen. Amelie erwartete beinahe, dass es aus Lebkuchen gebaut war, doch als sie sich ihm näherte, stellte sich heraus, dass es ganz normale graue Mauern hatte.

Vorsichtig trat sie heran und spähte um die Hausecke. Dort, vor der Eingangstür, stand die Hexe mit ihrem Besen und kehrte den frischgefallenen Schnee von der Veranda.

“Sieh’ an! Besuch”, gurrte die alte Frau und lehnte den Besen mit dem Stiel an die Wand. Sie schüttelte ihre langen grauen Haare, in denen sich einige weiße Flocken verfangen hatten.

Als Amelie sich nicht von der Stelle bewegte und sie nur mit großen Augen anstarrte, fügte sie hinzu: “Du wirst doch nicht etwa Angst vor mir haben?”

“Bist du eine Hexe?”, brach es aus Amelie hervor. Im gleichen Moment wurde ihr bewusst, dass diese Frage wahrscheinlich sehr unhöflich war. 



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